"Strafgesetze können auch Pressefreiheit kaputtmachen"
Journalisten sind für investigative Recherchen auf mutige Whistleblower angewiesen. Doch wenn diese wie Bradley Manning eine Verurteilung befürchten müssen, werden sie von wichtigen Quellen abgeschnitten, befürchtet Michael Rediske von "Reporter ohne Grenzen". Und das schade der Pressefreiheit.
Dieter Kassel: Ein US-Militärgericht hat gestern den Whistleblower Bradley Manning, der mehr als 700.000 geheime Dokumente an die Internetplattform Wikileaks weitergegeben hatte, in 19 von 21 Anklagepunkten für schuldig erklärt. Der Unterstützung des Feindes, das war der schwerwiegendste Anklagepunkt, habe er sich nicht schuldig gemacht, gegen mehrere Spionagegesetze und andere habe er aber sehr wohl verstoßen, befand das Gericht. Die Organisation Reporter ohne Grenzen ist bestürzt über dieses Urteil, so heißt es wörtlich in ihrer Presseerklärung. Am Telefon ist jetzt Michael Rediske, Vorstandssprecher der Organisation. Guten Tag, Herr Rediske!
Michael Rediske: Guten Tag, Herr Kassel!
Kassel: Warum ist die Verurteilung eines Mannes wegen Verstoßes gegen geltende Gesetze eines demokratischen Landes ein Angriff auf die Pressefreiheit?
Rediske: Nun, Strafgesetze können auch Pressefreiheit kaputtmachen. Das sehen wir zunächst mal in nicht so demokratisch gestalteten Ländern, wo die Strafgesetze so ausgeformt sind, also beispielsweise Diffamierung des Staatsoberhauptes, dass Pressefreiheit gar nicht existiert. Nun ist das in den USA nicht der Fall, aber die Gesetze sind so, zum Beispiel, dass hier ein Spionageakt herangezogen wird im Fall Bradley Manning, dass es fast unmöglich gemacht wird, solche Dinge aufzudecken, wie das Manning gemacht hat, also Menschenrechtsverbrechen, grobe Fehlentwicklungen in der Politik der Vereinigten Staaten. Der hat ja veröffentlicht beziehungsweise an Wikileaks weitergegeben Informationen aus dem Afghanistankrieg über die zivilen Opfer, über die Korruption, das Ausmaß der Korruption in Afghanistan, das sind ja sehr wichtige Informationen gewesen, quasi, die sonst investigative Journalisten herbeischaffen müssen. Das können sie eigentlich nur mithilfe von Informanten und wenn diese Informanten mithilfe von Strafgesetzen zum Schweigen gebracht werden, dann funktioniert auch die demokratische Kontrolle nicht mehr.
Kassel: Ja, aber kann denn das Gericht ernsthaft sagen: Gut, wir haben die Gesetze, aber aus bestimmten Gründen wenden wir sie gerade nicht an?
Rediske: Nun, sagen wir, unsere Kritik richtet sich auch weniger gegen diese Richterin, die ja offenbar so ein bisschen das Zwielichtige des Falles auch verstanden hat, sondern mehr gegen die gesamte US-Politik, die in der letzten Zeit – und da muss man auch Herrn Obama kritisieren – versucht hat, solche Lecks in der staatlichen Administration, die Journalisten wichtige Informationen, Enthüllungen zuschieben, zuzumachen, indem sie Journalisten vor Gericht stellen.
Kassel: Aber es ist doch ein Unterschied, ob ein Journalist vor Gericht steht wegen der Dinge, die er veröffentlicht hat oder eben sie, oder wenn in diesem Fall ja auch nicht irgendein Zivilist, eigentlich gar kein Zivilist, sondern ein Angehöriger des Militärs vor Gericht steht, weil er Geheimnisse verraten hat, die er als Geheimnisträger doch eindeutig juristisch nicht hätte verraten dürfen.
Rediske: Nun ja, aus Militärgesichtspunkten ist das völlig richtig, die Frage ist aber, muss da nicht abgewogen werden die Bedeutung einer Veröffentlichung. Im deutschen Presserecht beispielsweise haben wir durch das Bundesverfassungsgericht immer die Regel, es muss zwischen der Bedeutung einer Information und auf der anderen Seite auch verletzten Normen abgewogen werden. Und also beispielsweise die Veröffentlichung dieses Videos, was ja sehr viel Bestürzung und auch Diskussion hervorgerufen hat in den USA, wo im Irak amerikanische Soldaten in einem Helikopter Zivilisten und einen Reuters-Fotografen mutwillig erschießen, obwohl sie wissen und ganz offensichtlich sehen, dass es sich dort nicht um Gegner handelt, das ist doch ganz wichtig. Und da muss man, so meint Reporter ohne Grenzen, eben auch Gesetze schaffen - und wir haben dafür Vorschläge vorgelegt - Gesetze schaffen, die solche Whistleblower, solche Informanten entsprechend der Bedeutung auch ihrer Informationen, und natürlich mit Ausnahmen auch versehen, auch freistellen von Strafgesetzen.
