Nach Aufführungen in Cottbus und Berlin gastiert das Stück am 6.10. in Weimar und am 2. Dezember an der neuen Bühne Senftenberg. Gastspielmöglichkeiten für 2023 werden noch gesucht.
Theater als sozialer Raum
Die Stolpersteine im Stadtbild dienen im Theaterstück "Stolpern" als Ausgangspunkt, um von persönlichen Diskriminierungserfahrungen und Alltagsrassismus zu erzählen. © Unsplash / Kadir Celep
Stolpern gegen rechts
29:44 Minuten
18 Jugendliche beschäftigen sich in einem Theaterprojekt mit Alltagsrassismus und den Biografien hinter den Stolpersteinen ihrer Heimatstadt. Dabei merken sie, dass niemand davor gefeit ist, diskriminiert zu werden – und selbst zu diskriminieren.
„Es gibt ein Foto von Pawlina. Ein Portrait in einer sorbischen Tracht. Sie macht einen gefestigten, einen selbstbewussten Eindruck. Ihre Augen blicken klar, warm und lustig in die Kamera. Ich stelle mir Pawlina Krawcowa vor. Ich stelle mir vor, wie sie am Abend ihren Laden abschließt. Der Schlüssel gleitet ihr aus der Hand und fällt auf den Gehweg. Fällt genau auf die Stelle, an der später ein Messingstein mit ihrem Namen an sie erinnern wird. Pawlina hebt den Schlüssel auf. Ihre Hände berühren den Boden.“
Es sind Geschichten wie diese, die berühren, auch wenn sie nur umrissen werden. Biografien, erzählt in mehreren Episoden von Teenagern auf der Theater-Bühne. Die Geschichte von Pawlina Kravcova zum Beispiel. Geboren 1890. 1938 ins Frauengefängnis Cottbus eingeliefert. Gestorben 1941 an den Folgen der Haft.
Berlin trifft auf Cottbus
Auf der Bühne im Piccolo Theater in Cottbus stehen 18 Jugendliche zwischen 15 und 21 Jahren. Noch stolpern sie hier und da im Text, es sind noch zwei Wochen bis zur Premiere. „Stolpern“ heißt auch das Theaterstück. Es spielen Jugendliche aus Berlin und Cottbus. Zu Beginn des Stücks beschreiben sie den Weg von ihrem Zuhause zum nächsten Stolperstein.
„Stolpern“ ist nicht nur ein Theaterstück, es ist sehr viel mehr. Und fühlt sich an wie ein intensiver Workshop. Die Jugendlichen, manche blond und biodeutsch, andere mit Migrationshintergrund, haben in den vergangenen Monaten viel Zeit miteinander verbracht. Mit Proben, mit Gesprächen, mit Reisen. Und jede und jeder bringt Eigenes mit ein. Die eigene Biographie, Erfahrungen mit Diskriminierung, Familienerinnerungen. Vieles davon ist zum Gegenstand des Theaterstücks geworden. So auch der Weg von Zuhause zum Stolperstein.
Keine klassische Erzählung
Die Darsteller tänzeln beim Sprechen, wippen mit den Füßen, bewegen die Köpfe im Rhythmus des Textes. „Stolpern“ ist eine Kooperation der Berliner Schaubühne und des Cottbuser Piccolo-Theaters. An diesem Wochenende ist gemeinsame Probe in Cottbus.
„Stolpern“ ist keine klassische Erzählung in x Akten, es ist eine Collage. Aus Stolpersteinen und den Biografien, die dahinterstehen. Aus Alltagsrassismus in Berlin und Cottbus, der allgegenwärtig ist und den manche der Jugendlichen selbst erlebt haben. Und aus Erfahrungen, die sie bei Recherchereisen gemacht haben, zum Beispiel in die KZ-Gedenkstätte Buchenwald.
Der Name der Mutter auf der Todesliste
Pola erzählt bei der Probe Magdalenas Geschichte. Beide sind Polinnen. Magdalena steht vorne auf der Bühne. Pola sitzt etwas weiter hinten auf einem Stuhl. Die Reise nach Buchenwald und die Recherchen zu den Biografien hinter den Stolpersteinen haben auch etwas mit ihr, mit Pola, gemacht.
„Ich hasse es, auf Stolpersteine zu treten. Also seitdem wir uns die ganzen Stolpersteine angeguckt haben, achte ich eigentlich immer darauf, auf keinen Stolperstein zu treten, sondern immer drumherum zu gehen, weil es für mich so eine Sache von Respekt ist.“
Jetzt fährt sie fort mit Magdalenas Geschichte. Deren Schlüsselerlebnis in der Gedenkstätte.
