Strafrechtler: Snowden ist nicht zwangsläufig der Spionage schuldig
Der Strafrechtler Kai Ambos von der Universität Göttingen hält es für fraglich, ob der flüchtige ehemalige US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden überhaupt wegen Spionage angeklagt werden kann.
Matthias Hanselmann: Massive Spionageangriffe der USA auf China, ein umfangreiches Spionageprogramm des britischen Geheimdienstes Government Communications Headquarters und gigantische Internetschnüffeleien des US-Militärgeheimdienstes NSA – all dies und mehr hat der 30-jährige US-Amerikaner Edward Snowden bisher enthüllt oder verraten. Und er hat nach eigener Aussage noch so einiges in petto.
Snowden ist auf der Flucht rund um den Globus. Es geht ihm gut, er sei gesund, sicher und guter Laune. Das sagt einer seiner prominentesten Unterstützer, der Wikileaks-Gründer Julian Assange, der Kontakt mit Snowden hat. Edward Snowden ist für die USA ein Verräter, für viele auch ein Hochverräter. Nicht so für China und Russland, dort freut man sich über Snowdens Enthüllungen, so wie man sich in den USA darüber ärgert.
Wir sprechen mit Kai Ambos, er ist Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsvergleichung und internationales Strafrecht an der Universität Göttingen. Guten Tag, Herr Ambos.
Kai Ambos: Schönen guten Tag.
Hanselmann: Niemand weiß, wo sich Mister Snowden momentan befindet. Angeblich will er nach Ecuador. Muss denn die USA das nächste Rechtshilfeersuchen also an die ecuadorianische Regierung dann stellen?
Ambos: Genau, also wenn er nach Ecuador einreisen sollte, dann wäre das der Staat, von denen die USA ihn sozusagen überstellt haben würden. Und sie müssten dann ein Rechtshilfeersuchen an Ecuador stellen.
Hanselmann: Ist das überhaupt die richtige Vokabel: Rechtshilfeersuchen? Sie wollen ja seine Auslieferung?
Ambos: Genau. Es ist eigentlich ein Auslieferungsersuchen. Rechtshilfe ist der Oberbegriff. Da gibt es mehrere Formen der Rechtshilfe, und die wichtigste Form der Rechtshilfe, auch in der Praxis, ist eben die Auslieferung einer bestimmten Person, die man strafrechtlich belangen will.
Hanselmann: Was beinhaltet ein solches Auslieferungsersuchen genauer?
Ambos: Es kommt immer darauf an, wie die Beziehungen zwischen dem Staat, der eine Person haben will, und dem Staat, wo sie sich befindet, auch genannt "ersuchender Staat", hier also die USA, und "ersuchter Staat", gegebenenfalls Ecuador. Wie diese rechtlichen Beziehungen beschaffen sind, gibt es da einen Vertrag, gibt es vielleicht ein multilaterales Abkommen, was in Europa ja üblich ist, oder gibt es überhaupt nichts? Also hat man einen sogenannten vertragslosen Auslieferungsverkehr? Und je nachdem, wie es sich da verhält, sind dann eben die Regeln aus diesem Recht zu beachten.
Hanselmann: Nun hat Hongkong behauptet, das Auslieferungsersuchen der USA sei nicht vollständig gewesen. Was könnte denn da gefehlt haben?
Ambos: Also im Falle Hongkongs besteht ja ein Auslieferungsvertrag zwischen den USA und Hongkong. Hongkong hat ja noch eine gewisse rechtliche Autonomie gegenüber China. Und in diesem Auslieferungsvertrag, den ich jetzt nicht gelesen habe, aber das ist das Übliche, wird wahrscheinlich vorausgesetzt, dass man bestimmte Unterlagen vorzulegen hat, und in diesen Unterlagen muss man unter anderem genau beschreiben, um welche Vorwürfe es eigentlich geht, die Tatsachen genau beschreiben und das anwendbare Recht des ersuchenden Staats, also der USA. Da muss man also schon ziemlich etwas liefern, was wir ja alles nicht kennen. Das ist ja nicht öffentlich, diese Information. Und es kann da schon was fehlen, also, das ist durchaus nicht ungewöhnlich, dass in solchen Auslieferungsverfahren der Staat, von dem etwas verlangt wird, da noch mal nachfordert, dann sagt, bitte, ich brauche noch ein paar Unterlagen, um den Antrag überhaupt bearbeiten zu können.
