Stöhnen und Schreien

Von Hartmut Krug |
Kaum ein Buch hat sich in den letzten Jahren so gut verkauft wie "Feuchtgebiete" von Charlotte Roche mit über einer Millionen Exemplaren. Es ist der subjektive Zustandsbericht einer Endpubertierenden, die ihren Körper erkundet. Die Literaturkritiker haben sich eher ratlos bis angewidert geäußert. Jetzt hat Regisseurin Christina Friedrich das Stück zum ersten Mal in Halle auf die Bühne gebracht. Zuckende Körper und Stöhnen und Schreien kommen zwar vor, aber nicht in einer für die Bühne neuen Dimension.
Szenisch auf der Bühne visualisieren kann man die Reflektionen der 18-jährigen Helen aus Charlotte Roches Roman "Feuchtgebiete" kaum. Dafür sind die Überlegungen und Darlegungen des Mädchens, das ein sehr direktes Verhältnis zu allen Körpersäften, -ausscheidungen und -öffnungen besitzt, zu drastisch. Deshalb konnte, wer wie einige Medien auf viel Körperlichkeit und auf Schmuddeltheater spekuliert hatte, in Halle enttäuscht sein.

Denn in der Werft, der kleinen Spielstätte der Neuen Bühne Halle, floss nur wenig Theaterblut, und die sieben Darsteller in weißer Unterwäsche, vier Männer und drei Frauen, verkörperten Charlotte Roches Kunstfigur Helen ohne alle Nacktheit. Regisseurin Christina Friedrich versuchte aber auch nicht, die Handlung des Romans nachzuerzählen, in dem Helen nach einer Analfissur im Krankenhaus operiert wird und nicht nur über ihre körperlichen, sondern auch ihre seelischen Erfahrungen und Wünsche nachdenkt, sondern sie setzt die Kenntnis des Romans voraus und montiert Teile, Themen, Zitate und Aspekte des Stückes mit eigenen Szenen und Gedanken zu einer Art Nummernrevue über die Probleme des Menschen mit seiner Körperlichkeit.

Die Figuren der Inszenierung sind, anders als im Roman, durchaus ganz leicht psychologisch begründet. Aber sie zitieren auch immer wieder einfach nur drastische Wortkaskaden der Hauptfigur über Muschi, Sex und Samen.

Auf leerer, pinkfarben abwaschbarer Bühne, an deren Wänden sich eine Tapete mit Palmen entlang zieht, liegen anfangs die jungen Darsteller, eingerollt wie Embryos, in nierenförmigen Bodenwannen. Nachdem sie herausgesprungen sind, haben sie mit ihrem Körper zu kämpfen. Denn Helens Verhältnis zu ihrem eigenen Körper wirkt auch deshalb so provozierend, weil es als direkt und unentfremdet behauptet wird.

Die Regisseurin zeigt dagegen Bilder gesellschaftlicher Schönheitszwänge und körperlicher Entfremdung: Da wird Helen recht handgreiflich von mehreren Personen in die richtige Form gebracht, da verbiegen sich Frauen zu Model-Posen oder eine Frau reibt sich minutenlang den gesamten Körper mit einer Creme ein. Hygiene ist die Drohung und Kontrolle das Zauberwort, Kontrolle aller Impulse und Reaktionen: beim Orgasmus, bei der Penetration, bei der Familienaufstellung, beim Essen, in der Religion.

Die Darsteller, Studenten des Hallenser Schauspielstudios, zittern und zappeln, schreien und singen sich mit viel Einsatz durch die körpersprachlich bewegten Bilder der Inszenierung. Die immer dann, wenn sie etwas direkt abbilden und bedeuten sollen, entweder zum Kabarett werden - wie bei den vier Pizza-Männern, die ihre Pizza mit ihrem Sperma zubereiten - oder unabsichtlich komisch wirken - wie bei der absichtlichen Anus-Selbstverletzung von Helen, die nach dem Hantieren mit einem Eisenstab recht albern auf blutüberströmten Boden umherrutscht.

Die Aufführung findet etliche schöne Bilder, aber keine rechten Rhythmus. Da reiht sich Szene an Szene, Zitat an Zitat, aber Spannung wird nicht aufgebaut. Und wer den Roman nicht kennt, versteht wenig, weil viele Themen recht unvermittelt herausgeschrieen oder angespielt werden.

Viel zu lachen aber haben hier alle. Dafür reicht schon, dass männliche Darsteller über ihre Muschi sprechen … Unter der körperlichen Erfahrungsebene liegen aber auch noch Sehnsüchte - nach Liebe, Wahrnehmung und Zusammenführung der getrennten Eltern zur wiedervereinigten Familie.

Während dies bei der Autorin die Kraft und Härte ihrer Hauptfigur nicht beschädigt, wirkt das bei der Inszenierung oft eher kitschig. Was ein sichtlich animiertes Publikum nicht vom heftigen Applaus abhielt.