Kassel: Nun haben Sie die deutsche Rechtslage erwähnt. Es gibt ja seit August 2012 ein neues Gesetz in der Bundesrepublik, das Journalisten weitestgehend vor Strafverfolgung schützt, wenn sie Informationen veröffentlichen, die von staatlichen Stellen stammen – die Journalisten. Und es ist ja auch keiner von Wikileaks und keiner vom "Guardian", der "New York Times" und anderen Zeitungen, die diese Dokumente teilweise veröffentlicht haben, verurteilt worden. Ist es nicht ein Unterschied, ob man einen Journalisten vor so was schützt oder einen Geheimnisträger?
Rediske: Sie haben völlig recht, das ist ein Unterschied, aber die Journalisten sind nun mal auf sogenannte Whistleblower als Informanten auch angewiesen. Wenn Informanten generell keine Möglichkeit haben, ihre Informationen weiterzugeben, weil sie mit Strafverfolgung rechnen müssen, dann nützt das den Journalisten auch nicht viel, dann bekommen die auch nichts mehr heraus. Wir fordern ja auch – im Übrigen, in anderen Ländern gibt es Gesetze auch zugunsten von Whistleblowern, also von Leuten, die auch Missstände anprangern. Übrigens, solche Gesetze gibt es auch in den USA, nur nicht für solche Fälle, also im Arbeitsrecht beispielsweise gibt es Fälle, gibt es Regeln, wo Menschen, die Missstände in ihrem Betrieb anklagen, auch davon freigestellt werden. So was lässt sich woanders und zugunsten der Presse auch anwenden.
Kassel: Der Fall Manning ist doch in gerade in dem Fall sehr kompliziert, es geht ja um 700.000 Dokumente, Sie haben natürlich das Video völlig zu Recht erwähnt, es gibt andere Beispiele, wo man sagen kann, da ist eine mögliche Begründung, das muss die Welt eigentlich wissen, was da passiert. Aber zum Beispiel 250.000 dieser Dokumente waren diese Botschaftsdepeschen, wo man dann erfahren hat, was der Botschafter in Kairo denkt und der in Warschau. Und es ist einfach so, dass im Grunde genommen der Mann offiziell dazu gar keinen Zugang hatte, damit ging es schon los, er hat da auch Dokumente geklaut, und dass man doch nicht ernsthaft behaupten kann, das stünde nun wirklich im Interesse der Weltbevölkerung, das zu erfahren.
Rediske: Also wir müssen ja eigentlich jetzt auch nicht klären, ob nicht Herr Manning, der da irgendwo im Irak saß und zu einem Zeitpunkt, wo diese ganze Diskussion, wo sind die Grenzen von Geheimnisse, auch noch nicht lief, ob der nun völlig unschuldig ist. Es geht wirklich um das Prinzip, dass Whistleblower für wichtige Informationen geschützt werden. Ich gebe Ihnen völlig recht, mich haben auch geärgert die Publikationen auch in dem deutschen Medium, was das veröffentlicht hat, im "Spiegel", der nicht immer die Menschenrechtsverletzungen nach vorne gestellt hat, sondern irgendwelche Äußerungen amerikanischer Botschafter über Könige und Minister im Nahen Osten. Da ist vieles bei gewesen, was nicht hätte veröffentlicht werden müssen, das ist aber, sagen wir, Herrn Manning nicht unbedingt zuzuordnen. Die Selektionen müssen nachher unserer Ansicht nach die Journalisten und die Medien machen. Manning war schon klar, dass Wikileaks vielleicht kein Medium ist, und Wikileaks musste sich ja auch an große Medien wie den "Guardian", die "New York Times" und den "Spiegel" wenden. Der hatte aus seiner kleinen Position dort im Irak eigentlich auch nicht diese Möglichkeit.