Hanselmann: Hat Hongkong aber nicht gemacht, hat ihn ziehen lassen. Also deswegen könnte das ja sein, dass das nicht ganz glaubhaft ist und eher eine Ausrede.
Ambos: Ja, es müsste halt auch Gründe haben, um ihn festzunehmen. Man kann ja eine Person nicht einfach so festnehmen und Hongkong muss halt … ich kenne jetzt natürlich die Einzelheiten nicht, weil ich den Auslieferungsantrag nicht kenne, und ich kann jetzt nicht spekulieren über den Beweggrund des Hongkongischen Beamten oder wer auch immer da entschieden hat. Hongkong muss eben einen wirklichen Grund haben, eine Person festzunehmen, und dann müsste es halt einen Haftbefehl haben der USA, den es aber auch nicht so ohne Weiteres vollstrecken kann. Den muss es halt irgendwie auf seine Substantiiertheit, also seine Begründetheit prüfen und muss dann entscheiden. Also man kann nicht von vornherein jetzt Hongkong unterstellen, die wollten sozusagen den USA eins auswischen und haben den deswegen laufen lassen.
Hanselmann: Also die USA müssten in einem Auslieferungsantrag erklären, was Snowden genau vorgeworfen wird, damit dann das betreffende Land prüfen kann, ob es sich wirklich um eine Straftat handelt. Gilt das denn für alle Länder gleichermaßen?
Ambos: Das gilt grundsätzlich für alle Länder, es ist sogar mehr noch, als nur zu prüfen, ob es strafbar ist, nach dem Land, das die Person verfolgen will, also hier die USA. Das muss die USA nachweisen, die müssen sagen, das ist strafbar nach unserem Strafrecht, das sind die und die Tatbestände, aber normalerweise gilt eben auch der sogenannte Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit – es muss also auch nach dem Land, das die Person ausliefern soll, strafbar sein. Und das ist ja gar nicht so einfach. Sie müssten zum Beispiel in Deutschland jetzt ihr Strafgesetzbuch nehmen und gucken, ob das, was die USA hier Snowden vorwirft, in Deutschland überhaupt strafbar wäre. Und das geht eben nicht so schnell, das ist schon eine Prüfung, die man da machen muss. Und wenn Sie sich überlegen, wie lange manche deutschen Gerichte brauchen – denken Sie mal an das NSU-Verfahren –, vielleicht leichtere Sachen zu prüfen, kann man jetzt auch nicht sagen, dass das da in zwölf Stunden oder 24 Stunden geschehen muss.
Hanselmann: Es gibt ja, und das ist in dem Zusammenhang sicherlich interessant, Parallelen zum Fall Julian Assange, der sich in der ecuadorianischen Botschaft in London aufhält und sich damit vor dem Zugriff auch durch die britische Justiz schützt. Wo wäre Snowden denn überhaupt sicher?
Ambos: Sicher ist er letztendlich nur in einem Land, das mit den USA überhaupt keine Beziehungen hat, sagen wir mal Iran, was ihn also auf keinen Fall ausliefert. Aber auch Ecuador, Venezuela, Kuba, was da so im Gespräch ist, das sind ja sehr US-kritische Länder, die würden ihn wohl auch nicht ausliefern. Also er muss letztendlich in ein Land gelangen, wo er nicht ausgeliefert werden kann. Und wenn man heute davon ausgeht, im Jahre 2013, dass die USA jetzt da keine Invasion machen, das haben sie früher ja mal gemacht, denken Sie zum Beispiel an Grenada mit Noriega. Dann wäre er da sicher, ja, aber er kann natürlich nirgends hinreisen, wo irgendwelche US-Agenten sind, und auch nicht in sehr befreundete Länder. Das wäre sehr gefährlich.
Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das Radiofeuilleton, wir sprechen mit Kai Ambos, er ist Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsvergleichung und internationales Strafrecht an der Uni Göttingen. Herr Ambos, welchen Status haben denn Botschaften wie die ecuadorianische zum Beispiel. Sind sie, wie oft zu hören ist, wirklich exterritoriales Gebiet?
