Stimme der Armen

Von christlichen Revolutionären

Von Jutta Blume |
Für ihre kritische Berichterstattung über politische Missstände erhielten Mitarbeiter von "Radio Progreso" schon Morddrohungen - und der Staat sieht untätig zu. Trotzdem halten die Jesuiten an ihrem Kampf für die Armen fest.
Auf dem Gelände der Jesuiten in El Progreso herrscht angenehme Ruhe. In den Wipfeln ausladender Mangobäume ist der morgendliche Gesang von Vögeln zu hören. Doch die Idylle trügt, denn inmitten der recht beschaulichen Stadt El Progreso leben engagierte Geistliche und Radiojournalisten mit Morddrohungen. Landkonflikte ziehen seit Jahrzehnten immer wieder Repression nach sich.
1965 kauften die Jesuiten das Grundstück von einer der großen Bananengesellschaften des Landes. Wo einst die Büros und Villen der Tela Railroad Company standen, gibt es heute eine einfache Herberge mit Schulungszentrum, sowie – auf der anderen Seite des Parks – ein Bürogebäude. Dort sitzt Pater Ismael Moreno, ein rundlicher, grauhaariger Mann in Jeans und T-Shirt. Seit 2001 leitet er das Team für Reflexion, Forschung und Kommunikation des Jesuitenordens. Das wichtigste Sprachrohr des Teams ist der Sender "Radio Progreso“.
Radio Progreso blickt auf eine 57-jährige Geschichte zurück, das jüngste einschneidende Ereignis war der Staatsstreich gegen den liberalen Präsidenten Manuel Zelaya am 28. Juni 2009. Zelaya hatte Reformen zugunsten der verarmten Bevölkerungsmehrheit durchsetzen wollen. Radio Progreso war eines der wenigen Medien, die kritisch über den Putsch und die Repression gegen die darauf folgenden Proteste berichteten.
Ismael Moreno beschreibt die Aufgabe von Radio Progreso so:
"Radio Progreso hat versucht, Analysen der Geschehnisse zu liefern und damit einen Ausweg aus der Polarisierung zu suchen. Es war eine Herausforderung, denn außer Analysen zu bieten und eine ruhige Meinungsbildung in der Bevölkerung zu fördern, ging es auch darum, die Hoffnung zu nähren. Zu diesem Zweck begleiteten wir die Bevölkerung."
Besetzung des Senders durch Soldaten
Die neuen Machthabenden verbreiteten indessen wenig Hoffnung. Vier Stunden nach dem Putsch besetzten Soldaten Radio Progreso.
"Das Radio konnte sich wegen seiner Nähe zur honduranischen Bevölkerung behaupten. Im selben Moment, in dem 25 Soldaten in den Sender eindrangen, formierte sich eine Kundgebung vor dem Gebäude, um die Öffnung des Radios und den Rückzug des Militärs zu fordern."
Seit Honduras' Unabhängigkeit im Jahr 1821 teilen sich zwei Parteien die Macht, die beide eng mit den Großgrundbesitzern verflochten sind. Zwischenzeitlich kam es immer wieder zu Militärdiktaturen. Landbesitz und Wohlstand blieben stets ungleich verteilt. Heute leben zwei Drittel der Bevölkerung in Armut. In der Umgebung von El Progreso beanspruchen Zuckerunternehmen große Ländereien für sich, obwohl das Nationale Agrarinstitut Teile des Landes eigentlich Kleinbauern zugesprochen hat. Nicht weit von El Progreso sind in unscheinbaren Fabrikhallen die sogenannten Maquilas untergebracht, Billiglohnfabriken, in denen zumeist Kleidung für den Weltmarkt produziert wird. Der Journalist Inmer Gerardo Chévez arbeitet seit neun Jahren für Radio Progreso und berichtete häufig über die Situation in den Fabriken.
