Stille Momente einer vergangenen Epoche
Als Beitrag zum Programm der Kulturhauptstadt RUHR zeigt das <papaya:link href="http://www.bottrop.de/mq/index.php" text="Josef Albers Museum Quadrat" title="Josef Albers Museum Quadrat in Bottrop" target="_blank" />in Bottrop zumeist noch nicht publizierte Fotografien unter dem Titel "Bergwerke und Hütten - Industrielandschaften". Dabei werden auch Spuren des Alltags- und Arbeitslebens sichtbar.
Über Schrebergärten mit Hühner- und Kaninchenställen, durch Arbeitersiedlungen hindurch oder auch an dichten Buschreihen vorbei gleitet der Blick hinauf zum Hüttenwerk, einem Koloss mit plumpen, grotesk verwinkelten Gasrohren zwischen dem filigranen Eisenfachwerk der Förderbänder. Darüber eng gestaffelte Schlote, die düster in den grauen Himmel ragen und schneeweiß verwehende Rauchfahnen ausstoßen. Dieses Spiel sich überschneidender Formen und Funktionen kennzeichnet Bernd Bechers Schwarzweißbilder.
Mit ihnen gab der vor drei Jahren verstorbene Fotograf anonymen Industriestrukturen eine unverwechselbare Gestalt – und seiner Heimat, dem Ruhrgebiet, ein charakteristisches Gesicht. Fast 200 dieser zumeist noch nie gezeigten Motive hat Museumsdirektor Heinz Liesbrock jetzt neu abziehen lassen, und der verblüffend facettenreichen Werkschau einen treffend lakonischen Titel gegeben - "Industrielandschaften":
Heinz Liesbrock: "Man darf nicht vergessen: Bernd Becher ist durch seine Kindheit in Siegen zutiefst geprägt vom unmittelbaren Ineinanderübergehen von Lebensraum und Arbeitsraum. Mitten in Siegen stand in der Stadt eine Hütte, die arbeitete, die Dreck ausstieß, Feuer, Geräusche."
Davon fühlte sich Becher, der an der Kunstakademie Malerei studiert hatte, keineswegs abgestoßen. Im Gegenteil: Als gegen Ende der Sechziger eine Kohlezeche nach der anderen, Stahlwerk für Stahlwerk abgerissen wurden, tat er sich mit seiner Frau Hilla, einer Fotografin, zusammen. Mit der schweren Stativkamera "erfuhren" die beiden im buchstäblichen Sinne eine Industrielandschaft im Übergang, hielten auch in abgelegenen Winkeln die letzten Bilder einer aussterbenden Spezies fest. In dieser Konsequenz ein zumindest in der deutschen Fotogeschichte beispielloses Projekt.
Heinz Liesbrock: "Fast wie Eugène Atget durch das alte Paris, kurz bevor alles niedergebrochen wurde. Dieser dokumentarische Anspruch, etwas festzuhalten für die Erinnerung: Mir ist da eine Formulierung von Walker Evans in den Sinn gekommen, dass ihn interessiere, was eine spätere Zeit als ihre eigene Vergangenheit begreifen werde."
Walker Evans war während der Wirtschaftskrise in den Dreißigerjahren durch die USA gereist, hatte die Stimmung einer ganzen Ära in symbolkräftigen Fotos eingefangen. Etwa mit dem Blick vom Friedhofshügel über die Häuserzeile einer Arbeitersiedlung auf das größte Stahlwerk des Landes. Jahrzehnte später waren auch Bernd und Hilla Becher an diesem fotohistorischen Ort.
Heinz Liesbrock: "Man sieht aber da auch schon die unterschiedlichen Bildvorstellungen zwischen Evans und den Bechers. Die Bechers sind sehr viel weiter zurückgegangen, haben sozusagen ein Panorama fotografiert. Während Evans in die Objekte hereingegangen ist, über die Wohnhäuser hinaus, auf die Anlage von Bethlehem Steel. Das Werk steht wie eine Pyramide, deren Wurzeln weit, weit in die Geschichte zurückgehen, so steht es heute noch da, weil die Kosten für den Abriss zu hoch sind."
Derart stillgestellt - allerdings von den Spuren der Arbeit, den Rußschleiern und Abraumhalden gesäubert - präsentiert die Kulturhauptstadt Ruhrgebiet ausgewählte Zeugnisse der industriellen Vergangenheit: als herausgeputztes Denkmal. Monoton nebeneinander aufgereiht, in einer "Typologie" stellten die Bechers bislang ihre Industriefotografie aus. In dieser Abfolge ließen die Bilder der auf Zeit gebauten, im Produktionsprozess immer wieder überformten und ausgebauten Industrieanlagen erhellende Vergleiche zu.
