Im Teufelskreis der Wegwerfgesellschaft
Wer im Laden nach einem Handy fragt, das möglichst lange nutzbar ist, erhält vom Verkäufer oft nur ein Lächeln. Das ärgert den jungen österreichischen Ökonomen Harald Wieser. Er hält Wegwerfwirtschaft und eingebauten Produktzerfall für überholt.
Wer mit Harald Wieser durch die Innsbrucker Einkaufsstraße geht, bekommt schnell ein schlechtes Gewissen. Handys, Schuhe, Laptops, an allem hat er etwas auszusetzen, dieser junge, schlanke Kerl, gerade mal 25, mit blonden, leicht hinter den Ohren abstehenden Haaren und freundlichem Grinsen, der gerade auf einen Handyladen zusteuert.
"Wir können vielleicht kurz uns diese Prospekte dort anschauen …"
Harald Wieser nimmt ein schwarz-magentafarbenes Blatt aus dem Ständer.
"Dort werden die neuesten Tarife beworben. Ganz interessant ist hier der Fall T-Mobile, weil sie ein neues Tarifprinzip entworfen haben, mit dem Untertitel: Jährlich unkompliziert Handy upgraden."
Eigentlich toll und kundenfreundlich, möchte man meinen.
Aber nicht für Harald Wieser. Unter Handy "upgraden" nach einem Jahr versteht er die gefühlte Nutzungsdauer auf ein Jahr zu begrenzen. Auch wenn das Handy noch gut funktioniert. Wieser würde so ein Angebot nie annehmen, viele Österreicher dagegen schon.
Reporter: "Zeig mal dein Handy!"
Wieser: "Mein Handy ist ein kleines Samsung. Ich habe das von meiner Schwester bekommen. Sie kauft auch gerne das neueste und hat mir hier ihr altes überlassen."
Lange Nutzungsdauer passt nicht in die Konsumgesellschaft
Dieser nette, junge Mann fordert etwas eigentlich Selbstverständliches: nämlich dass wir unsere Handys länger nutzen, unsere Matratzen, unsere Schuhe – im Prinzip alles. Das passt nicht so recht in die heutige Konsumgesellschaft.
Reporter: "Bist du ein Störenfried?"
Wieser: "Für jene, die sich keine Gedanken darüber machen, ja."
Wenn man mit Harald Wieser spricht, kommt einem schnell die "Wegwerfgesellschaft"in den Sinn, und die "geplante Obsoleszenz", also die Vermutung, dass Hersteller Handys, Glühbirnen oder Drucker so bauen, dass sie möglichst schnell kaputt gehen. Aber diese Konzepte sind dem jungen ökologischen Ökonomen erstaunlich egal.
Wieser steht inzwischen vor einem weiteren Konsumtempel: ein Schuhgeschäft. In einer Studie für die Arbeiterkammer in Wien hat der Nachwuchswissenschaftler festgestellt, dass der durchschnittliche Österreicher Sandalen schon nach 2,2 Jahren ausrangiert.
"Interessant ist speziell bei Schuhen, dass die Sohlen hier eine immer schlechtere Qualität haben. Aber hier liegt es nicht unbedingt an 'geplanter Obsoleszenz', sondern die Frage ist viel mehr: Was denkt der Produzent, wie lange ein Konsument diese nutzen wird?"
Der Produzent, meint Wieser, glaube an die Wegwerfgesellschaft und produziere deshalb möglichst billig. Billige Materialien ergeben schlechtere Schuhe. Der Kunde denkt: Taugt eh alles nichts und kauft lieber billig und schlechte Qualität, weil er davon ausgeht, dass die Schuhe sowieso bald kaputtgehen. Die Wegwerfgesellschaft wird zur selbsterfüllenden Prophezeiung.
"Wir sind hier also in einem Teufelskreis, wo dauernd die Erwartungen zwischen Konsumenten und Produzenten nach unten geschraubt werden und die Nutzungsdauer sinkt."
Wieser möchte andere Wissenschaftler überzeugen
Harald Wieser ist kein lauter Mensch, der Produzenten oder Konsumenten die Schuld zuschieben will. Kein linker Ökofreak, der die großen Wirtschaftsunternehmen lieber gleich ganz abschaffen will. Kein Vegetarier. Keiner, der ohne Handy irgendwo im Wald lebt. Dieser Störenfried stört nur ungern seine Mitmenschen. Zu Weihnachten verschenkt er auch mal unnütze, nette Dinge – gegen seine Überzeugung.
"Ich bin keiner, der Veränderung auf der Straße versucht zu erreichen. Das ganz große Problem sehe ich eigentlich in der akademischen Welt. Und deswegen versuche ich dort, Veränderungen zu erreichen."
Wieser stört durch seine ungewöhnliche, tief durchdachte Sicht auf die Nachhaltigkeitsdiskussion. Neben seiner großen Studie hat Wieser über sein Herzensthema auch im Internet Artikel geschrieben. Und in seiner Doktorarbeit will er sich den Handymarkt in Österreich noch kritischer vornehmen. Mit den Ergebnissen will er andere Wissenschaftler überzeugen, deren Ansichten er als grundlegend falsch bezeichnet und deren Weltbild in die Politik und die Wirtschaft durchsickert. Den Marketingfachleuten, Wirtschaftswissenschaftlern und Produktdesignern wirft Wieser vor, dass sie gar nicht genau wissen, was die Kunden wirklich wollen.
"Es ist auch meiner Freundin und mir zuletzt passiert, dass wir auf der Suche nach einem Handy in den Laden gegangen sind und uns informiert haben, welche am längsten halten. Und die einzige Antwort, die wir bekommen haben, ist, dass diese Handys für zwei Jahre ausgelegt sind. Weil das entspricht genau der Vertragsdauer. Und das macht es schwierig, ein langlebigeres Handy zu nehmen. Es ist mir unmöglich, einem Unternehmen zu kommunizieren, ich will ein langlebigeres Handy haben."
Harald Wieser geht es aber nicht nur um Handys. Er will nichts Geringeres als unser Wirtschaftssystem umkrempeln. Ganz umsichtig, nicht durch Revolution. Seine Lösungsvorschläge, sagt er, ließen sich alle in unsere bisherigen Wirtschaftsabläufe integrieren: Längere Garantiefristen, höhere Steuern auf Ressourcen, aber günstigere Steuern auf Dienstleistungen wie Reparaturen. Und vor allem den Unternehmen klarmachen, was ihre Kunden wirklich erwarten: gute, zukunftssichere Produkte. Dann könnten Unternehmen vielleicht irgendwann mit der Langlebigkeit ihrer Produkte werben. Und nicht damit, dass man jedes Jahr ein neues Handy bekommt.