Experiment "Bedingungsloses Grundeinkommen" im Überblick:
Ziel: die Auszahlung eines bedingungslosen Grundeinkommens statt der Arbeitslosenunterstützung und angegliederten Sozialleistungen zu testen
Beschlossen von: der konservativen Regierungskoalition in Finnland aus Sammlungs- und Zentrumspartei sowie den nationalistischen Wahren Finnen. Diskutiert wurde das Experiment schon seit vielen Jahren, Wortführer waren jedoch die Grünen und Linken
Höhe des Grundeinkommens: 560 Euro monatlich
Bedingungslos heißt: Die Empfänger sind in keiner Weise rechenschaftspflichtig, was sie mit diesem Geld machen und müssen keinerlei Gegenleistung erbringen
Laufzeit: zwei Jahre, Anfang 2017 gestartet
Teilnehmer: 2000 von der Sozialversicherungsanstalt Kela nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Personen, alle waren zu dem Zeitpunkt arbeitslos – sie durften nicht ablehnen
Auswertung: die 2000 Testpersonen werden verglichen mit einer Kontrollgruppe von 175.000 Langzeitarbeitslosen, die nicht pauschal 560 Euro pro Monat bekommen, sondern ihre bisherigen Sozialleistungen. Zwei Fragen sollen beantwortet werden: Ob die Empfänger des bedingungslosen Grundeinkommens gearbeitet haben oder nicht und ob ein pauschaler Betrag den bürokratischen Aufwand bei der Berechnung der Sozialleistungen abbauen kann
Kritik: das Experiment umfasse zu wenige Teilnehmer, statt der anfangs geplanten 10.000 sind es nur 2000. Mit einer Laufzeit von zwei Jahren sei es zu kurz, vor allem aber müssten viel mehr Gruppen als nur Arbeitslose einbezogen werden, also auch Menschen mit Beschäftigung, Studenten etc.
Finnland probiert das bedingungslose Grundeinkommen
Seit Beginn des Jahres lässt in Finnland ausgerechnet eine konservative Regierung den Traum vieler Menschen in der Praxis testen: ein bedingungsloses Grundeinkommen. Teilnehmer und Experten geben erste Einschätzungen zum Experiment.
Mira Jaskari bekommt zwei Jahre lang 560 Euro pro Monat. Sie kann arbeiten, aber sie muss nicht, denn die 34-Jährige mit den rosa gefärbten Haaren ist eine der 2000 Testpersonen für das bedingungslose Grundeinkommen. Bewerben konnte man sich für das Experiment nicht, aber ablehnen durfte auch niemand. Ausgewählt wurde nur Arbeitslose. Mira Jaskari trägt Zeitungen aus in Turku. Die Stadt in Süd-Finnland wurde vor kurzem von einem Terroranschlag erschüttert, als ein islamistischer Attentäter auf dem Marktplatz auf Passanten mit einem Messer einstach und zwei Frauen tötete.
Am Tatort wurde ein Baum gepflanzt, legen Passanten noch immer Blumen nieder, brennen Kerzen. Unweit davon, in einem Café, wollte Mira Jaskari ihr Interview geben. Sie erscheint nicht. Im Fernsehen hat sie von ihren Depressionen gesprochen, was vielleicht der Grund für ihr Fernbleiben ist. Wegen der Erkrankung hat sie schon mehrfach Jobs verloren, bekannte sie gegenüber dem TV-Team.
"Ich bekam Panikattacken. Die kamen aus heiterem Himmel und überraschten auch mich selbst, denn so etwas hat früher nicht zu meinem Leben gehört. Ich bin zum Arzt gegangen, der mich krankgeschrieben hat. Mein neuer Arbeitgeber hat sich allerdings weniger über die Krankschreibung gefreut. Er hat mich – direkt nachdem ich wieder gesund geschrieben war – entlassen, noch während der Probezeit."
Für Mira Jaskari ist das bedingungslose Grundeinkommen eine große Hilfe, sagt sie später am Telefon. Wollte sie früher einen Job annehmen, scheiterte sie häufig schon an der Bürokratie.
