Anlässlich der Europawahl 2019 haben wir Schriftstellerinnen in der Reihe "Stimmen für Europa" gefragt: Was bedeutet Ihnen Europa? Was gilt es zu schützen und was zu kritisieren? Dabei sind literarische Texte entstanden, die verschiedene kulturelle und sprachliche Hintergründe haben.
1964 in Kopenhagen geborgen, pendelt Janne Teller zwischen New York, Paris und Kopenhagen. Ihr Debüt "Odins Insel" war ein Bestseller in Dänemark. International bekannt wurde sie mit dem Jugendbuch "Nichts. Was im Leben wichtig ist".
"Mein Traum für Europa ist der eines Hauses"
04:34 Minuten
Die dänische Autorin Janne Teller wünscht sich Europa als ein Haus der Variationen: "Sein besonderer Stolz besteht darin, dass es so viele Unterschiede fassen kann, und doch harmonisch ist, weil alle Unterschiede gleichermaßen respektiert werden."
Mein Traum für Europa ist der eines Hauses.
Ein magisches, majestätisches, auch mystisches Haus, das sich bei jedem Blick verändert. Die Farben der Flure reichen von einem eher gräulichen Braun und Weiß im Norden über endlose Grüntöne zwischen zartem Frühlings-Frosch-Grün und dunklem Bierflaschen-Grün, über das Rot, Lila-Rosa und Türkis des Südens bis hin zum Rostrot und zum verbranntem Sand-Ton der südlichsten Spitzen. Manche Treppenhäuser haben Wendeltreppen, andere sind rechteckig, manche steigen fast senkrecht in den Himmel, wieder andere sind flach, mit nur wenigen Finger-hohen Stufen. Teile des Korridors erstrecken sich weich wie Wiesen im Tal, manche werfen das Echo harten Granits zurück, wieder andere lassen einen wie im Wald gehen, und ein paar überschwemmte Flure müssen wie Flüsse überquert werden.
Jeder Raum ist unterschiedlich, wundersam, faszinierend anders. Die Sprache ist anders, die Musik, das Essen, der Stil, die Gebräuche. Die Natur, die Topographie. Aber selbst innerhalb eines jeden Raumes gibt es weitere Unterschiede. Auf Schritt und Tritt entdeckt man etwas, das man sonst nirgends sieht. Oder doch sieht, aber auf andere Art, manchmal mit so kleinen Abweichungen, dass man sie kaum ausmachen kann, nur die Sinne sagen einem, dass sie da sind.
Das Faszinierende an diesem Haus ist seine Einheit mit allen Varianten. Es definiert sich selbst als Haus der Variationen. Sein besonderer Stolz besteht darin, dass es so viele Unterschiede fassen kann, und doch harmonisch ist, weil alle Unterschiede gleichermaßen respektiert werden.
Es versteht sich, dass kein wirklicher Wohlstand existiert, wo sich Armut ausbreitet. Kein Glück ist möglich, wo Not überwiegt. Keine Freude, wo einer gewinnt und viele verlieren. Wo eine Person als wertvoller angesehen wird als eine andere. Wo für verschiedene Menschen verschiedene Regeln gelten. Es versteht sich, dass die Freiheit des Einzelnen heilig ist, bis zu dem Punkt, an dem sie die Freiheit des anderen verletzen würde.
Es ist ein Haus, das nicht nur auf all seine wirklich beeindruckenden Errungenschaften stolz ist, auf philosophisches Denken, auf Kunst, Wissenschaft, Demokratie, sondern auch darauf, die Fehler auszugleichen, die es in der Vergangenheit gegenüber Gruppen innerhalb oder außerhalb des Hauses begangen haben könnte. Es ist ein Haus, das stolz darauf ist, seine gesamte Politik geändert zu haben, um sicherzustellen, dass alle anderen Häuser eine ebensolche Lebensfähigkeit und Sicherheit erreichen, dass deren Bewohner nicht mehr Zuflucht in diesem Haus suchen müssen. Aber es versteht sich von selbst, dass wenn der eine oder andere vorübergehend Schutz braucht, das Haus natürlich seine Hand ausstrecken wird, denn wofür sonst ist das Leben da? Denn der eigentliche Sinn des Lebens liegt in der Verbesserung der Lebensfähigkeit und der Lebensgrundlage aller Menschen.
