Stimmen aus der Vergangenheit

Von Ralf Bei der Kellen · 04.07.2006
Sendungen, die an wichtige Personen oder Ereignisse der Zeitgeschichte erinnern, gehören zu den klassischen Programmplätzen des Radios. Eine besondere Faszination erhalten diese Beiträge, wenn sie mit Originaltönen angereichert sind. Dann sprechen die Stimmen längst verstorbener Größen aus Kultur, Politik und Wissenschaft über die Jahrzehnte zu den Hörern.
Die historischen Aufnahmen für solche Sendungen kommen häufig aus dem Deutschen Rundfunkarchiv. Die Nutzung seiner Bestände war bislang hauptsächlich Journalisten und Wissenschaftlern vorbehalten. Seit einiger Zeit sind Teile des Archivs auch der Öffentlichkeit zugänglich - das Internet macht’s möglich. Auf www.dra.de kann unter dem Stichwort "Online-Dienste" nun jeder von zu Hause aus auf über 250 mp3-Dateien zugreifen.

"Ich bin dankbar, dass ich die Gelegenheit bekomme, auch in einem Ort, der 73 oder 75 Prozent CDU gewählt hat, reden zu dürfen und reden zu können..."

Wie zum Beispiel auf diesen Ausschnitt einer Rede des prominentesten Vertreters der westdeutschen Studentenbewegung, Rudi Dutschke, vor demonstrierenden Schülern in Baden-Baden. Gut drei Minuten aus dem insgesamt über 14 Minuten langen Tondokument kann man sich hier anhören. Auf dra.de gibt es aber auch Musik.

Diese Aufnahme wurde am 9. November 1931 auf der Frankfurter Uraufführung des Violinkonzertes von Igor Stravinski gemacht. Die Leitung hatte der Komponist selbst. Allerdings klingen nicht alle Ausschnitte auf dieser Seite so gut.

"Ich habe diesen Film mit Stewart am Fenster durch ganzen Film in die selbe Platz mit die Bein in die Gips..."

Die meisten der mp3-Dateien sind extrem stark komprimiert. Bei einer so hohen Datenreduktion bleibt die Tonqualität schon mal auf der Strecke. Bei dieser Aufnahme, in der der Regisseur Alfred Hitchcock 1966 versucht, im Hessischen Rundfunk deutsch zu sprechen, kann man den Inhalt nach der Umwandlung in eine mp3-Datei nur noch erahnen.

Bei O-Tönen aus den ersten drei Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts, wo die Vorlagen häufig schlecht erhalten sind, ist dann manchmal gar nichts mehr zu verstehen. Vielleicht werden ja steigende Übertragungsraten im Internet das Deutsche Rundfunkarchiv in Zukunft dazu bewegen, ihre Schätze in höheren Auflösungen bereitzustellen.

Das Minuetto A-Dur, KV 15i von Wolfgang Amadeus Mozart, hier in der Aufnahme vom 27. August 1936 mit Joachim Altemark an einem historischen Tafelklavier. Da sich in diesem Jahr der Geburtstag des Komponisten zum 250. Mal jährt, wird auch diese Aufnahme sicherlich noch öfter im Radio zu hören sein.

Seit seiner Gründung 1952 sammelt, archiviert, dokumentiert und restauriert das Deutsche Rundfunkarchiv im Auftrag der ARD historische Tonaufnahmen. Auf seiner Homepage erfährt man, dass das Archiv ungefähr 900 Edison-Zylinder besitzt, die frühesten Tonspeichermedien überhaupt. Darüber hinaus lagern nicht weniger als 130.000 Schellackplatten in seinen Räumen. Unter ihnen gibt es wahrlich unglaubliche Tondokumente. So zum Beispiel die einzige Radioreportage aus einem Konzentrationslager.

"Kommen Sie mal her. Wie heißen Sie?"
"Schulze."
"Sind sie Kommunist gewesen?"
"Jawohl!"
"Was haben Sie jetzt für eine Essensuppe hier?"
"Erbsensuppe."

Diese Aufnahme wurde im Lager Oranienburg gemacht und am 30. September 1933 vom bereits gleichgeschalteten Rundfunk gesendet.

"Was meinen Sie wohl, was wir Nationalsozialisten zu Essen gekriegt hätten, wenn ihr Kommunisten am Ruder gewesen wärt! Ich glaube, ihr hättet uns nicht anständig behandelt, wie ihr hier behandelt werdet!"

Ähnlich "unheimlich" ist die Aufnahme eines Gespräches zwischen Adolf Hitler und Feldmarschall Carl Gustav Mannerheim am 4. Juni 1942 in Finnland. Das elfminütige Dokument ist eine der wenigen Aufnahmen, auf der Hitlers Stimme nicht mit dem gewohnten schrillen Befehlston zu hören ist.

"Unsere ganze Bewaffnung war ja ... es ist eine Schönwetterbewaffnung. Sie ist sehr tüchtig, sie ist gut, aber sie ist leider eine Schönwetterbewaffnung."

Nicht wenige der auf der Webseite des Deutschen Rundfunkarchivs zu findenden O-Töne werfen ein ganz neues Licht auf historische Begebenheiten. Das gilt für die Politik genauso wie für den Sport. Herbert Zimmermanns berühmte Reportage vom Endspiel in Bern am 4. Juli 1954 hat wahrscheinlich noch jeder im Ohr.

"Rahn schießt - Tor! Tor! Tor!"

Auf dra.de kann man das Siegertor von Helmut Rahn auch aus der Perspektive des DDR-Rundfunks hören. Der Reporter war Wolfgang Hempel.

"Schäfer flankt, Schäfer flankt, da ist Rahn, da, Rahn schießt, nein, er dribbelt, schießt! - Tooor! Tor!"

Und vielleicht findet die aktuelle WM ja ein ähnliches Happy End.