Warum Frauen heute tiefer sprechen als früher
Der Abstand zur Stimmhöhe von Männern hat sich halbiert: Trotz unveränderter anatomischer Voraussetzungen, benutzten Frauen ihre Stimmen heute deutlich tiefer, sagt Michael Fuchs. Er war für eine groß angelegten Untersuchung der Uni Leipzig verantwortlich.
Frauen sprechen im Schnitt eine Oktave höher als Männer: Diese lange Zeit gültige Lehrmeinung wird von einer groß angelegten Untersuchung der Uni Leipzig widerlegt. Während man bisher von einer Durchschnittsfrequenz von 220 Hertz bei weiblichen Stimmen ausging, im Vergleich zu 110 Hertz bei Männern, hat sich dieser Abstand inzwischen deutlich verringert.
Ergebnis tausender Stimmuntersuchungen
Ein weiblicher Durchschnittswert von 165 Hertz ist das Ergebnis einer Studie, für die Michael Fuchs verantwortlich zeichnet, der Leiter der Sektion für Phoniatrie und Audiologie an der Leipziger Universitätsklinik. Im Rahmen der Forschung über Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Adipositas oder Schlaganfall habe man auch tausende Stimmuntersuchungen durchgeführt, erläuterte Fuchs im Deutschlandfunk Kultur den Hintergrund seiner wissenschaftlichen Arbeit: Die Untersuchung der Sprech- und der Singstimme habe pro Proband 20 Minuten betragen.
Aber was sind die Ursachen für die heutzutage deutlich tieferen Frauenstimmen? Einige plausible Vermutungen hätten sich als nicht zutreffend herausgestellt: Weder anatomische Veränderungen, wie eine zunehmende Körpergröße, oder hormonelle Faktoren konnten als Auslöser dieser jahrzehntelangen Entwicklung ausgemacht werden. Auch ein verändertes Rauchverhalten konnte als Erklärung für das Phänomen nicht wissenschaftlich bestätigt werden.
Tiefere Stimmbenutzung meist unbewusst
Letztlich lasse sich die frappierend deutliche Stimmveränderung bei den Frauen mit einer Art "Ausschlussdiagnose" erklären, so der Stimmarzt Michael Fuchs:
"Es ist eine andere Benutzung der Stimme. Die Frauen verfügen über die gleichen anatomischen Voraussetzungen wie vor 50 Jahren. Sie benutzen ihre Stimmen aber tiefer."
Damit folgten die Frauen in der Regel unbewusst einem veränderten Frauenbild in der Gesellschaft, so der Audiologe. Einige weibliche Politikerinnen, Moderatorinnen oder Frauen in öffentlichen Leitungspositionen erlernten die tiefere Stimmbenutzung mithilfe von Trainern allerdings ganz bewusst.
Emanzipation und Erfolg spielen wichtige Rolle
Je emanzipierter, je selbstbewusster und erfolgreicher eine Frau ist, desto tiefer ist ihre Stimme, so ungefähr könnte man die Forschungsergebnisse mit einer Pointe zusammenfassen. Man dürfe aber nicht vergessen, dass auch kulturelle Einflüsse eine Rolle spielten, gab Fuchs zu bedenken. Die Leipziger Studie beziehe sich auf eine mitteldeutsche Population und könne nicht auf globale Verhältnisse übertragen werden:
"Wir wissen beispielsweise, dass auch im weltweiten Vergleich Japanerinnen und Asiatinnen deutlich höher sprechen, als Frauen aus dem skandinavischen Bereich, wo wir die tiefsten Lagen finden. Das hängt natürlich mit den sozialen Gegebenheiten den Erwartungshaltungen zusammen. In Japan gilt es beispielsweise als Schönheitsideal, eine hohe Frauenstimme zu haben – und entsprechend viele Frauen sprechen dann auch höher. Aber wir wissen eben auch, dass Frauen in skandinavischen Ländern die tiefsten Stimmen im weltweiten Vergleich haben. Und das sind zumindest auch Länder, in denen der Emanzipationsgrad der Frau weit vorangeschritten ist."
Plädoyer für bedarfsgerechten Stimmeinsatz
Die Stimme dem jeweiligen Bedarf entsprechend einzusetzen, sei eine grundsätzliche Erkenntnis, sagte Fuchs abschließend. So helfe eine tiefere Stimme zum Beispiel, überzeugender zu wirken. Daher laute sein Appell an die Frauen:
"Nutzen Sie ihre Stimme in all ihrem Spektrum, in all ihrer Ausprägung. Dann werden Sie noch einen Tick erfolgreicher, als Sie es jetzt schon sind."
(hum)
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