Ambos: Ja, da bin ich Ihnen sehr dankbar, dass Sie mir die Frage jetzt stellen, weil dann kann ich das vielleicht endgültig mal klären, dass dieser Begriff nicht mehr durch unsere auch so seriösen Medien wie den Deutschlandfunk, das Deutschlandradio herumgeistert. Wenn das so wäre, dann würde das ja bedeuten, dass so eine Stadt wie Berlin aus lauter exterritorialem oder extraterritorialem Gebiet besteht, also aus Gebiet, was gar nicht zum deutschen Hoheitsgebiet gehört. Was natürlich ein Unding ist. Auch in der türkischen Botschaft oder der amerikanischen in Berlin besteht natürlich deutsche Hoheitsgewalt. Nur diese Botschaften sind geschützt durch ein besonderes Rechtsregime des Völkerrechts, nämlich das Diplomatenrecht. Und das gleiche hat man für Konsulate, das Konsularrecht. Und da genießen Sie eben den sogenannten Schutz der Unverletzlichkeit der Mission.
Hanselmann: Also von exterritorial kann man da nicht sprechen?
Ambos: Kann man nicht sprechen, nein, die sind ja auch in unserem Gebiet, also, es ist ja auch, wenn Sie es jetzt mal mit gesundem Menschenverstand betrachten, wieso soll denn die türkische Botschaft in Berlin extraterritorial – weil die ist ja nicht außerhalb, extra, unseres Territoriums, die ist ja in unserem Territorium.
Hanselmann: Aber man genießt dort einen besonderen Schutz. Ist denn Snowden juristisch gesehen tatsächlich, was man jetzt in den letzten Tagen in der Zeitung lesen kann, aus Sicht der USA ein Verräter, manche sagen, er sei ein Hochverräter – den Unterschied kenne ich auch nicht ganz …
Ambos: Die ist auch gut, die Frage, ja.
Hanselmann: Was ist er denn?
Ambos: Ja, ja, ich habe mir also noch mal die Straftatbestände angeguckt, um die es da geht. Wenn man sich jetzt mal auf die amerikanische Argumentation einlässt – das sind ja drei Straftatbestände. Der eine ist Diebstahl von Regierungseigentum. Der ist jetzt was Kleineres, das kann man mal weglassen. Und die anderen beiden sind aus einem Gesetz aus 1917, der sogenannte "Espionage Act", also der Spionageakt, den man besonders eingesetzt hat gegen die Spionage im Rahmen des Zweiten Weltkriegs. Da gab es auch mal Fälle gegen Deutsche. Also klassische Fälle der Spionage, wie wir sie auch kennengelernt haben, Fall Guillaume bei Willy Brandt, ja, in unserer Geschichte, wo ja der Kern des Vorwurfs darin besteht – so auch übrigens unser deutsches Staatsschutzrecht, in unserem deutschen Strafgesetzbuch, dass ich einer fremden Macht geheime Informationen weitergebe. Also der Kern ist "Der Spion, der aus der Kälte kam", könnte man fast schon sagen, der wandert eben zwischen Berlin-West und Berlin-Ost hin und her und arbeitet in Westberlin für Ostberlin. Das wäre unser Fall gewesen, und hilft damit sozusagen dem Feind. Die Straftatbestände, die die USA da anführen, sagen da noch, es muss ein Schaden zum Nachteil, "to the Injury of the United States" muss geschehen, man muss "National Defense"-Informationen, also nationale Verteidigung berühren, man muss die Sicherheit und das Interesse der Vereinigten Staaten gefährden mit dieser Handlung.
Also er hat natürlich Informationen weitergegeben, die sicherlich auch klassifiziert sind, die Geheimnis – sozusagen geheime Informationen, das ist klar. Insofern sind diese Tatbestände erfüllt. Aber hat er tatsächlich einen Schaden den USA zugefügt? Das ist natürlich sehr unbestimmt, sehr schwer auszulegen. Da tritt zum Beispiel ein Kollege von Ihnen im "Guardian", nämlich der Herr, der den zuerst interviewt hat, die Auffassung, er hat gar nicht zum Schaden der USA gehandelt, er hat zum Nutzen der USA gehandelt, denn er hat die Bürger darüber informiert, dass sie ausspioniert wurden. Und die Ironie der Geschichte ist, dass er jetzt verfolgt wird wegen Spionage, ja? Eigentlich ein Witz und ein Treppenwitz.
