Ein symbolischer Ausgleich
Während der Nazizeit wurden Juden nicht nur wertvolle Gemälde oder andere Kunstgegenstände geraubt, sondern auch Bücher, Möbel und Alltagsgegenstände. Die "Stiftung Zurückgeben" unterstützt Menschen dabei, jüdisches Eigentum "zurückgeben".
Ein Sonntag auf einem der vielen Berliner Flohmärkte mitten im dichtesten Gewirr: An den bunten Ständen bieten Trödler Kunst und Krempel, Kitsch und verborgene Kostbarkeiten. Im unübersichtlichen Sammelsurium findet sich auch so mancher Gegenstand, bei dem man sich fragt, wie dessen Geschichte vielleicht mit der NS-Zeit verflochten ist.
"Also im Prinzip ist es ja auch so: Ich gehe in Berlin auf den 17. Juni, auf den Flohmarkt, da kann ich ja auch alles Mögliche finden und die Händler oder Händlerinnen wissen ja auch nicht immer unbedingt, woher stammt das? Doch ich finde, dass es dann in der Verantwortung auch der Einzelnen liegt, da mal zu hinterfragen."
Sharon Adler ist im Vorstand der Stiftung "Zurückgeben": Diese setzt sich dafür ein, dass die Erben jener, die sich am Schicksal der Juden bereicherten, heute etwas "zurückgeben". Auf diese Weise sollen wiederum jüdische Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen gefördert werden.
Doch vor diesem Zurückgeben steht eben das Hinterfragen: Das Erkennen, dass das geliebte Gemälde oder behütete Porzellan vielleicht einst auf unrechte Weise den Besitzer wechselte.
"Für mich ist es einfach wichtig, dass die Menschen sich bewusst darüber sind, was bei ihnen so zu Hause möglicherweise herumsteht. Denn was ist denn mit dem gesamten Geschirr geschehen? Mit dem gesamten Mobiliar? Das ist ja nicht alles verschrottet worden. Das gibt es auch heute noch, das gibt es in jedem Trödel möglicherweise: Dinge zu finden, die in jüdischem Besitz sich befunden haben."
Eine, die sich bewusst geworden ist, ist Anni Söntgerath. Ihre Großmutter hatte einen Tag vor der Reichspogromnacht eine prächtige Anrichte und zwei Stühle von einer jüdischen Familie gekauft und das – die Umstände ausnutzend – weit unter Wert.
"Der Schrank und die Stühle, die haben meine Mutter geerbt und sie war immer sehr stolz auf diese Möbel und auch ich mag sie sehr. Und es war immer klar: Die Großmutter hat die Gegenstände, die Möbel von Juden gekauft."
Obwohl Söntgerath dies wusste, hat es lange gedauert, bis es ihr bewusst wurde. Es muss eine schmerzhafte Erkenntnis gewesen sein, die die Wahl-Berlinerin in einem Beitrag für den Band "Beidseits von Auschwitz. Identitäten in Deutschland nach 1945" beschreibt. Das Besondere dabei: In Söntgeraths Aufsatz ist es der Schrank selbst, der unter dem Titel "Er gehört uns nicht" zu Wort kommt:
"Ich hatte all die Jahrzehnte immer Zeit, meinen wechselnden Besitzern zuzuschauen und zuzuhören. (...) In den letzten Jahren höre ich immer wieder Annis leisen Monologen zu und weiß um ihre inneren Bilder. Sie sieht mich oft in jenem Esszimmer stehen, dort, wo jüdische Menschen lebten, denen das Menschsein und Lebensrecht im NS-Staat Deutschland abgesprochen, verweigert worden war. (...) Sie sagt, sie will und wird mich ZURÜCKGEBEN, sozusagen an den Ursprung meiner Geschichte. Das will sie tun. Sie weiß es wirklich: Ich gehöre ihr NICHT."