„Meine Augen fliegen über eine ewige Liste mit Namen. Und da ist er plötzlich. Polenska. Meine Mum. Der Mädchenname meiner Mutter auf so einer Todesliste. Polenska. Der Name steht zwischen anderen polnischen Namen. Einfach so. Und ich weiß nicht, plötzlich sind so viele Bilder da. Und Gefühle.“
Der Terror hat plötzlich ein Gesicht
Und das, obwohl in nahezu jeder polnischen Familie eine Leidensgeschichte aus der NS-Zeit zu finden ist. Magdalena erwacht schlagartig aus ihrer Lethargie, als sie den Mädchennamen ihrer Mutter auf einer Todesliste entdeckt. Der Terror hat plötzlich ein Gesicht. Und dieses Gefühl transportiert sie jetzt auf die Bühne.
„Natürlich war das erstmal so ein Schock, weil man findet das schon hart und denkt dann über die ganzen Sachen nach und dann kommen halt einfach so viele Sachen in den Sinn. Krass, dass das jetzt sowas mit mir macht. Hätte gar nicht damit gerechnet, weil ich irgendwie am Anfang auch so ein bisschen trostlos da drin war, in dieser Gedenkstätte. Und das hat mich dann ein bisschen mitgenommen.“
Experten schätzen, dass die Nazis etwa fünf Millionen polnische Staatsbürger ermordeten, darunter drei Millionen Juden.
Magdalena: „Das ist so krass, weil man sich so denkt, okay, so ging es wirklich Leuten, oder Verwandten von der Familie in der Zeit. Und deshalb, weil man so eine Bezugsperson hat, oder eine Familie, die das so miterlebt hat, hat man, glaube ich, noch mal eine andere Perspektive auf das Thema.“
Besuch von Hitler
Auch Pola trägt eine Geschichte mit sich herum. Wie wahrscheinlich alle Polen. Darin geht es um die Enigma, eine Chiffriermaschine, mit der die Nazis ihre Nachrichten und Funksprüche verschlüsselten. Die Nazis waren der Meinung, dass sie nicht zu knacken sei. In Polen wurde sie dennoch entziffert.
Pola: „Mein Urgroßvater, also der Papa meines Opas, war deutsch-polnischer Spion im Zweiten Weltkrieg. Und er hat es relativ weit geschafft, also das ist die Geschichte, die ich erzählt bekommen hab, bis er sich dann im Versteck … also ich komme aus Danzig, und daneben sind zwei kleine Städte, und er musste sich tatsächlich da in der anderen Stadt verstecken. Bis es soweit gekommen ist, dass meine Uroma einen höchstpersönlichen Brief, unterschrieben – und auch einen Besuch – von Hitler bekommen hat, der gedroht hat, dass er sich zeigen und rauskommen soll.“
Erschöpfende Gruppendynamik
Kurz vor Mittag, alle sind erschöpft. Vom Theaterspielen, von allem. Einige machen parallel zum zeitaufwändigen Theaterprojekt gerade ihr Abitur. Erschöpft sind die Teenager aber auch von der Dynamik innerhalb der Gruppe, von Diskriminierung aufgrund weißer Privilegien und sexueller Identitäten.
20 Jugendliche, die über Monate dicht aufeinander hocken. Zusammen auf Recherchereisen gehen, tagelang zusammen proben, miteinander ins Gespräch kommen und streiten. Das erfordert Mut und die Bereitschaft, Grenzen zu überschreiten. Dass dabei die Emotionen mit dem einen oder der anderen manchmal durchgehen, ist ganz normal. Mai-An Nguyen, Regisseurin am Piccolo-Theater, weiß das, will das auch. Sie betreut den Cottbuser Teil der Gruppe. Und verabschiedet die Jugendlichen jetzt in die Mittagspause.
„Ich find's total wichtig und wertvoll, dass wir hier alle zusammen streiten, diskutieren, heulen, ich finde es total super, dass wir uns gegenseitig unsere Emotionen zurufen, weil dazu sind wir eine Gruppe, und das gehört dazu. Wo sollen wir sonst stolpern, wenn wir nicht zusammen stolpern in dem Projekt 'Stolpern'. Ich finde es auch total sinnvoll, dass das heute passiert ist. Danke, schöne Mittagspause!“
Die Jugendlichen zerstreuen sich in verschiedene Richtungen, manche lümmeln sich auf den Sofas im Foyer.