Hanselmann: Was würden Sie ihm denn – nehmen wir doch mal an, Sie würden ihn vertreten, was würden Sie Snowden jetzt empfehlen in der aktuellen Situation?
Ambos: Ich würde natürlich ihm das empfehlen, was ihm wahrscheinlich empfohlen wird, da gibt es ja größere Experten als ich, die Leute, die Freunde von Wikileaks nämlich. Also natürlich muss er sich Staaten suchen, jenseits dieser rechtlich-technischen Fragen, die mit den USA nicht besonders gern zusammenarbeiten und sich auch freuen, wenn sie den USA mal, ich möchte es mal so ausdrücken, ans Bein pinkeln können. Und das macht er ja schon, und dass er in so einen Staat kommt.
Die rein juristische Vertretung wäre, ich würde überhaupt mal prüfen, ob das überhaupt unter die Tatbestände fällt nach US-Recht. Das ist gar nicht so eindeutig wegen dieser Zielrichtung. Es ist eben nicht der klassische Spionagefall, sondern es ist eine Person, die macht ein Interview mit einer hoch angesehenen englischen Zeitung, dem "Guardian", der könnte genauso gut mit dem "Spiegel" oder Ihnen gesprochen haben vom Deutschlandradio, und gibt Informationen, die doch das gesamte Volk interessieren sollten.
Hanselmann: Er offenbart seinen Namen, er zeigt sein Gesicht und so weiter und so weiter.
Ambos: Genau. Und er hat auch nichts dafür bekommen, ja, Sie müssen sehen, er hat nichts bekommen. Der klassische Spion wird ja sozusagen alimentiert, der bekommt tolle Sachen und so weiter. Er hat das umsonst gemacht, und er hat ja auch in seiner Begründung, die alle Leute hören können in Youtube und so, hat er gesagt, für mich war das eine Gewissensfrage und ich musste abwägen. Der ist sich natürlich bewusst, dass er da seine Dienstpflichten verletzt und vielleicht auch Straftaten besteht und dass er jetzt von der Supermacht verfolgt wird, aber er hat eben abgewogen. Also ich meine, dass diese Information, die ein Public Interest ist, im öffentlichen Interesse liegt, und deswegen habe ich das eben in Kauf genommen.
Hanselmann: Der Fall Snowden aus der Sicht von Kai Ambos, Professor für Strafrecht in Göttingen. Ganz herzlichen Dank, Herr Ambos.
Ambos: Sehr gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Snowden ist auf der Flucht rund um den Globus. Es geht ihm gut, er sei gesund, sicher und guter Laune. Das sagt einer seiner prominentesten Unterstützer, der Wikileaks-Gründer Julian Assange, der Kontakt mit Snowden hat. Edward Snowden ist für die USA ein Verräter, für viele auch ein Hochverräter. Nicht so für China und Russland, dort freut man sich über Snowdens Enthüllungen, so wie man sich in den USA darüber ärgert.
Wir sprechen mit Kai Ambos, er ist Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsvergleichung und internationales Strafrecht an der Universität Göttingen. Guten Tag, Herr Ambos.
Kai Ambos: Schönen guten Tag.
Hanselmann: Niemand weiß, wo sich Mister Snowden momentan befindet. Angeblich will er nach Ecuador. Muss denn die USA das nächste Rechtshilfeersuchen also an die ecuadorianische Regierung dann stellen?
Ambos: Genau, also wenn er nach Ecuador einreisen sollte, dann wäre das der Staat, von denen die USA ihn sozusagen überstellt haben würden. Und sie müssten dann ein Rechtshilfeersuchen an Ecuador stellen.
Hanselmann: Ist das überhaupt die richtige Vokabel: Rechtshilfeersuchen? Sie wollen ja seine Auslieferung?
Ambos: Genau. Es ist eigentlich ein Auslieferungsersuchen. Rechtshilfe ist der Oberbegriff. Da gibt es mehrere Formen der Rechtshilfe, und die wichtigste Form der Rechtshilfe, auch in der Praxis, ist eben die Auslieferung einer bestimmten Person, die man strafrechtlich belangen will.
Hanselmann: Was beinhaltet ein solches Auslieferungsersuchen genauer?