Eine zu schmerzhafte Erinnerung
Nea Weissberg, Verlegerin von "Beidseits von Auschwitz", stieß Anni Söntgerath auf die Stiftung Zurückgeben. Da die ursprünglichen Besitzer nicht mehr ausfindig gemacht werden konnten, überlegten sie gemeinsam, was mit den Möbeln geschehen sollte. Eine Zeitlang konnte sich Sharon Adler vorstellen, gar selbst einzuspringen:
"Ich habe dann an einer Stelle gesagt: Ich nehme den Schrank und hab hier auch schon angefangen auszumessen, dachte: Ach, was für ein wundervoller Schrank. Und ich gebe dem Schrank jetzt ein neues, gutes jüdisches Zuhause. Ja, meine Freundin hat dann aber gesagt – sie ist selber auch Jüdin: Aber nein, das geht gar nicht. Sie kann mit dem Schrank nicht leben. Das ist ihr zu ´loaded`, also zu belastet."
Eine Erfahrung, welche für die Stiftung keine Seltenheit ist. Für einige Überlebende der Shoah und ihre Nachkommen stellen die Gegenstände, die zurückgegeben werden sollen, eine zu schmerzhafte Erinnerung dar. Der Wert dieser Dinge ist dabei unerheblich – eine Tatsache, die man sich angesichts von öffentlichen Diskussionen um NS-Raubkunst wie zuletzt im Fall des Sammlers Cornelius Gurlitt ins Gedächtnis rufen sollte. Das ist auch Sharon Adler wichtig:
"Also wenn wir uns anschauen den Antisemitismus-Bericht der Bundesregierung: ein großer Teil der Deutschen sagt, dass die Juden aus dem Holocaust auch heute noch profitieren, finde ich das sehr erschreckend. Das kann man tatsächlich wirklich nur mit Kopfschütteln betrachten, denn die Juden haben ja nicht nur ihre Besitz verloren, sondern zum größten Teilen auch ihr Leben."
Die damals weitverbreitete Vorteilsnahme, mit der sich viele Deutsche am Schicksal der Juden bereicherten, ist heute kaum juristisch zu fassen. Daher will die Stiftung Zurückgeben zumindest einen symbolischen Ausgleich ermöglichen. Wer einen entsprechenden Besitz sein eigen nennt, kann diesen zum Beispiel verkaufen und den Erlös der Stiftung zur Verfügung stellen. Oder er behält den Gegenstand, schätzt ihn wert und gibt stattdessen eine Spende. Mit den derartig gesammelten Mitteln fördert die Stiftung Projekte von jüdischen Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen, die einen Bezug zum Judentum haben.
Anni Söntgerath hingegen entschied sich, ein neues Zuhause für ihre Erbstücke zu suchen – und fand dieses bei Gabriel Berger. Der Physiker, Journalist und Informatiker hat selbst einen Beitrag für "Beidseits von Auschwitz" geschrieben und wusste nicht gleich, ob er Schrank und Stühle annehmen sollte:
"Ich habe eben hin und her überlegt und am Ende dachte ich: Naja gut, da mein Großvater tatsächlich alles damals dem Staat übereignen musste, den ganzen Besitz, nicht nur die Wohnung, sondern alles, was er besessen hatte, er war Geschäftsmann und hatte sein ganzes Vermögen abtreten müssen, dachte ich: Na gut, dann bin ich vielleicht doch der Richtige."
Für Anni Söntgerath war das Zurückgeben der richtige Schritt – sie fühlt sich befreit, sagt sie. Und das, obwohl ihr doch eines klar ist:
"Es ist eher ein Behelf, wenn sie so wollen. Oder ja, es ist ein Symbol. Und es hat noch eine andere Bedeutung: Dass ich sozusagen etwas, ja ich würde sagen, für meine Mutter auch oder Vorfahren zu Ende bringe, was sie versäumt haben. Es ist nicht so, dass ich mich schuldig fühle, aber verantwortlich."