Kassel: Wir reden heute Nachmittag hier im Deutschlandradio Kultur mit Michael Rediske von Reporter ohne Grenzen über den Fall Bradley Manning, aber darüber hinausgehend natürlich auch über die Frage, inwiefern Whistleblower geschützt werden müssen, wenn sie juristisch gesehen etwas falsch machen, nämlich geschützte Informationen verraten. Sie haben da was ganz Wichtiges gesagt, finde ich: Sie haben gesagt, er – dieser Herr Manning – hatte ja gar nicht die Chance, das alles zu beurteilen, aber das ist doch die Crux dabei. Im Grunde genommen kann aber doch in dem Moment niemand anders als der Whistleblower das beurteilen, denn was mit den Informationen danach geschieht, hat er doch nicht mehr in der Hand.
Rediske: Das ist sozusagen sein Pech gewesen, wenn man das so sagen darf, dass nicht alle, die damit umgegangen sind, so sorgfältig umgegangen sind, so sorgfältig umgegangen sind, wie im allgemeinen die großen Medien, die es bekommen haben. Ich persönlich habe das auch bedauert, dass am Schluss Wikileaks tatsächlich diese sogenannten Embassy Cables, also die Berichte der US-Botschaften, völlig ungeprüft ins Netz gestellt hat. Das hätte man nicht tun sollen, und deswegen stehen wir von Reporter ohne Grenzen auch auf dem Standpunkt, dass am Ende der Kette immer die Journalisten sind, die sorgfältig prüfen müssen, was darf veröffentlicht werden, welche Quellen müssen geschützt werden, welche Namen müssen geschwärzt werden, stehen muss.
Kassel: Aber Sie wissen, so ist unsere Welt nicht. Wenn jemand was an den "Spiegel" schickt, und der nimmt es nicht, dann kann so jemand auch vielleicht aus Eitelkeit sagen, dann schicke ich es aber an die "Bild"-Zeitung, und wenn die es auch nicht nimmt, schicke ich es an irgendeinen Internetblog. Das heißt, es nützt doch nichts, wenn am Ende der Geheimnisträger doch auch wirklich damit umgehen muss und natürlich auch selber entscheiden muss, mache ich das, oder nicht.
Rediske: Ich glaube, dass das in unserer digitalisierten Welt so nicht funktionieren wird. Man muss – es sind einfach Massen von Dokumenten, um die es heute geht, und die Auswahl, die müssen am Schluss die Journalisten machen. Es gibt sicherlich andere Fälle von investigativem Journalismus, wo es um kleinere Fehlentwicklungen geht, Skandale, die vielleicht ein Unternehmen betreffen, wo der Whistleblower auch genau abwägen kann, was gibt er weiter. Das ist bisher in der Geschichte des Journalismus, glaube ich, auch der Normalfall gewesen, das ist aber sehr schwierig zu machen in solchen Fällen, wo es um richtige große Datenbanken geht. Dafür haben sich aber auch inzwischen Organisationen entwickelt, auch in der Nachfolge von Wikileaks, ein Konsortium von investigativen Journalisten weltweit, die ja kürzlich vor einigen Wochen dann auch nach langer, langer Auswahl und Bearbeitung der Quellen diese Liste von Steuerparadiesen veröffentlicht haben. Ich glaube, das ist beispielhaft für die Zukunft. Aber auch die sind angewiesen auf Whistleblower.
Kassel: Ich möchte am Schluss nicht vergessen, dass wir auch über einen Menschen reden, in dem Falle sogar über einen ziemlich jungen Menschen, der sein Leben noch vor sich hat. Bradley Manning ist nun grundsätzlich verurteilt worden, das Strafmaß steht nicht fest, und es gibt unter anderem auch von deutschen Juristen folgenden Vorschlag: Man solle in solchen Fällen die Whistleblower – nehmen wir das altmodische Wort, die Informanten – zwar verurteilen, auch zu einer Strafe, damit dem Gesetz sozusagen die Schuldigkeit getan wird, und anschließend soll man sie begnadigen. Ist bei Obama und Manning wahrscheinlich nicht der Fall in Zukunft, aber als theoretische Frage – ist das für Sie eine Lösung? Man verurteilt die nach Recht und Gesetz, und nachher werden sie begnadigt?
Rediske: Na ja, Begnadigung ist immer sozusagen ein Kopfprinzip, also irgendjemand muss das dann entscheiden: der Präsident. Viel besser ist natürlich immer eine juristische Lösung, und deswegen hoffen wir in diesem Fall auch, dass die Richterin, die ja durchaus für die Lage Verständnis gezeigt hat und auch nicht auf die Höchsstrafe hingezielt hat, dass die die Möglichkeiten auch wahrnimmt, die Strafe nachher niedrig zu halten, indem beispielsweise die Strafmaße für die verschiedenen Punkte der Anklage nicht hintereinander gesetzt werden, sondern er die Strafe gleichzeitig absitzen darf.