Ambos: Es kommt immer darauf an, wie die Beziehungen zwischen dem Staat, der eine Person haben will, und dem Staat, wo sie sich befindet, auch genannt "ersuchender Staat", hier also die USA, und "ersuchter Staat", gegebenenfalls Ecuador. Wie diese rechtlichen Beziehungen beschaffen sind, gibt es da einen Vertrag, gibt es vielleicht ein multilaterales Abkommen, was in Europa ja üblich ist, oder gibt es überhaupt nichts? Also hat man einen sogenannten vertragslosen Auslieferungsverkehr? Und je nachdem, wie es sich da verhält, sind dann eben die Regeln aus diesem Recht zu beachten.
Hanselmann: Nun hat Hongkong behauptet, das Auslieferungsersuchen der USA sei nicht vollständig gewesen. Was könnte denn da gefehlt haben?
Ambos: Also im Falle Hongkongs besteht ja ein Auslieferungsvertrag zwischen den USA und Hongkong. Hongkong hat ja noch eine gewisse rechtliche Autonomie gegenüber China. Und in diesem Auslieferungsvertrag, den ich jetzt nicht gelesen habe, aber das ist das Übliche, wird wahrscheinlich vorausgesetzt, dass man bestimmte Unterlagen vorzulegen hat, und in diesen Unterlagen muss man unter anderem genau beschreiben, um welche Vorwürfe es eigentlich geht, die Tatsachen genau beschreiben und das anwendbare Recht des ersuchenden Staats, also der USA. Da muss man also schon ziemlich etwas liefern, was wir ja alles nicht kennen. Das ist ja nicht öffentlich, diese Information. Und es kann da schon was fehlen, also, das ist durchaus nicht ungewöhnlich, dass in solchen Auslieferungsverfahren der Staat, von dem etwas verlangt wird, da noch mal nachfordert, dann sagt, bitte, ich brauche noch ein paar Unterlagen, um den Antrag überhaupt bearbeiten zu können.
Hanselmann: Hat Hongkong aber nicht gemacht, hat ihn ziehen lassen. Also deswegen könnte das ja sein, dass das nicht ganz glaubhaft ist und eher eine Ausrede.
Ambos: Ja, es müsste halt auch Gründe haben, um ihn festzunehmen. Man kann ja eine Person nicht einfach so festnehmen und Hongkong muss halt … ich kenne jetzt natürlich die Einzelheiten nicht, weil ich den Auslieferungsantrag nicht kenne, und ich kann jetzt nicht spekulieren über den Beweggrund des Hongkongischen Beamten oder wer auch immer da entschieden hat. Hongkong muss eben einen wirklichen Grund haben, eine Person festzunehmen, und dann müsste es halt einen Haftbefehl haben der USA, den es aber auch nicht so ohne Weiteres vollstrecken kann. Den muss es halt irgendwie auf seine Substantiiertheit, also seine Begründetheit prüfen und muss dann entscheiden. Also man kann nicht von vornherein jetzt Hongkong unterstellen, die wollten sozusagen den USA eins auswischen und haben den deswegen laufen lassen.
Hanselmann: Also die USA müssten in einem Auslieferungsantrag erklären, was Snowden genau vorgeworfen wird, damit dann das betreffende Land prüfen kann, ob es sich wirklich um eine Straftat handelt. Gilt das denn für alle Länder gleichermaßen?
Ambos: Das gilt grundsätzlich für alle Länder, es ist sogar mehr noch, als nur zu prüfen, ob es strafbar ist, nach dem Land, das die Person verfolgen will, also hier die USA. Das muss die USA nachweisen, die müssen sagen, das ist strafbar nach unserem Strafrecht, das sind die und die Tatbestände, aber normalerweise gilt eben auch der sogenannte Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit – es muss also auch nach dem Land, das die Person ausliefern soll, strafbar sein. Und das ist ja gar nicht so einfach. Sie müssten zum Beispiel in Deutschland jetzt ihr Strafgesetzbuch nehmen und gucken, ob das, was die USA hier Snowden vorwirft, in Deutschland überhaupt strafbar wäre. Und das geht eben nicht so schnell, das ist schon eine Prüfung, die man da machen muss. Und wenn Sie sich überlegen, wie lange manche deutschen Gerichte brauchen – denken Sie mal an das NSU-Verfahren –, vielleicht leichtere Sachen zu prüfen, kann man jetzt auch nicht sagen, dass das da in zwölf Stunden oder 24 Stunden geschehen muss.