AfD-Büro neben dem ehemaligen "Judenhaus"
Ich bin mit Matthias Heine, Regisseur am Piccolo-Theater, zum Stadtspaziergang verabredet. Matthias betreut die Cottbuser Gruppe. Wir gehen vom Piccolo-Theater, einem modernen, quaderförmigen Bau, durch die schmucke Altstadt. Cottbus zeigt hier ein freundliches Gesicht. Alte Gebäude, viele Freiflächen, backsteinernes Gemäuer. Die aus der DDR übrig gebliebenen Plattenbauten sind größtenteils saniert.
„Hier war früher die Mühle, neurechtes Begegnungszentrum, das ist jetzt raus, und hier ist das AfD-Parteibüro, und in der Mühlenstraße war aber auch, das ist auch Thema bei uns im Stück, eins der sogenannten Judenhäuser, wo dann jüdische MitbürgerInnen zwangsausquartiert wurden in so Wohngemeinschaften, von denen sie dann dort deportiert wurden. Und das war auch alles hier in der Mühlenstraße, und jetzt haben wir hier das AfD-Büro und da hinten den ehemaligen neurechten Szeneklamottenladen, alles in einer Straße. Finde ich historisch sehr interessant. Und schrecklich. Und damit setzen wir uns auseinander.“
"Die Stadt ist bunt und hat so viele Chancen"
Wir gehen weiter durch die Innenstadt, an altem Gemäuer vorbei, durch kleine Einkaufsstraßen. Davon, dass Cottbus und die Lausitz sich gerade neu erfinden, merkt man wenig. Das Ende der Braunkohle, von der die Region Jahrzehnte lebte, ist besiegelt. Der Tagebau Cottbus-Nord wird seit 2019 geflutet und als „Cottbuser Ostsee“ vermarktet, es wird einmal der größte See Brandenburgs sein.
Heine: „Die Stadt ist toll, die Stadt ist bunt, die Stadt ist die Stadt des Strukturwandels und sie hat so viele Chancen und so ich weiß, das sind alles die positiven Nachrichten, die wollen wir alle hören, aber wir müssen uns erst mal auch mit uns selbst auseinandersetzen.“
Matthias Heine ist im Ortsteil Sachsendorf aufgewachsen. 1992 zogen 200 Neonazis vor das Asylbewerberheim in Sachsendorf, mit Molotowcocktails und Steinen. Erst nach drei Tagen beruhigte sich die Lage. In Cottbus fühlten sich Neonazis und Rechtsextremisten jeglicher Couleur in den Neunzigern wohl – und sie tun es heute noch. Die AfD ist stärkste Partei im Stadtparlament. 2019 wollten Kulturschaffende etwas dagegenhalten und kandidierten ebenfalls. Auch Matthias Heine.
Kultur gegen Rechtsextremismus
"Dann bin ich für die Linke im Stadtparlament gelandet. Ehrlich gesagt war es ja nur der Versuch, den Rechten ein paar Stimmen abzuziehen. Und dann hat's gereicht, und dann kann man ja auch nicht sagen, war nur Spaß, dann musste ich ran. Wenn man Realpolitik macht, dann merkt man, wie langsam so eine Mühle mahlt, bis man in einer Abwassersatzung den Halbsatz rauskriegen will.“
Bei allerhöchstem Respekt für Kommunalpolitiker, aber das sei so recht nichts für ihn, sagt Matthias Heine. Wollte er doch dem Rechtsextremismus etwas entgegensetzen. Und das am liebsten mit Kultur – sich damit auseinanderzusetzen, dass Neonazis und Coronaleugner Cottbus bis heute mit Protesten und Krawallen fluten.
Heine: „Es gibt ja diese Stelle, wo wir sagen, das ist ein Ekelvolk, oder so, und wir sind alle Teil dieses Ekelvolks. Und das bleibt ein Ekelvolk, solange die Eltern in die Köpfe ihrer Kinder scheißen. So ist der Text. Und da hatte ich gestern wieder eine Situation vorm Theater erlebt, ich sah drei Frauen, eine Oma, eine Mutter und ein Kind in einem Energie-Cottbus-Wagen, was da hinterhergezogen wurde. Und drei Jungs kommen denen entgegen, die hatten auf den ersten Blick einen Migrationshintergrund. Und die Großmutter sagte dann zu ihrer Tochter 'Gibt’s denn in dieser Straße gar keine Deutschen mehr?' Und die Tochter kommentierte das nicht weiter und zog ihr Kind da vorbei.“
"Im Kern waren die Nazis nie weg"
„Normalerweise merkst du das nicht, wenn du irgendwo anrufst und eine Wohnung suchst, dass du da immer abschmierst, weil du einen anderen Namen hast. Das kriegst du nicht mit, wenn du Schmidt heißt, so wie du jetzt. Oder Heine, so wie ich.“
Sein erster Rassismusworkshop vor Jahren hat seinen Blick noch einmal geweitet, sagt Matthias. Und vielleicht will er deshalb, dass Jugendliche sich mit Rassismus und Diskriminierung auseinandersetzen. Denn, das sagt Matthias mehrmals, im Kern waren die Nazis nie weg.