Kassel: Michael Rediske von der Organisation Reporter ohne Grenzen über das Urteil gegen den Whistleblower Bradley Manning und dessen Bedeutung für den Journalismus. Ich danke Ihnen sehr fürs Gespräch!
Rediske: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Michael Rediske: Guten Tag, Herr Kassel!
Kassel: Warum ist die Verurteilung eines Mannes wegen Verstoßes gegen geltende Gesetze eines demokratischen Landes ein Angriff auf die Pressefreiheit?
Rediske: Nun, Strafgesetze können auch Pressefreiheit kaputtmachen. Das sehen wir zunächst mal in nicht so demokratisch gestalteten Ländern, wo die Strafgesetze so ausgeformt sind, also beispielsweise Diffamierung des Staatsoberhauptes, dass Pressefreiheit gar nicht existiert. Nun ist das in den USA nicht der Fall, aber die Gesetze sind so, zum Beispiel, dass hier ein Spionageakt herangezogen wird im Fall Bradley Manning, dass es fast unmöglich gemacht wird, solche Dinge aufzudecken, wie das Manning gemacht hat, also Menschenrechtsverbrechen, grobe Fehlentwicklungen in der Politik der Vereinigten Staaten. Der hat ja veröffentlicht beziehungsweise an Wikileaks weitergegeben Informationen aus dem Afghanistankrieg über die zivilen Opfer, über die Korruption, das Ausmaß der Korruption in Afghanistan, das sind ja sehr wichtige Informationen gewesen, quasi, die sonst investigative Journalisten herbeischaffen müssen. Das können sie eigentlich nur mithilfe von Informanten und wenn diese Informanten mithilfe von Strafgesetzen zum Schweigen gebracht werden, dann funktioniert auch die demokratische Kontrolle nicht mehr.
Kassel: Ja, aber kann denn das Gericht ernsthaft sagen: Gut, wir haben die Gesetze, aber aus bestimmten Gründen wenden wir sie gerade nicht an?
Rediske: Nun, sagen wir, unsere Kritik richtet sich auch weniger gegen diese Richterin, die ja offenbar so ein bisschen das Zwielichtige des Falles auch verstanden hat, sondern mehr gegen die gesamte US-Politik, die in der letzten Zeit – und da muss man auch Herrn Obama kritisieren – versucht hat, solche Lecks in der staatlichen Administration, die Journalisten wichtige Informationen, Enthüllungen zuschieben, zuzumachen, indem sie Journalisten vor Gericht stellen.
Kassel: Aber es ist doch ein Unterschied, ob ein Journalist vor Gericht steht wegen der Dinge, die er veröffentlicht hat oder eben sie, oder wenn in diesem Fall ja auch nicht irgendein Zivilist, eigentlich gar kein Zivilist, sondern ein Angehöriger des Militärs vor Gericht steht, weil er Geheimnisse verraten hat, die er als Geheimnisträger doch eindeutig juristisch nicht hätte verraten dürfen.
Rediske: Nun ja, aus Militärgesichtspunkten ist das völlig richtig, die Frage ist aber, muss da nicht abgewogen werden die Bedeutung einer Veröffentlichung. Im deutschen Presserecht beispielsweise haben wir durch das Bundesverfassungsgericht immer die Regel, es muss zwischen der Bedeutung einer Information und auf der anderen Seite auch verletzten Normen abgewogen werden. Und also beispielsweise die Veröffentlichung dieses Videos, was ja sehr viel Bestürzung und auch Diskussion hervorgerufen hat in den USA, wo im Irak amerikanische Soldaten in einem Helikopter Zivilisten und einen Reuters-Fotografen mutwillig erschießen, obwohl sie wissen und ganz offensichtlich sehen, dass es sich dort nicht um Gegner handelt, das ist doch ganz wichtig. Und da muss man, so meint Reporter ohne Grenzen, eben auch Gesetze schaffen - und wir haben dafür Vorschläge vorgelegt - Gesetze schaffen, die solche Whistleblower, solche Informanten entsprechend der Bedeutung auch ihrer Informationen, und natürlich mit Ausnahmen auch versehen, auch freistellen von Strafgesetzen.