Mein Traum für Europa ist dieses Haus: Das Haus der Vielfalt, das Haus subtiler Qualitäten, das Haus der Lebensfähigkeit. DAS EUROPÄISCHE HAUS.
Ein magisches, majestätisches, auch mystisches Haus, das sich bei jedem Blick verändert. Die Farben der Flure reichen von einem eher gräulichen Braun und Weiß im Norden über endlose Grüntöne zwischen zartem Frühlings-Frosch-Grün und dunklem Bierflaschen-Grün, über das Rot, Lila-Rosa und Türkis des Südens bis hin zum Rostrot und zum verbranntem Sand-Ton der südlichsten Spitzen. Manche Treppenhäuser haben Wendeltreppen, andere sind rechteckig, manche steigen fast senkrecht in den Himmel, wieder andere sind flach, mit nur wenigen Finger-hohen Stufen. Teile des Korridors erstrecken sich weich wie Wiesen im Tal, manche werfen das Echo harten Granits zurück, wieder andere lassen einen wie im Wald gehen, und ein paar überschwemmte Flure müssen wie Flüsse überquert werden.
Jeder Raum ist unterschiedlich, wundersam, faszinierend anders. Die Sprache ist anders, die Musik, das Essen, der Stil, die Gebräuche. Die Natur, die Topographie. Aber selbst innerhalb eines jeden Raumes gibt es weitere Unterschiede. Auf Schritt und Tritt entdeckt man etwas, das man sonst nirgends sieht. Oder doch sieht, aber auf andere Art, manchmal mit so kleinen Abweichungen, dass man sie kaum ausmachen kann, nur die Sinne sagen einem, dass sie da sind.
Das Faszinierende an diesem Haus ist seine Einheit mit allen Varianten. Es definiert sich selbst als Haus der Variationen. Sein besonderer Stolz besteht darin, dass es so viele Unterschiede fassen kann, und doch harmonisch ist, weil alle Unterschiede gleichermaßen respektiert werden.
Es versteht sich, dass kein wirklicher Wohlstand existiert, wo sich Armut ausbreitet. Kein Glück ist möglich, wo Not überwiegt. Keine Freude, wo einer gewinnt und viele verlieren. Wo eine Person als wertvoller angesehen wird als eine andere. Wo für verschiedene Menschen verschiedene Regeln gelten. Es versteht sich, dass die Freiheit des Einzelnen heilig ist, bis zu dem Punkt, an dem sie die Freiheit des anderen verletzen würde.
Es ist ein Haus, das nicht nur auf all seine wirklich beeindruckenden Errungenschaften stolz ist, auf philosophisches Denken, auf Kunst, Wissenschaft, Demokratie, sondern auch darauf, die Fehler auszugleichen, die es in der Vergangenheit gegenüber Gruppen innerhalb oder außerhalb des Hauses begangen haben könnte. Es ist ein Haus, das stolz darauf ist, seine gesamte Politik geändert zu haben, um sicherzustellen, dass alle anderen Häuser eine ebensolche Lebensfähigkeit und Sicherheit erreichen, dass deren Bewohner nicht mehr Zuflucht in diesem Haus suchen müssen. Aber es versteht sich von selbst, dass wenn der eine oder andere vorübergehend Schutz braucht, das Haus natürlich seine Hand ausstrecken wird, denn wofür sonst ist das Leben da? Denn der eigentliche Sinn des Lebens liegt in der Verbesserung der Lebensfähigkeit und der Lebensgrundlage aller Menschen.
Mein Traum für Europa ist dieses Haus: Das Haus der Vielfalt, das Haus subtiler Qualitäten, das Haus der Lebensfähigkeit. DAS EUROPÄISCHE HAUS.