Dieses Konzept der längst berühmten "Becher-Schule" basierte auf strengen Grundsätzen: Fotografieren unter grauem Himmel, also Verzicht auf dramatisches Licht, keine Ablenkung durch Menschen oder landschaftliche Details. Nun aber scheint schon mal die Sonne, sind Bautrupps, Hofkolonnen oder Staplerfahrer bei der Arbeit zu sehen. Eine bislang übersehene Entwicklung - oder nur vom Fotografen verworfene Aufnahmen, die Museumsdirektor Heinz Liesbrock da ans Licht geholt hat?
Heinz Liesbrock: "Bernd Becher sagt, in den einzelnen Objekten haben wir das Tier präsentiert, daß diese Industriekörper eine eigene Dynamik entwickeln, ein Eigenleben sozusagen. Und dann fährt er fort: In den Landschaften zeigen wir nun, wie das Tier lebt. Also, es geht um ganze Industrieanlagen und deren Einbettung in das urbane und das landschaftliche Umfeld."
Diese "Einbettung" hat Bernd Becher anfangs mit fast schon idyllischen Bildern aus dem Siegerland illustriert, bewaldeten Bergkuppen, auf denen er aus der Vogelschau in die Talkessel mit den kleinen Hüttenwerken blickte. Dann aber fressen sich die Industriekolosse regelrecht in die Landschaft hinein. Später dann dominiert eine neogotische Industriellenvilla wie eine mittelalterliche Zwingburg den kompletten, wie eine Kleinstadt aufgebauten Fabrikkomplex. Und in Wales grenzen lange Zeilen von Arbeiterhäuschen Kohlenzechen und Stahlwerke von der Umgebung ab. Da werden lokale Traditionen sichtbar:
Heinz Liesbrock: "In der Zeche Hannover in Bochum, dass mitten auf dem Zechengelände eine kleine Trinkhalle steht. Oder zum Beispiel, dass in Belgien und in Frankreich durchgängig die Fördertürme der Zechen mit kleinen, an Pagoden erinnernden Dächern verziert sind. Wovon Frau Becher sagt, ich glaube, die Mentalität dort verträgt es nicht gut, die reine Funktionalität zu schaffen."
Die "reine Funktionalität", die in die Stahlhütten führenden Gleise, Förderbänder, Laderampen und Schifffahrtskanäle nutzten die Fotografen immer schon, um über diesen formalen Weg den Betrachter regelrecht ins Bild zu ziehen. Daneben aber spielen in den "Industrielandschaften" nun auch historische Reminiszenzen und sogar Stimmungen eine große Rolle: Sie erst verwandeln die anonymen Denkmale in Erinnerungsorte, lassen neben der streng abstrakten Typologie auch Spuren des ganz konkreten Alltags- und Arbeitslebens sichtbar werden - und verleihen dem fotografischen Gesamtwerk der Bechers zusätzlich den Charakter einer sozialen Skulptur.
Mit ihnen gab der vor drei Jahren verstorbene Fotograf anonymen Industriestrukturen eine unverwechselbare Gestalt – und seiner Heimat, dem Ruhrgebiet, ein charakteristisches Gesicht. Fast 200 dieser zumeist noch nie gezeigten Motive hat Museumsdirektor Heinz Liesbrock jetzt neu abziehen lassen, und der verblüffend facettenreichen Werkschau einen treffend lakonischen Titel gegeben - "Industrielandschaften":
Heinz Liesbrock: "Man darf nicht vergessen: Bernd Becher ist durch seine Kindheit in Siegen zutiefst geprägt vom unmittelbaren Ineinanderübergehen von Lebensraum und Arbeitsraum. Mitten in Siegen stand in der Stadt eine Hütte, die arbeitete, die Dreck ausstieß, Feuer, Geräusche."
Davon fühlte sich Becher, der an der Kunstakademie Malerei studiert hatte, keineswegs abgestoßen. Im Gegenteil: Als gegen Ende der Sechziger eine Kohlezeche nach der anderen, Stahlwerk für Stahlwerk abgerissen wurden, tat er sich mit seiner Frau Hilla, einer Fotografin, zusammen. Mit der schweren Stativkamera "erfuhren" die beiden im buchstäblichen Sinne eine Industrielandschaft im Übergang, hielten auch in abgelegenen Winkeln die letzten Bilder einer aussterbenden Spezies fest. In dieser Konsequenz ein zumindest in der deutschen Fotogeschichte beispielloses Projekt.
Heinz Liesbrock: "Fast wie Eugène Atget durch das alte Paris, kurz bevor alles niedergebrochen wurde. Dieser dokumentarische Anspruch, etwas festzuhalten für die Erinnerung: Mir ist da eine Formulierung von Walker Evans in den Sinn gekommen, dass ihn interessiere, was eine spätere Zeit als ihre eigene Vergangenheit begreifen werde."