"Mein Thema war hier am Anfang die Verletzung von Arbeitsrechten in den Industriebetrieben, den Maquilas. Das ist ein Sektor, in dem Hungerlöhne gezahlt werden und eine große Ausbeutung herrscht, ohne dass die Behörden einschreiten. Meine Sendung hieß die 'Die Möwen – Stimmen aus der Maquila' hieß. Wir besuchten die Maquilas und interviewten die jungen Frauen und Männer dort zu Arbeitsrechtsverletzungen. Das Programm lief von acht bis neun Uhr abends."
Inmer Gerardo Chévez ging von Anfang an für seine Nachrichtensendungen hinaus auf die Straße, in die Gemeinden und in die Fabriken. Damit folgt er der Maxime, die bereits 1976 der damalige Direktor von Radio Progreso herausgegeben hatte: "Wir entscheiden uns für die Armen“. Inspiriert von der in Lateinamerika populären Befreiungstheologie berichteten die Korrespondenten live von den Landbesetzungen in der Region Bajo Aguan, wo sich in den 70er-Jahren neue Bauernkooperativen bildeten. Die Moderatoren im Studio spielten revolutionäre Lieder und erklärten ihre Solidarität mit den Befreiungsbewegungen Lateinamerikas.
"Befreie uns von dem, der uns beherrscht im Elend", singt Victor Jara, "bring uns dein Reich der Gerechtigkeit und Gleichheit."
Protestlieder wie dieses standen in Honduras auf dem Index. Weil sich Radio Progreso über das Verbot hinwegsetzte, ließ die regierende Militärjunta am 13. März 1979 den Sender abschalten und unterband in der Folge einige Programme.
Jesuitenpater für soziale Revolution
Ebenfalls 1979 wird der Jesuitenpater Guadalupe Carney ausgewiesen. Der in Honduras eingebürgerte US-Amerikaner hatte sich für die Organisation der landlosen Bauern eingesetzt, ihren Kampf um Land unterstützt und sich offen für eine soziale Revolution ausgesprochen.
Zitator:"Christ sein bedeutet Revolutionär zu sein. Wenn du kein Revolutionär bist, bist du auch kein Christ."
… schreibt Carney in seiner Autobiografie. 1983 wird er von honduranischen und US-amerikanischen Soldaten ermordet. Noch heute hängen Plakate Carneys im Zentrum der Jesuiten in El Progreso. An der Situation der landlosen Kleinbauern hat sich seit den 70er-Jahren wenig geändert. Noch immer unterstützen die Jesuiten die Bauernbewegung sowie weitere soziale Bewegungen im Land.
Auch auf Chévez' T-Shirt sind ein Porträt und ein Zitat Carneys aufgedruckt. Mit Überzeugung spricht der Reporter, Produzent und Moderator von seiner Arbeit.
"Ich beschäftige mich viel mit dem Agrarthema, mit der Frage des Zugangs zu Land für die Bäuerinnen und Bauern. Es gibt mehr als 350.000 landlose Familien, während die besten Böden sich in den Händen weniger Familien befinden."
Wegen seiner engagierten Berichterstattung erhielt Chévez wie viele andere Mitarbeiter von Radio Progreso Morddrohungen per SMS. Obwohl die Interamerikanische Menschenrechtskommission Schutzmaßnahmen für ihn und andere Reporter verlangte, tut der Staat nichts für seine Sicherheit.
"Klar, in einem Land wie unserem weiß man als Journalist nie, ob man den nächsten Tag erleben wird, da nichts einfacher ist, als einen Auftragsmörder anzuheuern."
Ein Mittel, mit der ständigen Anspannung fertig zu werden, ist die Satire. Chévez verkörpert auch einen Charakter im humoristischen Programm "Noti Nada“, der Nachrichtensendung "aus dem Land, wo alles passiert, ohne dass etwas passiert“.
Auch für Ismael Moreno erfüllt das Satireprogramm eine wichtige Aufgabe:
"Man kann sagen, Radio Progreso hat sich zu einem Sender entwickelt, der begleitet, der analysiert und der Humor zeigt. So tieftraurig die Realität auch sein mag, haben wir trotzdem die Fähigkeit, sie in Humor zu verwandeln."
Mehr zum Thema