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Vom Städel Museum bis zur Stiftung Giersch
Das Rhein-Main-Gebiet ist eine Hochburg der Stiftungen. Es gehört zum guten Ton vieler Bürger, Krankenhäuser, wissenschaftliche Einrichtungen oder auch die Kunst zu unterstützen - und dabei ganz nebenbei auch Steuern zu sparen.
Blaue Körper tanzen ausgelassen auf einer feuerroten Fläche. In der Mitte des Raumes verschafft sich ein einzelner Tänzer – oder eine Tänzerin – mit rudernden Armen Platz. "Electric Night" nannte Helmut Middendorf sein Gemälde – inspiriert von einer wilden Berliner Tanznacht im Kreuzberger Club SO 36 im Jahr 1979:
"Man hat das gemalt, mit dem man zu tun hatte. Was man erlebt hatte. Man ging in ein Konzert ins SO 36 und so weiter und dann ging man am anderen Tag ins Atelier und hat dann versucht, diese Intensität, die da vorherrschte, in Bilder zu bannen."
Helmut Middendorfs Werk ist ebenso Teil einer neuen Ausstellung über die 80er im Frankfurter Städel, wie die Musik der Punkband Mittagspause.
Zur Band gehörte der Maler Markus Ohlen, zur Geschäftsführung des Kreuzberger SO 36 zählte vor drei Jahrzehnten der Künstler Martin Kippenberger. Auch einige seiner Werke werden ab dem 22. Juli im Städel gezeigt. Die Verbindung von Punk und Malerei ist ein Schwerpunkt der Ausstellung zur Malerei der 80er-Jahre.
Diese ist im Vergleich zum Ort, an dem sie gezeigt wird, noch ziemlich jung: Seit 200 Jahren gibt es das Städel in diesem Jahr, es ist Deutschlands älteste bürgerliche Museumsstiftung. Daran erinnerte Kulturstaatsministerin Monika Grütters im Frühjahr während eines Festaktes.
"Ich freue mich über die große Ehre, dem Städel-Museum zum 200. Jubiläum hier gratulieren zu dürfen. Einem Haus, das nicht nur eine Sammlung mit klingenden Namen aus allen Epochen und Ländern sein eigen nennt und mit ambitionierten Ausstellungen begeistert, sondern das darüber hinaus auch für all das steht, was Museen in einer pluralistischen Gesellschaft zu identitätsstiftenden Bezugspunkten macht, zu geistigen Ankerpunkten."
Dass das Städel seit 200 Jahren ein geistiger Ankerpunkt in Frankfurt am Main ist, hat das Haus auch mehr als 7000 Frankfurter Bürgern zu verdanken. Diese unterstützen als Mitglieder des schon Ende des 19. Jahrhunderts gegründeten Städelschen Museums-Vereins die Museumsstiftung. So sorgen insbesondere die Bürger miteinander dafür, dass 80 Prozent der Museumsaktivitäten bis heute ohne staatliche Zuschüsse stattfinden können, freut sich Monika Grütters:
"Das Miteinander zieht sich ja von Anfang an wie eine Art roter Faden durch die Geschichte des Städel. Es gibt wohl kaum ein anderes Museum von Weltrang in Deutschland, das über so viele Jahre und Jahrzehnte vom Bürgersinn kunstbegeisterter Zeitgenossen getragen wurde wie dieses – man könnte es wirklich so nennen – Schmuckstück am Main."
Lieber Geld stiften als vererben
Nur einen Steinwurf vom Städel entfernt wohnen Carlo und Karin Giersch in einer schönen Villa am Frankfurter Museumsufer. Carlo Giersch war ein erfolgreicher Unternehmer. Doch vor rund 25 Jahren verkaufte er seine Firma und brachte einen Teil des Erlöses in eine gemeinnützige Stiftung ein. Das half, Steuern zu sparen und gab dem Ehepaar gleichzeitig die prestigeträchtige Möglichkeit, in den Kreis der mehreren hundert Stifter zu gelangen, die die Stadtgesellschaft am Main entscheidend mitgestalten. 2009 erhielt das Ehepaar den Deutschen Stifterpreis für das Engagement in Wissenschaft, Medizin und Kultur. Rund 60 Millionen Euro wurden bisher bereitgestellt, so der heute 80 Jahre alte Carlo Giersch:
"Ich wollte partout nicht – theoretisch hätten wir eine ganze Menge Erben gehabt, nämlich Neffen, die unser Vermögen bekommen. Warum? Sie haben überhaupt nichts zum Erfolg der Firma beigetragen."
Neben dem Wohnhaus besitzt die Giersch-Stiftung gleich nebenan noch zwei weitere schmucke Villen, in denen unter anderem auch die Kunstsammlung des Ehepaars untergebracht ist. Vor kurzem hat die Universität Frankfurt das Museum Giersch übernommen und bekommt für den Weiterbetrieb einen Zuschuss der Stiftung. Auch die Technische Universität Darmstadt profitiert vom Stifterehepaar Giersch, das etwa ein Seminarhaus für Studierende in den französischen Alpen zur Verfügung stellt. Volker Schultz von der Uni betont, dass das Stifterpaar Dinge ermöglicht, die die Hochschulen im Rhein-Main-Gebiet sonst nicht anbieten könnten:
"Ich denke, das ist ein ganz wichtiger Teil, der in Deutschland nicht so verbreitet war wie in anderen Ländern, vor allem in Amerika. Es ist ein wichtiger Bereich, wo auch Sachen finanziert werden können, die wir aus Landesmitteln sonst gar nicht finanzieren könnten."