Walker Evans war während der Wirtschaftskrise in den Dreißigerjahren durch die USA gereist, hatte die Stimmung einer ganzen Ära in symbolkräftigen Fotos eingefangen. Etwa mit dem Blick vom Friedhofshügel über die Häuserzeile einer Arbeitersiedlung auf das größte Stahlwerk des Landes. Jahrzehnte später waren auch Bernd und Hilla Becher an diesem fotohistorischen Ort.
Heinz Liesbrock: "Man sieht aber da auch schon die unterschiedlichen Bildvorstellungen zwischen Evans und den Bechers. Die Bechers sind sehr viel weiter zurückgegangen, haben sozusagen ein Panorama fotografiert. Während Evans in die Objekte hereingegangen ist, über die Wohnhäuser hinaus, auf die Anlage von Bethlehem Steel. Das Werk steht wie eine Pyramide, deren Wurzeln weit, weit in die Geschichte zurückgehen, so steht es heute noch da, weil die Kosten für den Abriss zu hoch sind."
Derart stillgestellt - allerdings von den Spuren der Arbeit, den Rußschleiern und Abraumhalden gesäubert - präsentiert die Kulturhauptstadt Ruhrgebiet ausgewählte Zeugnisse der industriellen Vergangenheit: als herausgeputztes Denkmal. Monoton nebeneinander aufgereiht, in einer "Typologie" stellten die Bechers bislang ihre Industriefotografie aus. In dieser Abfolge ließen die Bilder der auf Zeit gebauten, im Produktionsprozess immer wieder überformten und ausgebauten Industrieanlagen erhellende Vergleiche zu.
Dieses Konzept der längst berühmten "Becher-Schule" basierte auf strengen Grundsätzen: Fotografieren unter grauem Himmel, also Verzicht auf dramatisches Licht, keine Ablenkung durch Menschen oder landschaftliche Details. Nun aber scheint schon mal die Sonne, sind Bautrupps, Hofkolonnen oder Staplerfahrer bei der Arbeit zu sehen. Eine bislang übersehene Entwicklung - oder nur vom Fotografen verworfene Aufnahmen, die Museumsdirektor Heinz Liesbrock da ans Licht geholt hat?
Heinz Liesbrock: "Bernd Becher sagt, in den einzelnen Objekten haben wir das Tier präsentiert, daß diese Industriekörper eine eigene Dynamik entwickeln, ein Eigenleben sozusagen. Und dann fährt er fort: In den Landschaften zeigen wir nun, wie das Tier lebt. Also, es geht um ganze Industrieanlagen und deren Einbettung in das urbane und das landschaftliche Umfeld."
Diese "Einbettung" hat Bernd Becher anfangs mit fast schon idyllischen Bildern aus dem Siegerland illustriert, bewaldeten Bergkuppen, auf denen er aus der Vogelschau in die Talkessel mit den kleinen Hüttenwerken blickte. Dann aber fressen sich die Industriekolosse regelrecht in die Landschaft hinein. Später dann dominiert eine neogotische Industriellenvilla wie eine mittelalterliche Zwingburg den kompletten, wie eine Kleinstadt aufgebauten Fabrikkomplex. Und in Wales grenzen lange Zeilen von Arbeiterhäuschen Kohlenzechen und Stahlwerke von der Umgebung ab. Da werden lokale Traditionen sichtbar:
Heinz Liesbrock: "In der Zeche Hannover in Bochum, dass mitten auf dem Zechengelände eine kleine Trinkhalle steht. Oder zum Beispiel, dass in Belgien und in Frankreich durchgängig die Fördertürme der Zechen mit kleinen, an Pagoden erinnernden Dächern verziert sind. Wovon Frau Becher sagt, ich glaube, die Mentalität dort verträgt es nicht gut, die reine Funktionalität zu schaffen."
Die "reine Funktionalität", die in die Stahlhütten führenden Gleise, Förderbänder, Laderampen und Schifffahrtskanäle nutzten die Fotografen immer schon, um über diesen formalen Weg den Betrachter regelrecht ins Bild zu ziehen. Daneben aber spielen in den "Industrielandschaften" nun auch historische Reminiszenzen und sogar Stimmungen eine große Rolle: Sie erst verwandeln die anonymen Denkmale in Erinnerungsorte, lassen neben der streng abstrakten Typologie auch Spuren des ganz konkreten Alltags- und Arbeitslebens sichtbar werden - und verleihen dem fotografischen Gesamtwerk der Bechers zusätzlich den Charakter einer sozialen Skulptur.