Stolpersteine in Berlin

Vandalismus und Querulantentum

Eine Polizistin betrachtet die von Unbekannten mit schwarzer Farbe beschmierten "Stolpersteine" in Berlin-Friedenau.
Eine Polizistin betrachtet die von Unbekannten mit schwarzer Farbe beschmierten "Stolpersteine" in Berlin-Friedenau. © picture alliance / dpa / Paul Zinken
Von Jens Rosbach |
Seit 1996 wurden in Berlin tausende Stolpersteine zur Erinnerung an jüdische NS-Opfer verlegt - ganz ohne geschichtspolitische Debatte. Dennoch gibt es auch in der Hauptstadt Widerstand, vor allem von rechten Vandalen.
"Hier wohnte Dr. Max Botho Holländer. Deportiert 29.10.1943. Auschwitz ermordet." Eine kleine Messingtafel im Pflaster der Berliner Stierstraße 19 – daneben 18 weitere Stolpersteine zur Erinnerung an Juden, die hier einst wohnten. Es sind Steine des Anstoßes: Regelmäßig übermalen Unbekannte das glänzende Metall mit schwarzer Farbe.
"Die haben mit Spraydosen offensichtlich – ich war ja nicht dabei – die Stolpersteine besprüht und nachdem das immer wieder weggeputzt wurde, haben sie dann sich Schablonen gemacht, die sie dann um die Steine legten, um sie akkurat lackieren zu können. Und diese Lackfarbe bekommt man sehr viel schlechter ab."
Petra Fritsche – 63 Jahre alt, graue Haare, Brille und brauner Tweedmantel – engagiert sich seit Jahren in einer Stolperstein-Initiative. Hier, in Berlin-Friedenau, direkt hinter dem Stein von Botho Holländer, haben die Aktivisten einen Informationskasten aufgestellt, mit Fotos von Überlebenden und Dokumenten aus der NS-Zeit.
"Dieser Informationskasten wurde schon zweimal eingeschlagen, alle Dokumente wurden gestohlen und es wurden Pamphlete hinterlassen: Dass man genug habe von diesem Schuld-Kult und dass man Berlin stolpersteinfrei machen wolle. Das weist auch ganz eindeutig auf Nazis hin, auf Faschisten. Denn es ist die Wortwahl der Nazis.
Es gibt auch persönlichere Angriffe, Telefonate, Briefe. Einmal stand an meiner Tür: Vorsicht, Judenfreundin! Und mein Briefkasten wurde beschädigt mit einem Böller – so etwas eben."
"Das ist geschichtspolitisches Querulantentum"
Fritsche hat jahrelang in Archiven recherchiert, mit Angehörigen der Ermordeten gesprochen und schließlich eine Doktorarbeit über die Geschichtsaufarbeitung durch Stolpersteine geschrieben.
"Ich will mich nicht einschüchtern lassen. Und ich muss weiter fortfahren indem, was ich tue. Das ist sozusagen eine Pflicht mir gegenüber. Und es zeigt vor allen Dingen, wie wichtig diese Erinnerungskultur ist. Denn es gibt ja viele Menschen, die immer noch vor der Vergangenheit die Augen verschließen."
"Naja, das wundert mich überhaupt nicht. Es gibt aber auch – und das finde ich bemerkenswert – an Gedenktagen wie dem 9. November nicht wenige Anwohner, die dann Kerzen und Gedenklichter an und auf die Stolpersteine stellen. Und das zeigt doch, dass ein Teil der Bürgerinnen und Bürger das sehr gut annimmt."
Berlin-Mitte, im Zentrum Jüdische Studien Berlin-Brandenburg. Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik kennt die Widerstände gegen die Stolpersteine. Er kennt auch die Querelen um einen Hausbesitzer in Berlin-Charlottenburg, der die Entfernung zweier Messingtafeln fordert, weil diese auf seinem Grundstück verlegt wurden, wenige Zentimeter vom öffentlichen Bürgersteig entfernt.
"Das ist schlicht und ergreifend kleingeistig. Das ist geschichtspolitisches Querulantentum, wenn ich mich so hart ausdrücken darf."
Insgesamt jedoch, bilanziert der jüdische Professor, laufe die Stolpersteinverlegung in Berlin weitgehend reibungslos – jedenfalls was Behörden, Politik und jüdische Gemeinde betrifft. Pietätsdebatten wie in München kann sich Brumlik in der Bundeshauptstadt nicht vorstellen.
Irritation beim Gang durch die Stadt
"Die Pointe der Stolpersteine ist ja, dass man dadurch beim Gehen irritiert wird und tatsächlich herunter schaut. Und so würde ich sagen ist es kein Treten mit den Füßen, es ist eine allerdings mit dem Fuß verbundene Irritation im normalen Gang in der Stadt."
Wenn ein Rabbi das Kaddisch, das jüdische Totengebet, bei einer Berliner Stolpersteinverlegung spricht, ist die Unterstützung oft groß. Regelmäßig sind Anwohner, Schüler, Journalisten und Politiker dabei. Stolperstein-Initiator und Künstler Günter Demnig freut sich vor allem über die Angehörigen der Opfer, die aus aller Welt hierher pilgern.
"Viele kommen natürlich aus Israel, aus England, aus Holland, Südafrika, Südamerika, Nordamerika. Aber man sieht dann, wie diese Familienverbände, die eigentlich unsere Nachbarn waren, wirklich verteilt sind, über den ganzen Globus, wirklich vom Winde verweht!"
Mehr als 6000 Steine wurden in Berlin bereits in die Fußwege hineingesetzt – so viele wie in keiner anderen Stadt. Trotz der großen Resonanz bleibt Aktivistin Petra Fritsche vorsichtig – genauso wie die Polizei. Mittlerweile haben die anonymen Beschmierungen und mitunter sogar Hakenkreuze dazu geführt, dass Stolpersteine oft nur noch unter Aufsicht der Ordnungskräfte verlegt werden.
"Die Polizei hat den Staatsschutz eingeschaltet und sie begleiten seit dieser Zeit Stolpersteinverlegungen. Sie halten sich in der Nähe auf in Zivil und beobachten die Gruppen."
Mehr zum Thema