Stimmungsbericht aus Chemnitz

In der Stadt kehrt keine Ruhe ein

Zahlreiche Polizeiwagen stehen am Chemnitzer Bahnhof.
In Chemnitz zeigt die Polizei Präsenz, damit sich Szenen wie Ende August nicht wiederholen. © Deutschlandradio / Sebastian Engelbrecht
Von Sebastian Engelbrecht |
Rechtspopulisten und Rechtsextremisten mobilisieren und demonstrieren, Linke und Liberale halten dagegen: Seit der Tötung eines Chemnitzers Ende August ist die Lage angespannt, Hass und Gewalt sind an der Tagesordnung.
Sachsens Ministerpräsident Kretschmer beschrieb die Ereignisse in Chemnitz kürzlich als "Bewährungsprobe" für den Freistaat. Diese Probe ist aber längst nicht überstanden. Denn seit Ende August ruft die rechtspopulistische Bürgerbewegung "Pro Chemnitz" weiterhin freitags zu Demonstrationen auf - fast unbemerkt von der Öffentlichkeit. Am 21. September versammelten sich 2000 rechte Demonstranten in Chemnitz. Das Motto: "Wie viele Tote durch Staatsversagen noch? Abschiebungen retten Leben."
Es gab 400 Gegendemonstranten. Am linken Versammlungszentrum "Rothaus" ging bei einem Angriff nach der Demonstration eine Scheibe zu Bruch. Für den 28. September ruft "Pro Chemnitz" erneut zu einer Kundgebung auf. Das Motto "Widerstand fürs Sachsenland."

"Pro Chemnitz" heizt die Stimmung weiter an

Die Stadt ist seit der Tötung eines deutsch-kubanischen Chemnitzers Ende August und den rechtsradikalen Demonstrationen nicht zur Ruhe gekommen. Das Stadtbild hat sich völlig verändert: Freitags waren zuletzt 800 Polizisten auf den Straßen der Stadt präsent, auch aus Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Baden-Württemberg. Im Umfeld des Bahnhofs zeigt die Bundespolizei Präsenz mit Mannschaftswagen und einem Bus.
Auf den Straßen sind viele Zuwanderer zu sehen, die zum Teil auch aus benachbarten Ortschaften kommen. Für die Chemnitzer ist das bunte Stadtbild immer noch ungewohnt – anders als in Köln, Berlin oder Hamburg, wo sich die Menschen seit Jahrzehnten daran gewöhnt haben. Viele fühlen sich deshalb fremd in der eigenen Stadt, es entsteht ein Gefühl von Unsicherheit, obwohl sich die Mehrzahl der Einwanderer friedlich verhält.
Trotz der Übergriffe: In Chemnitz sind viele Migranten unterwegs.
Trotz der Übergriffe: In Chemnitz sind viele Migranten unterwegs.© Deutschlandradio / Sebastian Engelbrecht
Die Rechtspopulisten der Bürgerbewegung "Pro Chemnitz" machen regelmäßig Stimmung gegen Ausländer, etwa bei den Freitagsdemonstrationen. Am 14. September überfiel eine Gruppe von Männern auf der Schlossteichinsel einen jungen Iraner. Die Polizei nahm mehrere Männer fest, auch wurden Haftbefehle gegen die Täter erlassen.

"Bürgerwehren" nehmen Personenkontrollen vor

Zudem sind selbst ernannte Bürgerwehren aktiv. Nach den rechtspopulistischen Demonstrationen ziehen sie los, machen Personalausweiskontrollen. Männergruppen bedrohen Migranten, greifen ein jüdisches Restaurant, ein linkes Versammlungszentrum an. Die Stadt kommt nicht zur Ruhe. Aus einer verschlafenen Stadt, die in den 1990er-Jahren mit der Abwanderung zu kämpfen hatte, ist ein Ort geworden, in dem die Zuwanderung soziale Unruhe verursacht. Stellvertretend für ganz Deutschland liefern sich rechtspopulistische Demonstranten und Gegendemonstranten, Nazis und die Polizei einen Schlagabtausch.
Die Stimmung in Chemnitz ist aufgekratzt. In Gesprächen mit Chemnitzern sind Verunsicherung und Wut angesichts der Ereignisse seit dem 26. August zu spüren. Lange Unterdrücktes wird in Interviews jetzt offen gesagt.
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