„Das ist halt ein Strahl. Für mich ist das nicht Stunde null und Aus und Ende und jetzt wieder Neuanfang und Heidi-Filme, sondern es ist ein Strahl. Und der zieht sich durch alle Familiengeschichten, durch alle Biografien und die sind überall. In meiner Familie gab's einen, der in Buchenwald gesessen hat und einen Wehrmachtsgroßvater.“
Subtiler Alltagsrassismus
Zurück im Piccolo-Theater. Jan aus Berlin, groß, blonde lockige Haare, hängt etwas erschöpft auf einem Sofa im Foyer und dreht sich eine Zigarette. Er möchte mir gerne etwas sagen – und zwar, wie seine eigenen Erfahrungen in das Theaterstück eingeflossen sind.
„Wir haben einen Schreibworkshop gehabt, und da habe ich etwas berichtet, dass bei Routinekontrollen der Polizei ich nie kontrolliert werde. Aber meine Freunde mit Migrationshintergrund schon. Und ich als blonder Deutscher eigentlich nie. Das habe ich erlebt und das dann in der Szene auch so umgesetzt.“
Wer, wie Jan, mit Menschen mit Migrationshintergrund unterwegs ist, der bekommt Alltagsrassismus selbst in Berlin mit. Nicht unbedingt durch Beschimpfungen, nicht durch Gewalt oder Drohungen. Mit Sicherheit aber subtil, einfach so – wenn man genau hinhört.
Wenn Blicke ausgrenzen
Die Probe geht weiter. Das Szenenbild: minimalistisch. Zwei Jugendliche stehen vor der weißen Tanzfolie, die von der Decke herunterhängt. Nichts, was vom gesprochenen Wort ablenkt. Matthias Heine springt über die Bühne, wenn er Regieanweisungen erteilt. Dann eilt er wieder zurück zum Regiepult, um die Regler zu bedienen.
In einem Proberaum im Obergeschoss proben Fanny und Anne, beide aus Cottbus, ihre Szene. Darin geht es um ein Bilderbuch für Kinder, in dem drei weiße und ein schwarzes Mädchen vorkommen. Und dass man sich alle Details des schwarzen Mädchens einprägt, aber kaum welche der weißen. Auch in Fannys Schule wurden ausländisch aussehende Menschen anders angeschaut und misstrauisch beäugt, und nicht nur das.
Fanny: „Es sind, glaube ich, nicht nur die Worte, die so treffen, sondern vor allem, die Blicke. Also dieses Ganz-anders-angeguckt-werden, Bewusst-ausgegrenzt-werden, Bewusst-nicht-angesprochen-werden, sondern drumherum geredet, und natürlich gibt es auch den aktiven Rassismus, was dann auf meiner Schule bis zu körperlicher Gewalt ging. Also bis zu einem Schubsen, bis zu wirklich hänseln und wirklich starkem rassistischen Mobbing.“
"Die Coolen waren rechts"
In den 90er-Jahren waren die Neonazis die dominierende Jugendkultur. Und die rechten Schläger von damals, heißt es oft, sind heute AfD-Wähler – oder gar Aktivisten.
Fanny: „Die Coolen, und zu denen man unbedingt gehören wollte, waren meistens rechts. Und es gibt immer so zwei Vorreiter und die sind ganz offen damit umgegangen, dass sie wirklich rechts sind. Was natürlich stark aus dem Familienhaus kam und die sind damit auch hausieren gegangen.“
100 Kilometer nordöstlich. Berlin-Neukölln, am Landwehrkanal. In ihrem Kiez treffe ich mich mit Mai-An Nguyen, die als Regisseurin der Schaubühne die Berliner Gruppe betreut.