Das Experiment verfolgt mindestens zwei Ziele: das gängige Vorurteil zu überprüfen, dass der Menschen nämlich nicht arbeitet, wenn er nicht muss. Wer doch arbeitet, kann die 560 Euro behalten, nur der Zuverdienst wird versteuert. Und gleichzeitig soll der Test zeigen, ob das Grundeinkommen die unzähligen Arten von Sozialhilfen ersetzen kann. Wenn Mira Jaskari gesund ist, radelt sie jetzt in aller Frühe mit den Zeitungspaketen durch Turku.
Auf dem Markt in Turku wird der 100. Jahrestag der finnischen Staatsgründung gefeiert. Eine Rockband spielt, die Parteien haben Info-Stände aufgebaut. Jyrki Aland von den rechtsnationalen Wahren Finnen begrüßt das Experiment mit dem Grundeinkommen, wie die allermeisten im Land.
"Das Ergebnis ist von großer Bedeutung, denn es beantwortet die Frage, ob es volkswirtschaftlich vernünftig ist, ob es besonders bei Jugendlichen die Motivation verringert, Arbeit aufzunehmen."
Finnland war früher sehr stolz auf seinen Handy-Hersteller Nokia und den Sieg beim PISA-Schultest. Aber der PISA-Erfolg liegt schon eine Weile zurück und Nokia erlebte einen solchen Abstieg, dass das Image als Vorreiter etwas lädiert ist. Der Versuch mit dem Grundeinkommen stellt den Ruf Finnlands als innovative Nation wieder her, sagt der gelernte Bäcker Mika Ruusunen in Tampere, auch er eine Testperson.
"Ich bin ziemlich stolz, bei diesem einmaligen Experiment, das es zum ersten Mal in der Geschichte gibt, dabei zu sein. Es mag nicht perfekt sein, aber in 100 Jahren werden wir sagen können: Es hat hier begonnen."
Bei allem Stolz gibt Mika Ruusunen nur ausländischen Medien Interviews, denn seine Bekannten könnten neidisch sein, dass er das bedingungslose Grundeinkommen erhält. Vor allem weil er es nicht braucht, denn genau nach seiner Umschulung zum IT-Fachmann und seiner Festanstellung begann das Experiment.
"Manche finden, dass das Experiment falsch ist, weil es Geld ohne jede Gegenleistung gibt. Andere meinen, dass das exakt das ist, was sie brauchen, was ihnen genau die Hilfe verschafft, die nötig ist, um aus ihrer schwierigen Lage herauszukommen."
Ob Menschen trotz Grundsicherung arbeiten und damit ebenfalls zum Steueraufkommen beitragen, kann jetzt zur Halbzeit in Helsinki noch niemand sagen. Dass danach jeder der fünfeinhalb Millionen Finnen ein bedingungsloses Grundeinkommen erhält, bezweifelt der Ökonom Ville-Veiko Pullka, der den Test mit organisierte.
"Wenn man dieses Experiment auf das ganze Land übertragen würde, würde das 11 Milliarden Euro kosten. Das ist sehr viel, wenn man vergleicht, dass das Staatsbudget nur 55 Milliarden pro Jahr beträgt."
Anders als hierzulande entfacht die Idee von einem Basiseinkommen bei unseren nordischen Nachbarn keine Diskussion über den Begriff Arbeit als solche, über mehr Kreativität und Selbstverwirklichung des einzelnen. Das Experiment ist weit pragmatischer, weswegen es bei aller Begeisterung auch Kritik gibt. Statt der anfangs geplanten 10.000 hat es nur 2000 Teilnehmer, die Laufzeit von zwei Jahren sei zu kurz, vor allem aber müssten neben Arbeitslosen auch Geringverdiener, Existenzgründer und Studenten einbezogen werden.
Pertti Honkanen von der Sozialversicherungsagentur vermutet, dass sich das Grundeinkommen nach dem Test erledigt hat, zu aufwendig wäre der Umbau des Steuer- und Beihilfesystems.
"Die meisten Parteien sind nicht bereit zu so einer radikalen Entscheidung."