Kassel: Nun haben Sie die deutsche Rechtslage erwähnt. Es gibt ja seit August 2012 ein neues Gesetz in der Bundesrepublik, das Journalisten weitestgehend vor Strafverfolgung schützt, wenn sie Informationen veröffentlichen, die von staatlichen Stellen stammen – die Journalisten. Und es ist ja auch keiner von Wikileaks und keiner vom "Guardian", der "New York Times" und anderen Zeitungen, die diese Dokumente teilweise veröffentlicht haben, verurteilt worden. Ist es nicht ein Unterschied, ob man einen Journalisten vor so was schützt oder einen Geheimnisträger?
Rediske: Sie haben völlig recht, das ist ein Unterschied, aber die Journalisten sind nun mal auf sogenannte Whistleblower als Informanten auch angewiesen. Wenn Informanten generell keine Möglichkeit haben, ihre Informationen weiterzugeben, weil sie mit Strafverfolgung rechnen müssen, dann nützt das den Journalisten auch nicht viel, dann bekommen die auch nichts mehr heraus. Wir fordern ja auch – im Übrigen, in anderen Ländern gibt es Gesetze auch zugunsten von Whistleblowern, also von Leuten, die auch Missstände anprangern. Übrigens, solche Gesetze gibt es auch in den USA, nur nicht für solche Fälle, also im Arbeitsrecht beispielsweise gibt es Fälle, gibt es Regeln, wo Menschen, die Missstände in ihrem Betrieb anklagen, auch davon freigestellt werden. So was lässt sich woanders und zugunsten der Presse auch anwenden.
Kassel: Der Fall Manning ist doch in gerade in dem Fall sehr kompliziert, es geht ja um 700.000 Dokumente, Sie haben natürlich das Video völlig zu Recht erwähnt, es gibt andere Beispiele, wo man sagen kann, da ist eine mögliche Begründung, das muss die Welt eigentlich wissen, was da passiert. Aber zum Beispiel 250.000 dieser Dokumente waren diese Botschaftsdepeschen, wo man dann erfahren hat, was der Botschafter in Kairo denkt und der in Warschau. Und es ist einfach so, dass im Grunde genommen der Mann offiziell dazu gar keinen Zugang hatte, damit ging es schon los, er hat da auch Dokumente geklaut, und dass man doch nicht ernsthaft behaupten kann, das stünde nun wirklich im Interesse der Weltbevölkerung, das zu erfahren.
Rediske: Also wir müssen ja eigentlich jetzt auch nicht klären, ob nicht Herr Manning, der da irgendwo im Irak saß und zu einem Zeitpunkt, wo diese ganze Diskussion, wo sind die Grenzen von Geheimnisse, auch noch nicht lief, ob der nun völlig unschuldig ist. Es geht wirklich um das Prinzip, dass Whistleblower für wichtige Informationen geschützt werden. Ich gebe Ihnen völlig recht, mich haben auch geärgert die Publikationen auch in dem deutschen Medium, was das veröffentlicht hat, im "Spiegel", der nicht immer die Menschenrechtsverletzungen nach vorne gestellt hat, sondern irgendwelche Äußerungen amerikanischer Botschafter über Könige und Minister im Nahen Osten. Da ist vieles bei gewesen, was nicht hätte veröffentlicht werden müssen, das ist aber, sagen wir, Herrn Manning nicht unbedingt zuzuordnen. Die Selektionen müssen nachher unserer Ansicht nach die Journalisten und die Medien machen. Manning war schon klar, dass Wikileaks vielleicht kein Medium ist, und Wikileaks musste sich ja auch an große Medien wie den "Guardian", die "New York Times" und den "Spiegel" wenden. Der hatte aus seiner kleinen Position dort im Irak eigentlich auch nicht diese Möglichkeit.
Kassel: Wir reden heute Nachmittag hier im Deutschlandradio Kultur mit Michael Rediske von Reporter ohne Grenzen über den Fall Bradley Manning, aber darüber hinausgehend natürlich auch über die Frage, inwiefern Whistleblower geschützt werden müssen, wenn sie juristisch gesehen etwas falsch machen, nämlich geschützte Informationen verraten. Sie haben da was ganz Wichtiges gesagt, finde ich: Sie haben gesagt, er – dieser Herr Manning – hatte ja gar nicht die Chance, das alles zu beurteilen, aber das ist doch die Crux dabei. Im Grunde genommen kann aber doch in dem Moment niemand anders als der Whistleblower das beurteilen, denn was mit den Informationen danach geschieht, hat er doch nicht mehr in der Hand.
