Stimmungsaufheller
„Steigende Lebensfreude trotz sinkender Aktienkurse!“ schrie es mir neulich aus einer PR-Meldung entgegen. „Finanzkrise: Mit XX den Burnout verhindern!“ Der Markenname bleibe hier maskiert, es handelte sich um eine Hormonkur. „Physisch gestärkt kann die Kreditkrise bewältigt werden“, schürte die Werbebotschaft Hoffnung. Nach drei bis sechs Monaten sei mit positiven Ergebnissen zu rechnen.
Es gibt sie also noch, die findigen Krisengewinnler, und sie sind gar nicht dumm. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist in sechs Monaten das Schlimmste überstanden. So oder so fühlt man sich dann besser, und die XX-Kur mag den Erfolg für sich reklamieren. Allerdings kostet sie nicht gerade wenig, weswegen ich eine billigere Aufmunterungsvariante bevorzuge, nämlich den schlichten Gebrauch des eigenen Verstands. Genauer: der Abteilungen Mathematik und Logik.
Drei Viertel aller negativen Meldungen dieser Tage – inklusive Regierungsverlautbarungen – basieren keineswegs auf absoluten Fakten, sondern auf Relationen. So soll die deutsche Wirtschaft um 2¼ Prozent oder nach der finstersten Prognose sogar um 4 Prozent schrumpfen. Schon steht allen der Zusammenbruch von Demokratie und Zivilisation vor Augen, weil – scheinbar schlüssige Argumentation – in der Weltwirtschaftskrise 1929 weniger prozentualer Einbruch herrschte. Und was dann kam, weiß man ja: 33, Hitler, Krieg.
Abgesehen davon, dass eine Weltgesellschaft, die sich in Zukunft verantwortungsvoll verhielte, sowieso mit Nullwachstum auskommen müsste, weil sich dieser Planet nicht im Maßstab unserer Konsumgier aufbläht und seine Ressourcen vervielfacht – ganz abgesehen davon geht diese Logik auch sonst in die Irre. Ein paar Prozent von sehr viel – nämlich von unserem eminenten volkswirtschaftlichen Reichtum – ist absolut gesehen wenig.
Eine schrumpfende Überflussgesellschaft bleibt eine Überflussgesellschaft, die es sich ja sogar leisten will, intaktes Volksvermögen durch KFZ-Abwrackprämien zu vernichten. Was nichts weniger besagt denn: Es herrscht ein Zuviel an Autos, kein Mangel. Warum muss man da jammern? Wäre es nicht besser, Produktionsweisen zu hinterfragen, überzogene Absatzziele zu revidieren und auf Werterhaltung statt auf Neuproduktion zu setzen?
Zurück zum faulen Zahlenzauber: Wohlstand ist relativ, nur Elend ist absolut. Hat man die Schwelle zum Elend einmal hinter sich gelassen und einigen Abstand gewonnen, kann man sich Einbußen durchaus leisten. Sie machen zwar weniger reich, aber sie machen nicht arm. Wir sind sogar kollektiv gesehen so wohlhabend, dass wir uns eine offizielle Armutsdefinition leisten, die in Relation zum Reichtum mitwächst: Arm ist immer derjenige, der einen gewissen Prozentsatz des Durchschnittswohlstands unterschreitet.
Also reden wir in der Krise auch nicht von Hungertoten, Massenobdachlosigkeit, Slums in den Großstädten, einer Lebenserwartung von weniger als 40 Jahren und was dergleichen an echten Elendsmerkmalen mehr sind. Vor dem Hintergrund des wirklichen, absoluten Elends auf der Welt und in unserer eigenen Geschichte, nimmt sich das Krisentremolo, diese Dauerweltuntergangsstimmung samt ihrer martialischen Durchhalteparolen nachgerade obszön aus. Tatsächlich herrscht, solange noch in Relationen geklagt wird, überall satter Wohlstand.
Wer den Mut hat, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, kann dem Absturz der Weltwirtschaft einigermaßen gelassen entgegensehen. Im Rückblick wird 2009 den meisten Menschen wie eine mediale Schauergeschichte vorkommen, während die Erinnerung an persönliche Belastungen rasch verblasst.
Aber was ist, wenn ich mich irre? Dann habe ich immerhin die Krise nicht
durch unglückslüsternen Pessimismus verstärkt. Robert Louis Stevenson, der Autor der „Schatzinsel“, bereiste in den 1870er-Jahren die USA: „Ich erinnere mich, dass ich vor einer Weile, als Chicago niedergebrannt war“, berichtete er in seinen Reiseschilderungen, „von einem Mann gehört habe, der, bevor er mit dem Wiederaufbau seines Hauses begann, eine Tafel mit folgender Inschrift aufgestellt hatte: ‚Alles verloren. Habe Frau und drei Kinder. Habe die Welt, um neu zu beginnen.‘ Und dann in großen Buchstaben das Wort: Energie.“
So halten wir’s jetzt bitteschön auch.
