Anlässlich der Europawahl am 26. Mail 2019 haben wir Schriftstellerinnen in der Reihe "Stimmen für Europa" gefragt: Was bedeutet Ihnen Europa? Was gilt es zu schützen und was zu kritisieren? Dabei sind literarische Texte entstanden, die verschiedene kulturelle und sprachliche Hintergründe haben.
Laura de Weck wurde 1981 in Zürich geboren. Die Schauspielerin und Bühnenautorin verfasste zahlreiche Theaterstücke, die weltweit aufgeführt werden.
"Ich wünsche mir, EU-Bürgerin zu sein"
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Als Schweizerin gehört sie zwar nicht zur EU, aber Laura de Weck empfindet Europa als "historisches Wunder". Die Schauspielerin und Bühnenautorin würde zu gern an den Wahlen zum Europäischen Parlament teilnehmen.
Als ich zwölf Jahre alt war, zog meine Familie in die Schweiz. Am ersten Schultag fragten mich meine Mitschüler: "Wo chunnsch du här? – Woher kommst Du?"
Ich bin Schweizerin, bin aber in Frankreich und Deutschland aufgewachsen. Was sollte ich meinen Mitschülern antworten? Dass ich gerade aus Deutschland komme? Aber ursprünglich aus der Schweiz? Und früher in Frankreich... Ach, was war richtig? Ich war nervös. Ich wusste nicht, was sagen. Da fiel es mir plötzlich ein: "Ich komme aus Europa!", sagte ich. Da waren sie alle still. Und ich wusste, woher ich kam.
Erst viele Tage später kam die Kränkung, als jemand sagte: "Europa? Du? Du kommst doch nicht aus Europa! Die Schweiz ist gar nicht in der EU."
Was die Mitgliedsländer über Europa sagen
Dabei wollte ich unbedingt zu Europa gehören. Das Schengener Abkommen ist noch vor meiner ersten Interrail-Reise in Kraft getreten. Seit ich denken kann, bewege ich mich in Europa, lebe in andauerndem Frieden und in Demokratien: ein historisches Wunder. Wie meine Generation sich bewegt, reist, arbeitet, studiert, kommuniziert und koproduziert, leben wir die Idee Europas. Und lieben die Idee Europas. Aber wir schützen sie nicht.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hielt der Brite Churchill seine berühmte Zürcher Rede und rief die Europäer auf: "Lassen Sie Europa entstehen!"
Heute sagt Großbritannien: "Vereinigte Europäer, ich gehe!"
1951 sagte Dänemark: "Als erste treten wir der Genfer Flüchtlingskonvention bei!"
Heute sagt Dänemark: "Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen ist uns scheißegal."
1967 sagte Irland: "Wir müssen in Europa die Steuern harmonisieren!"
Heute sagen die meisten Iren: "Nur die irischen Steuern wollen wir optimieren."
1990 sagte Österreich: "Die EU ist ein Raum des Rechts!"
Heute sagen immer mehr Österreicher: "Für uns gilt nur österreichisches Recht."
2003 sagte Ungarn: "Öffnet uns eure Grenzen!"
Heute sagen viele Ungarn: "Zieht sie hoch, eure Grenzen!"
2015 sagte Deutschland: "Wir schaffen das!"
Heute sagen die Deutschen viel lieber: "Afrika schafft das."
Willkür und Egozentrik
Die europäischen Werte haben sich in ihr Gegenteil verkehrt. Und nationale Kräfte arbeiten weiter daran, aus einem Europa des Friedens, der Menschrechte, der sozialen Marktwirtschaft und der Rücksicht auf den Nachbarn ein Europa der Willkür und Egozentrik zu basteln.
Jetzt, kurz vor den Europawahlen, wünsche ich mir mehr denn je, nicht nur Schweizerin, sondern auch EU-Bürgerin zu sein – um meinen verdammten Wahlzettel in die europäische Urne werfen zu dürfen.Anlässlich der Europawahl am 26. Mail 2019 haben wir Schriftstellerinnen in der Reihe "Stimmen für Europa" gefragt: Was bedeutet Ihnen Europa? Was gilt es zu schützen und was zu kritisieren? Dabei sind literarische Texte entstanden, die verschiedene kulturelle und sprachliche Hintergründe haben.