Hanselmann: Es gibt ja, und das ist in dem Zusammenhang sicherlich interessant, Parallelen zum Fall Julian Assange, der sich in der ecuadorianischen Botschaft in London aufhält und sich damit vor dem Zugriff auch durch die britische Justiz schützt. Wo wäre Snowden denn überhaupt sicher?
Ambos: Sicher ist er letztendlich nur in einem Land, das mit den USA überhaupt keine Beziehungen hat, sagen wir mal Iran, was ihn also auf keinen Fall ausliefert. Aber auch Ecuador, Venezuela, Kuba, was da so im Gespräch ist, das sind ja sehr US-kritische Länder, die würden ihn wohl auch nicht ausliefern. Also er muss letztendlich in ein Land gelangen, wo er nicht ausgeliefert werden kann. Und wenn man heute davon ausgeht, im Jahre 2013, dass die USA jetzt da keine Invasion machen, das haben sie früher ja mal gemacht, denken Sie zum Beispiel an Grenada mit Noriega. Dann wäre er da sicher, ja, aber er kann natürlich nirgends hinreisen, wo irgendwelche US-Agenten sind, und auch nicht in sehr befreundete Länder. Das wäre sehr gefährlich.
Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das Radiofeuilleton, wir sprechen mit Kai Ambos, er ist Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsvergleichung und internationales Strafrecht an der Uni Göttingen. Herr Ambos, welchen Status haben denn Botschaften wie die ecuadorianische zum Beispiel. Sind sie, wie oft zu hören ist, wirklich exterritoriales Gebiet?
Ambos: Ja, da bin ich Ihnen sehr dankbar, dass Sie mir die Frage jetzt stellen, weil dann kann ich das vielleicht endgültig mal klären, dass dieser Begriff nicht mehr durch unsere auch so seriösen Medien wie den Deutschlandfunk, das Deutschlandradio herumgeistert. Wenn das so wäre, dann würde das ja bedeuten, dass so eine Stadt wie Berlin aus lauter exterritorialem oder extraterritorialem Gebiet besteht, also aus Gebiet, was gar nicht zum deutschen Hoheitsgebiet gehört. Was natürlich ein Unding ist. Auch in der türkischen Botschaft oder der amerikanischen in Berlin besteht natürlich deutsche Hoheitsgewalt. Nur diese Botschaften sind geschützt durch ein besonderes Rechtsregime des Völkerrechts, nämlich das Diplomatenrecht. Und das gleiche hat man für Konsulate, das Konsularrecht. Und da genießen Sie eben den sogenannten Schutz der Unverletzlichkeit der Mission.
Hanselmann: Also von exterritorial kann man da nicht sprechen?
Ambos: Kann man nicht sprechen, nein, die sind ja auch in unserem Gebiet, also, es ist ja auch, wenn Sie es jetzt mal mit gesundem Menschenverstand betrachten, wieso soll denn die türkische Botschaft in Berlin extraterritorial – weil die ist ja nicht außerhalb, extra, unseres Territoriums, die ist ja in unserem Territorium.
Hanselmann: Aber man genießt dort einen besonderen Schutz. Ist denn Snowden juristisch gesehen tatsächlich, was man jetzt in den letzten Tagen in der Zeitung lesen kann, aus Sicht der USA ein Verräter, manche sagen, er sei ein Hochverräter – den Unterschied kenne ich auch nicht ganz …
Ambos: Die ist auch gut, die Frage, ja.
Hanselmann: Was ist er denn?