Florian Felix Weyh, geboren 1963, lebt als Autor und Publizist in Berlin. Preise und Stipendien für Drama, Prosa und Essay; seit 1988 arbeitet er regelmäßig als Literaturkritiker für den Deutschlandfunk. Sein jüngstes Buch „Die letzte Wahl – Therapien für die leidende Demokratie“ erschien im August 2007 in der Anderen Bibliothek. Verstreute Texte und weitere Informationen zur Person sind auf www.weyh.info zu finden.
Drei Viertel aller negativen Meldungen dieser Tage – inklusive Regierungsverlautbarungen – basieren keineswegs auf absoluten Fakten, sondern auf Relationen. So soll die deutsche Wirtschaft um 2¼ Prozent oder nach der finstersten Prognose sogar um 4 Prozent schrumpfen. Schon steht allen der Zusammenbruch von Demokratie und Zivilisation vor Augen, weil – scheinbar schlüssige Argumentation – in der Weltwirtschaftskrise 1929 weniger prozentualer Einbruch herrschte. Und was dann kam, weiß man ja: 33, Hitler, Krieg.
Abgesehen davon, dass eine Weltgesellschaft, die sich in Zukunft verantwortungsvoll verhielte, sowieso mit Nullwachstum auskommen müsste, weil sich dieser Planet nicht im Maßstab unserer Konsumgier aufbläht und seine Ressourcen vervielfacht – ganz abgesehen davon geht diese Logik auch sonst in die Irre. Ein paar Prozent von sehr viel – nämlich von unserem eminenten volkswirtschaftlichen Reichtum – ist absolut gesehen wenig.
Eine schrumpfende Überflussgesellschaft bleibt eine Überflussgesellschaft, die es sich ja sogar leisten will, intaktes Volksvermögen durch KFZ-Abwrackprämien zu vernichten. Was nichts weniger besagt denn: Es herrscht ein Zuviel an Autos, kein Mangel. Warum muss man da jammern? Wäre es nicht besser, Produktionsweisen zu hinterfragen, überzogene Absatzziele zu revidieren und auf Werterhaltung statt auf Neuproduktion zu setzen?
Zurück zum faulen Zahlenzauber: Wohlstand ist relativ, nur Elend ist absolut. Hat man die Schwelle zum Elend einmal hinter sich gelassen und einigen Abstand gewonnen, kann man sich Einbußen durchaus leisten. Sie machen zwar weniger reich, aber sie machen nicht arm. Wir sind sogar kollektiv gesehen so wohlhabend, dass wir uns eine offizielle Armutsdefinition leisten, die in Relation zum Reichtum mitwächst: Arm ist immer derjenige, der einen gewissen Prozentsatz des Durchschnittswohlstands unterschreitet.
Also reden wir in der Krise auch nicht von Hungertoten, Massenobdachlosigkeit, Slums in den Großstädten, einer Lebenserwartung von weniger als 40 Jahren und was dergleichen an echten Elendsmerkmalen mehr sind. Vor dem Hintergrund des wirklichen, absoluten Elends auf der Welt und in unserer eigenen Geschichte, nimmt sich das Krisentremolo, diese Dauerweltuntergangsstimmung samt ihrer martialischen Durchhalteparolen nachgerade obszön aus. Tatsächlich herrscht, solange noch in Relationen geklagt wird, überall satter Wohlstand.
Wer den Mut hat, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, kann dem Absturz der Weltwirtschaft einigermaßen gelassen entgegensehen. Im Rückblick wird 2009 den meisten Menschen wie eine mediale Schauergeschichte vorkommen, während die Erinnerung an persönliche Belastungen rasch verblasst.
Aber was ist, wenn ich mich irre? Dann habe ich immerhin die Krise nicht
durch unglückslüsternen Pessimismus verstärkt. Robert Louis Stevenson, der Autor der „Schatzinsel“, bereiste in den 1870er-Jahren die USA: „Ich erinnere mich, dass ich vor einer Weile, als Chicago niedergebrannt war“, berichtete er in seinen Reiseschilderungen, „von einem Mann gehört habe, der, bevor er mit dem Wiederaufbau seines Hauses begann, eine Tafel mit folgender Inschrift aufgestellt hatte: ‚Alles verloren. Habe Frau und drei Kinder. Habe die Welt, um neu zu beginnen.‘ Und dann in großen Buchstaben das Wort: Energie.“
So halten wir’s jetzt bitteschön auch.
Florian Felix Weyh, geboren 1963, lebt als Autor und Publizist in Berlin. Preise und Stipendien für Drama, Prosa und Essay; seit 1988 arbeitet er regelmäßig als Literaturkritiker für den Deutschlandfunk. Sein jüngstes Buch „Die letzte Wahl – Therapien für die leidende Demokratie“ erschien im August 2007 in der Anderen Bibliothek. Verstreute Texte und weitere Informationen zur Person sind auf www.weyh.info zu finden.

Florian Felix Weyh, Schriftsteller und freier Journalist in Berlin© Katharina Meinel