In 25 Jahren hat das Ehepaar Giersch der TU Darmstadt rund 5,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Wichtig sind Carlo Giersch etwa die Preise für gute Lehre, die er mit seiner Frau regelmäßig stiftet:
"Immerhin 65.000 Euro. Denn ich glaube, es ist sehr schwierig für Wissenschaftler, die forschen und sonst noch verschiedene Belastungen haben, gute Lehre zu praktizieren."
Auch die Studierenden einer Kunsthochschule in Frankfurt am Main profitieren von den weitverzweigten Stifter-Tätigkeiten der Gierschs. Das Stifterpaar schuf mit dem "Portikus" auf einer Maininsel einen schönen Ausstellungsraum für Nachwuchsausstellungen. Carlo Giersch:
"Weil ich glaube, dass die Studenten dort irgendeinen Ort brauchen, wo sie sich präsentieren können. Ein Städel kann die Werke der Studenten nicht ausstellen. Aber wenn die ein eigenes Experimentierhaus haben und das noch an exponierter Stelle, dann ist das ein Alleinstellungsmerkmal, das ihnen auch guttut."
Tue Gutes und rede darüber – das ist ein Motto der Gierschs. Anders als viele der mehr als 500 Stifter in Frankfurt am Main verstecken sie sich nicht.
Kaufmann Johann Friedrich Städel als Vorbild
Für viele wohlhabende Stifter, die heute in der Mainmetropole leben, ist immer noch der Bankier und Kaufmann Johann Friedrich Städel das große Vorbild. 1815 begründete er die älteste und heute längst renommierteste Museumsstiftung in Deutschland begründete. Monika Grütters beschreibt 200 Jahre später sein Projekt als visionär:
"Visionär war sein Wunsch, allen Bürgerinnen und Bürgern Zugang zu seiner Kunstsammlung und damit – wir nennen das heute, aber das ist ein Begriff, der auch wirklich passt – Zugang zu kultureller Bildung zu gewähren. Lange war es ja überhaupt nur Könige und Hochadel, Päpste oder eben hohen geistlichen Würdenträger, die Kunstwerke sammelten."
Erst seit dem 16. Jahrhundert entstanden zunehmend auch Sammlungen reicher Bürger und Gelehrter. Diese Sammlungen waren allerdings privat. Noch 1815 versuchten die Erben Städels zu verhindern, dass die Kunstsammlung des reichen Kaufmanns der Öffentlichkeit in Form einer Stiftung übergeben wird, wie dieser es in seinem Testament verfügt hatte. Der jahrelange Rechtsstreit endete zum Wohle der Allgemeinheit.
Bis heute bemüht sich das Städel-Museum, den Auftrag des Stifters erst zu nehmen, und die Kunst möglichst allen zugänglich zu machen. Beispielsweise Demenzkranken. Auch für sie gibt es Führungen im Städel, die wissenschaftlich von der Uni Klinik begleitet werden. Es soll ganz handfest herausgefunden werden, ob Kunst den Demenzkranken gut tut. Chantal Eschenfelder, Leiterin der pädagogischen Abteilung des Museums:
"Außerdem ist uns auch ganz wichtig hier im Städel: Wir betrachten das Haus eben als Plattform für alle gesellschaftlichen Aspekte. Und gesellschaftlich gesehen ist es ja so: Man kann Menschen mit Demenz ja nicht auf ihre Erkrankung reduzieren. Jeder hat das Recht auf Teilhabe und eben auch Teilhabe an kulturellem Leben, an Gespräch, an Austausch mit anderen."
Das Stiftungsmuseum als Plattform für alle gesellschaftlichen Aspekte: Das gilt beispielsweise für die Geschichte der homosexuellen Emanzipation. In der kommenden Ausstellung über die Kunst in den 80ern ist sie ein Thema - so wie etwa auch die rauschende Geschwindigkeit der internationalen Club- und Musikszene etwa in Berlin. Dazu gehörte am dortigen Moritzplatz vor 30 Jahren auch die künstlerische Zusammenarbeit des Schweizer Künstlers Luciano Castelli mit Salomé. Die Verbindung von Malerei und Punk:
Monet und der Geist des Impressionismus – eine der letzten und erfolgreichsten Ausstellungen des Städel. Wer sie verpasst hat, kann auf der Homepage des Museums so einiges in den Filmen erfahren, die das Städel jeweils zu den Ausstellungen produziert.
"Neue Motive im Impressionismus sind tatsächlich Freizeitthemen wie Bahnhöfe oder Straßenszenen. Was aber ganz spektakulär ist, dass die Malerei draußen stattfindet. Vor Ort. Das ist für die Kunstgeschichte ein fundamentaler Einschnitt."
Für Frankfurt am Main wiederum war die Städel-Bürgerkunststiftung vor 200 Jahren ein fundamentaler Einschnitt. Heute ist das Städel am Mainufer tatsächlich ein zentraler Kommunikationsort der Stadt. Ein geistiger Ankerpunkt im besten Sinne des Wortes. Vielleicht nicht für alle, aber doch für sehr, sehr viele. Demnächst auch für die Altpunks, die es in der Mainmetropole durchaus noch geben soll.