Ambos: Ja, ja, ich habe mir also noch mal die Straftatbestände angeguckt, um die es da geht. Wenn man sich jetzt mal auf die amerikanische Argumentation einlässt – das sind ja drei Straftatbestände. Der eine ist Diebstahl von Regierungseigentum. Der ist jetzt was Kleineres, das kann man mal weglassen. Und die anderen beiden sind aus einem Gesetz aus 1917, der sogenannte "Espionage Act", also der Spionageakt, den man besonders eingesetzt hat gegen die Spionage im Rahmen des Zweiten Weltkriegs. Da gab es auch mal Fälle gegen Deutsche. Also klassische Fälle der Spionage, wie wir sie auch kennengelernt haben, Fall Guillaume bei Willy Brandt, ja, in unserer Geschichte, wo ja der Kern des Vorwurfs darin besteht – so auch übrigens unser deutsches Staatsschutzrecht, in unserem deutschen Strafgesetzbuch, dass ich einer fremden Macht geheime Informationen weitergebe. Also der Kern ist "Der Spion, der aus der Kälte kam", könnte man fast schon sagen, der wandert eben zwischen Berlin-West und Berlin-Ost hin und her und arbeitet in Westberlin für Ostberlin. Das wäre unser Fall gewesen, und hilft damit sozusagen dem Feind. Die Straftatbestände, die die USA da anführen, sagen da noch, es muss ein Schaden zum Nachteil, "to the Injury of the United States" muss geschehen, man muss "National Defense"-Informationen, also nationale Verteidigung berühren, man muss die Sicherheit und das Interesse der Vereinigten Staaten gefährden mit dieser Handlung.
Also er hat natürlich Informationen weitergegeben, die sicherlich auch klassifiziert sind, die Geheimnis – sozusagen geheime Informationen, das ist klar. Insofern sind diese Tatbestände erfüllt. Aber hat er tatsächlich einen Schaden den USA zugefügt? Das ist natürlich sehr unbestimmt, sehr schwer auszulegen. Da tritt zum Beispiel ein Kollege von Ihnen im "Guardian", nämlich der Herr, der den zuerst interviewt hat, die Auffassung, er hat gar nicht zum Schaden der USA gehandelt, er hat zum Nutzen der USA gehandelt, denn er hat die Bürger darüber informiert, dass sie ausspioniert wurden. Und die Ironie der Geschichte ist, dass er jetzt verfolgt wird wegen Spionage, ja? Eigentlich ein Witz und ein Treppenwitz.
Hanselmann: Was würden Sie ihm denn – nehmen wir doch mal an, Sie würden ihn vertreten, was würden Sie Snowden jetzt empfehlen in der aktuellen Situation?
Ambos: Ich würde natürlich ihm das empfehlen, was ihm wahrscheinlich empfohlen wird, da gibt es ja größere Experten als ich, die Leute, die Freunde von Wikileaks nämlich. Also natürlich muss er sich Staaten suchen, jenseits dieser rechtlich-technischen Fragen, die mit den USA nicht besonders gern zusammenarbeiten und sich auch freuen, wenn sie den USA mal, ich möchte es mal so ausdrücken, ans Bein pinkeln können. Und das macht er ja schon, und dass er in so einen Staat kommt.
Die rein juristische Vertretung wäre, ich würde überhaupt mal prüfen, ob das überhaupt unter die Tatbestände fällt nach US-Recht. Das ist gar nicht so eindeutig wegen dieser Zielrichtung. Es ist eben nicht der klassische Spionagefall, sondern es ist eine Person, die macht ein Interview mit einer hoch angesehenen englischen Zeitung, dem "Guardian", der könnte genauso gut mit dem "Spiegel" oder Ihnen gesprochen haben vom Deutschlandradio, und gibt Informationen, die doch das gesamte Volk interessieren sollten.
Hanselmann: Er offenbart seinen Namen, er zeigt sein Gesicht und so weiter und so weiter.
Ambos: Genau. Und er hat auch nichts dafür bekommen, ja, Sie müssen sehen, er hat nichts bekommen. Der klassische Spion wird ja sozusagen alimentiert, der bekommt tolle Sachen und so weiter. Er hat das umsonst gemacht, und er hat ja auch in seiner Begründung, die alle Leute hören können in Youtube und so, hat er gesagt, für mich war das eine Gewissensfrage und ich musste abwägen. Der ist sich natürlich bewusst, dass er da seine Dienstpflichten verletzt und vielleicht auch Straftaten besteht und dass er jetzt von der Supermacht verfolgt wird, aber er hat eben abgewogen. Also ich meine, dass diese Information, die ein Public Interest ist, im öffentlichen Interesse liegt, und deswegen habe ich das eben in Kauf genommen.
Hanselmann: Der Fall Snowden aus der Sicht von Kai Ambos, Professor für Strafrecht in Göttingen. Ganz herzlichen Dank, Herr Ambos.
Ambos: Sehr gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.