Nguyen: „Links von uns verläuft der Landwehrkanal, hier rechts von uns sind zwei Menschen, die gehen gerade mit ihren Hunden spazieren, da vorne sitzt ein Mann mit schwarzer Jacke, Glatze und Sonnenbrille. Und hinter uns ist der Weichselplatz. Und die Sonne scheint. Es ist grün, die Sonne scheint, und das Weigandufer, an dem wir sitzen, ist Fahrradstraße. Ich weiß nicht, ob man es schon raushört, ich liebe es einfach sehr, hier zu leben. Ich fühl mich hier sehr, sehr wohl. Das ist für mich total wohlig, und Heimat, und … ja.“
Cottbus lässt Regisseurin nicht los
Die Jugendlichen haben ja alle was mitgebracht in dieses Theaterprojekt. Was bringst du mit? „Ich bringe auch Biographisches mit, weil ich genau wie manche der Jugendlichen von Diskriminierung betroffen bin", sagt Nguyen. "Ich bin eine Frau, ich bin die Tochter eines vietnamesischen Arbeitsmigranten, der Ende der 70er nach Deutschland gekommen ist. Und: Ich komme aus Cottbus. Ich bin in Cottbus aufgewachsen und geboren, und bin am Piccolo-Theater, an dem wir ja zusammenarbeiten, quasi groß geworden. Ich stand da mit sieben das erste Mal auf der Bühne, als Schildkröte.“
Damals lernt sie auch Matthias Heine kennen, mit dem sie jetzt „Stolpern“ inszeniert. Als Mai-An, Tochter einer Deutschen und eines Vietnamesen, endgültig ankam in Berlin und endgültig Cottbus verlassen hatte, hat sie das als Erleichterung empfunden.
„Aber Cottbus lässt mich auch nicht los. Daraufhin kam auch die Idee für dieses Projekt, mit dem Piccolo-Theater in Cottbus zusammenzuarbeiten und sich eben mit rechten Strukturen auseinanderzusetzen. Aber dann haben wir uns eben entschieden, dass wir jetzt nicht unbedingt, mit Verlaub gesagt, einen Kübel Scheiße über der Stadt auskippen wollen, und haben uns überlegt, über welchen Zugang können wir sonst darüber reden, auch über Diskriminierung und Ausgrenzung, und kamen dann auf die Stolpersteine, die in beiden Städten zu finden sind.“
Versteckt vor dem rechten Mob
Ein Journalist aus Frankfurt (Oder) hat für die 90er-Jahre im Osten Deutschlands den Begriff „Baseballschlägerjahre“ geprägt. Wer links war oder Migrant, wer sich als schwul outete, wurde in Magdeburg oder Chemnitz, in Eberswalde oder eben in Cottbus jedes Wochenende verprügelt.
Nguyen: „Ich war, glaube ich, noch zu klein und zu jung, um auf die Fresse zu kriegen, aber ich hatte auch Momente im Leben, wo ich mich hinter einer Mülltonne versteckt habe. Wo es hieß, ich darf jetzt nicht rausgehen, weil draußen ein Mob rumläuft. Oder wo wir aufs Land dann gezogen sind, aus Cottbus raus, in die Vorstadt, und erstmal unser Briefkasten rausgerissen wurde oder unsere Pflanzen im Vorgarten, unter den Rufen 'Fidschis raus'. Also, ja: Baseballschlägerjahre kenne ich ganz gut.“
"Der Plan ist total aufgegangen"
Berlin-Charlottenburg, am Kurfürstendamm. Theaterpädagogin Jule Fuchs führt in die Studiobühne der Schaubühne. Der Weg dahin ist etwas verschlungen, mit mehreren Metalltüren gesichert. Es hat etwas von Fabriketage, und das soll es auch, es ist der kleinere Saal, in dem experimentiert wird, neue Theaterformate probiert werden, in dem jedenfalls nicht Hamlet aufgeführt wird.
„Das ist Tanzboden, der verkleidet wurde mit einer Folie, die extra dafür da ist. Also die Luftpolsterfolie befindet sich unterhalb dieser Folie, und die wird auch nicht zerdrückt, wenn man darauf läuft. Und auch nicht, wenn man darauf springt.“
Es ist so weit, „Stolpern“ ist auf der Bühne, in Cottbus und hier, im Studio der Schaubühne.
„Ich hab das Gefühl bei den Jugendlichen, dass die das geschafft haben, Grenzen zu überschreiten, indem sie den Mut hatten, anderen zu begegnen. Und das war auch das Ziel dieses Kooperationsprojekts, dass man zusammenkommt, dass man zusammen spricht, dass man diesen Raum - Theater als sozialen Raum - auch zu verstehen, dass der Plan total aufgegangen ist.“