Rediske: Das ist sozusagen sein Pech gewesen, wenn man das so sagen darf, dass nicht alle, die damit umgegangen sind, so sorgfältig umgegangen sind, so sorgfältig umgegangen sind, wie im allgemeinen die großen Medien, die es bekommen haben. Ich persönlich habe das auch bedauert, dass am Schluss Wikileaks tatsächlich diese sogenannten Embassy Cables, also die Berichte der US-Botschaften, völlig ungeprüft ins Netz gestellt hat. Das hätte man nicht tun sollen, und deswegen stehen wir von Reporter ohne Grenzen auch auf dem Standpunkt, dass am Ende der Kette immer die Journalisten sind, die sorgfältig prüfen müssen, was darf veröffentlicht werden, welche Quellen müssen geschützt werden, welche Namen müssen geschwärzt werden, stehen muss.
Kassel: Aber Sie wissen, so ist unsere Welt nicht. Wenn jemand was an den "Spiegel" schickt, und der nimmt es nicht, dann kann so jemand auch vielleicht aus Eitelkeit sagen, dann schicke ich es aber an die "Bild"-Zeitung, und wenn die es auch nicht nimmt, schicke ich es an irgendeinen Internetblog. Das heißt, es nützt doch nichts, wenn am Ende der Geheimnisträger doch auch wirklich damit umgehen muss und natürlich auch selber entscheiden muss, mache ich das, oder nicht.
Rediske: Ich glaube, dass das in unserer digitalisierten Welt so nicht funktionieren wird. Man muss – es sind einfach Massen von Dokumenten, um die es heute geht, und die Auswahl, die müssen am Schluss die Journalisten machen. Es gibt sicherlich andere Fälle von investigativem Journalismus, wo es um kleinere Fehlentwicklungen geht, Skandale, die vielleicht ein Unternehmen betreffen, wo der Whistleblower auch genau abwägen kann, was gibt er weiter. Das ist bisher in der Geschichte des Journalismus, glaube ich, auch der Normalfall gewesen, das ist aber sehr schwierig zu machen in solchen Fällen, wo es um richtige große Datenbanken geht. Dafür haben sich aber auch inzwischen Organisationen entwickelt, auch in der Nachfolge von Wikileaks, ein Konsortium von investigativen Journalisten weltweit, die ja kürzlich vor einigen Wochen dann auch nach langer, langer Auswahl und Bearbeitung der Quellen diese Liste von Steuerparadiesen veröffentlicht haben. Ich glaube, das ist beispielhaft für die Zukunft. Aber auch die sind angewiesen auf Whistleblower.
Kassel: Ich möchte am Schluss nicht vergessen, dass wir auch über einen Menschen reden, in dem Falle sogar über einen ziemlich jungen Menschen, der sein Leben noch vor sich hat. Bradley Manning ist nun grundsätzlich verurteilt worden, das Strafmaß steht nicht fest, und es gibt unter anderem auch von deutschen Juristen folgenden Vorschlag: Man solle in solchen Fällen die Whistleblower – nehmen wir das altmodische Wort, die Informanten – zwar verurteilen, auch zu einer Strafe, damit dem Gesetz sozusagen die Schuldigkeit getan wird, und anschließend soll man sie begnadigen. Ist bei Obama und Manning wahrscheinlich nicht der Fall in Zukunft, aber als theoretische Frage – ist das für Sie eine Lösung? Man verurteilt die nach Recht und Gesetz, und nachher werden sie begnadigt?
Rediske: Na ja, Begnadigung ist immer sozusagen ein Kopfprinzip, also irgendjemand muss das dann entscheiden: der Präsident. Viel besser ist natürlich immer eine juristische Lösung, und deswegen hoffen wir in diesem Fall auch, dass die Richterin, die ja durchaus für die Lage Verständnis gezeigt hat und auch nicht auf die Höchsstrafe hingezielt hat, dass die die Möglichkeiten auch wahrnimmt, die Strafe nachher niedrig zu halten, indem beispielsweise die Strafmaße für die verschiedenen Punkte der Anklage nicht hintereinander gesetzt werden, sondern er die Strafe gleichzeitig absitzen darf.
Kassel: Michael Rediske von der Organisation Reporter ohne Grenzen über das Urteil gegen den Whistleblower Bradley Manning und dessen Bedeutung für den Journalismus. Ich danke Ihnen sehr fürs Gespräch!
Rediske: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.