Gegen die Kultur des Wegschauens und Schweigens
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Derzeit diskutieren Politiker über härtere Strafen für Fälle von Kindesmissbrauch und -pornografie. Der Ex-Kripobeamte und Fachexperte Manfred Paulus sagt: Was Deutschland wirklich brauche, sei die Pflicht zur konsequenten Strafanzeige gegen Täter.
Die gerade aufgeckten Fälle von Kindesmissbrauch in Münster und an weiteren Orten offenbaren das dramatische Ausmaß der Gewalt und des Leids, das einigen Kindern in Deutschland angetan wird. Die Politik diskutiert nun über höhere Strafen: Von bis zu 15 Jahren Gefängnis für die Täter ist die Rede.
Manfred Paulus war 25 Jahre lang Leiter des Kripodezernats zur Bekämpfung von Sexualdelikten und Rotlichtkriminalität in Ulm und ist auch international als Ermittler in unzähligen Fällen unterwegs. Er sagt: Es bringe nichts, "wieder an der Schraube des Strafmaßes zu drehen". Kein Täter werde dadurch abgeschreckt – "denn die gehen ja davon aus, dass sie nicht ertappt werden".
"Das überführt keine Täter"
Auch die Ankündigungen von Facebook, Google und Co., neue Technologien gegen die Verbreitung von kinderpornografischem Material zu blockieren, genüge nicht: "Das überführt keine Täter", betonte Paulus. Die jüngsten Fälle in Nordrhein-Westfalen zeigten: "Es gibt ein riesiges Dunkelfeld." Und: Nicht nur der Kindesmissbrauch, auch der Handel mit Kinderpornografie sei keine Bagatellkriminalität.
Für Paulus, der bereits mehrere Bücher - unter anderem über Kinder- und Frauenhandel in Belarus - zum dem Thema geschrieben hat, ist klar: Die Polizei muss für die Strafverfolgung deutlich besser ausgestattet werden, nicht nur personell, auch materiell. "Dazu gehört der Luxus, dass mehr Informatiker für die Polizei tätig werden, auch wenn das viel Geld kostet."
Die Pflicht zur Anzeige
Vor allem aber: Wie in anderen Ländern, etwa in Frankreich und Österreich, müsse es endlich eine gesetzlich verankerte Pflicht zur Anzeige von Kindesmissbrauch geben. Nur dies könne Täter abschrecken. In Deutschland gebe es noch immer "eine Kultur des Wegschauens und des Schweigens". Diese werde durch den Paragrafen 203 – zum Schutz von Privatgeheimnissen – noch verstärkt, der es Kinder- und Jugendschützern oft unmöglich mache, Tätern das Handwerk zu legen und Kindesmissbrauch zu verhindern.
"Es kann nicht sein, dass die Kinder- und Jugendbehörden durch die Sozialgesetzgebung so eingeengt werden, dass sie nur in ganz wenigen Fällen überhaupt die Polizei informieren dürfen."
(mkn)