Den Opfern Heimat zurück geben
Mit seinen "Stolpersteinen", messingfarbenen Tafeln im Boden, will der Künstler Gunter Demnig an Menschen erinnern, die im Nationalsozialismus deportiert und ermordet wurden. Sind die Steine vielerorts ein Erfolg, gibt es vereinzelt auch Kritik.
"Was meine Idee war, von Anfang an, die Namen dieser Opfer dorthin zurück zu bringen, wo sie ihr Zuhause, ihre wirkliche Heimat gehabt hatten."
Der Künstler Gunter Demnig, der Erfinder der Stolpersteine, kann zufrieden sein: Ob in Deutschland, Italien, Polen, Norwegen oder Russland – mittlerweile liegen in 17 Ländern rund 50.000 seiner Messingtafeln.
"Wovon ich träume ist irgendwo, so viele Orte wie möglich zu erreichen in Europa. Überall, wo eben dieser Terror der Deutschen stattgefunden hat – alle werden wir nie schaffen, aber ich denke symbolisch, möglichst viele Orte zu erreichen, das finde ich wichtig."
Wenn ein Rabbi das Kaddisch, das jüdische Totengebet, bei einer Stolpersteinverlegung spricht, ist die Unterstützung oft groß. Regelmäßig sind – neben den Verwandten der Opfer – Anwohner, Schüler, Journalisten und Politiker dabei. Doch immer wieder gibt es auch Irritationen und Ärger. So werden in Berlin regelmäßig Stolpersteine mit schwarzer Farbe oder Hakenkreuzen beschmiert. Bei der Stolperstein-Initiative in Berlin-Friedenau wurde sogar ein Informationskasten zerstört - mit Fotos von Überlebenden und Dokumenten aus der NS-Zeit. Aktivistin Petra Fritsche ist empört:
"Dieser Informationskasten wurde schon zweimal eingeschlagen, alle Dokumente wurden gestohlen und es wurden Pamphlete hinterlassen: Dass man genug habe von diesem Schuld-Kult, und dass man Berlin stolpersteinfrei machen wolle. Das weist auch ganz eindeutig auf Nazis hin, auf Faschisten. Denn es ist die Wortwahl der Nazis."
Von Anfang an Steine des Anstoßes
Die Stolpersteine waren von Anfang an Steine des Anstoßes. Als Vorläufer der Messingtafeln gelten Erinnerungsschilder, die 1993 in Berlin-Schöneberg an Laternen angebracht wurden. Viele Passanten waren anfangs irritiert über die Konfrontation mit der NS-Geschichte.
Passantin: "Wenn man pausenlos die Leute damit bombardiert, glaube ich eher, dass das zu einer Abschottung führt, als dass es wirklich Interesse weckt: Ach du meine Güte, schon wieder so etwas? Ich halte das nicht für sehr geeignet."
Zum gleichen Zeitpunkt entwarf in Köln der Konzeptkünstler Demnig seine Fußweg-Messingplatten; 1994 stellte er die ersten 200 Stolpersteine in einer Kirche aus. Diese waren ermordeten Roma gewidmet, erst später gab es Stolpersteine für jüdische Opfer. 1995 verlegte Demnig, ohne Genehmigung, in Köln die ersten Gedenktafeln. Kurz darauf begann er auch in Berlin die Fußwege aufzustemmen – mit behördlichem Segen. Heute gibt es allein an der Spree mehr als 6000 dieser Gedenksteine. Andere Städte, wie München, wehren sich nach wie vor gegen die Fußweg-Kunst. Als Hauptkritikerin gilt Charlotte Knobloch, die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München. Die Holocaust-Überlebende und ehemalige Chefin des Zentralrats der Juden sah von Anfang an die Pietät gefährdet.
"Für mich ist es einfach nicht verständlich, dass Menschen, die ich auch noch kannte, dass Menschen, die ich noch kannte, eventuell wieder mit Füßen getreten werden, dass Hunde dort ihre Notdurft verrichten und dass Menschen, was auch schon geschehen ist, diese Steine anspucken."
Vielerorts Teil des Stadtbildes
In der Münchner Stolperstein-Debatte wird auch immer wieder Erfinder Demnig angegriffen: Er wolle mit seinen Gehweg-Tafeln ja nur Gewinn machen, so ein typischer Vorwurf. Der jüdische Erziehungswissenschaftler Professor Micha Brumlik kontert entschieden:
"Ich empfinde den Vorwurf des Geldscheffelns als ausgesprochen unfair. Auch Peter Eisenman, der das großartige Holocaust-Denkmal vor dem Reichstag geschaffen hat, hat sich dafür entlohnen lassen. Auch Künstler haben ein Recht, dass ihre wichtige Arbeit angemessen entlohnt wird."
Trotz zahlreicher Probleme und Debatten – in hunderten deutschen Kommunen gehören Demnigs Messingtafeln längst zum Straßenbild, zur aktiven Erinnerungskultur. Wie in der Berliner Stierstrasse. Hier bilanziert Aktivistin und Kommunikationswissenschaftlerin Petra Fritsche, dass gerade durch den Widerstand gegen die Stolpersteine Erinnerung wach gehalten wird.
"Wenn Stolpersteine geschwärzt werden, kommen eben die Nachbarn, die Stolpersteine vielleicht angenommen haben als Gedenksteine ihres eigenen Umfeldes. Und dann fragen sie: Sollen wir die Stolpersteine putzen? Sollen wir eine Wache aufstellen? Es kommen manchmal Schulkinder, die dann die Stolpersteine putzen. Und hier zum Beispiel in der Stierstraße gibt es einen Kindergarten, da kommen sogar Kindergartenkinder und putzen Stolpersteine."