Führt Personalmangel zu eingeschränkten Häftlingsrechten?
Zu wenig Zeit außerhalb der Zelle, abgelehnte Anträge auf Resozialisierung oder gestrichene dringende Arztbesuche: Es gibt heftige Kritik am Personalmangel in sächsischen Gefängnissen - bis hin zu einem Sitzstreik Gefangener.
Es war an einem Sonntagnachmittag Mitte September. Rund 40 Frauen weigerten sich in der JVA Chemnitz, den Hofgang planmäßig zu beenden und in ihre Zellen zurückzukehren. Sie protestierten eineinhalb Stunden mit einem Sitzstreik gegen schlechte Haftbedingungen. Eine von ihnen nennt sich Manu und hat einen Brief zu der Aktion geschrieben.
Zitat aus dem Brief: "Wir sind keine Menschen der 3. Klasse, die Randgruppe, die weggeschlossen wird, die nicht gesehen werden soll, sondern auch wir sind Menschen, die Rechte haben, vor allem eine Würde. Warum sollen die Grund- und Menschenrechte der Gefangenen in Vergessenheit geraten und denen keinen Beachtung geschenkt werden? Glaube... nein, ich bin mir sicher, dass man nur so wahrgenommen wird und Gehör erlangt."
Die Aufschlusszeiten, also die Zeit, die Inhaftierte nicht in ihrer Zelle verbringen müssen, waren radikal gekürzt worden. Auf dreieinhalb Stunden täglich. Dabei wären Sportangebote und andere Freizeitaktivitäten zuvor schon auf das absolute Minimum reduziert worden, klagt Manu. Alles wegen Personalmangel:
Zitat aus dem Brief: "Es ist ja nicht von der Hand zu weisen, dass das Justizsystem Probleme hat und auch ist die Beamtenproblematik ja schon länger bekannt."
In anderen sächsischen Haftanstalten würde sich noch deutlicher zeigen, dass es zu wenig Justizvollzugsbeamte gibt, sagt Marco Bras dos Santos, Sprecher der "Gewerkschaft hinter Gittern" - eine junge Initiative von Gefangenen und ihren Unterstützern, die sich bundesweit, in- und außerhalb von Gefängnissen für die Belange von Gefangenen einsetzt. Unerträglich nennt dos Santos Einschlusszeiten von 23 Stunden täglich, wie sie in der JVA Dresden momentan üblich seien. Außerdem fürchtet er negative Folgen für die Zeit nach dem Knast:
"Der Personalmangel hat auf die Resozialisierung superkrassen Einfluss. Wir haben superviele Häftlinge, die rauskommen, keine Wohnung und keine Arbeit haben. Die Gesetzgeberin hat schon dafür gesorgt, dass zum Beispiel sechs Monate vor Haftentlassung regelmäßig Ausfahrten oder Ausgänge bewilligt werden können, um sich eine Wohnung zu suchen, sich einen Job zu suchen, Kontakt zur Familie aufzubauen oder zu Freunden aufzubauen, was dann tatsächlich förderlich für die Resozialisation ist. Und die Anträge, wenn es die dann gibt, werden einfach abgelehnt, was definitiv auch dem Personalmangel zuzuschreiben ist."
Falsche demografische Prognosen
Dasselbe gelte für die medizinische Versorgung, wenn Insassen beispielsweise zum Arzt müssen. Ein weiteres Beispiel aus der JVA Dresden:
"Der hatte sich den Arm mehrfach gebrochen und musste ausgefahren werden, therapiert werden und das hat nicht geklappt, mehrfach nicht geklappt, weil kein Personal da war."
Zu wenig Personal im Strafvollzug? Das bestreitet niemand mehr. Der sächsische Justizminister Sebastian Gemko selbst sagt, seine Beamten in den Gefängnissen arbeiten seit Monaten an der Belastungsgrenze. Hunderte von Überstunden schieben sie vor sich her. Wegen Fehlentscheidungen von gestern, die man heute ausbaden müsse, so Gemko:
"Als die Entscheidungen damals getroffen worden sind, den Personalstand im Freistaat zurück zu führen, ist man von einer demografischen Entwicklung ausgegangen, die dahin geht, dass in Sachsen weniger Menschen leben werden, dass eine Bevölkerung auch älter wird und damit verbunden war auch die Überlegung für den Strafvollzug, dass eine ältere Bevölkerung zu weniger Straftaten neigt.
Die demografischen Prognosen waren falsch und das Personal zu sparsam kalkuliert, wie es nicht nur im Strafvollzug, sondern vielen Zuständigkeitsbereichen des Freistaats zeigt. Indes sei die Zahl der Gefangenen insgesamt gestiegen.
"Auf der anderen Seite beobachten wir seit zwei, drei Jahren einen ganz erheblichen Anstieg von ausländischen Strafgefangenen mit ausländischen Wurzeln, insbesondere aus dem nordafrikanischen Raum, mit denen wir im sächsischen Strafvollzug in der Vergangenheit nicht konfrontiert gewesen sind."
Neue Wege jenseits von Personalfragen
Von 14 auf 28 Prozent stieg laut Justizminister der Anteil der ausländischen Gefangenen innerhalb weniger Jahre. Und ebenso steige die Zahl derjenigen, die im Zusammenhang mit Drogendelikten zu Freiheitsstrafen verurteilt werden. Schon heute liegt ihr Anteil bei über 60 Prozent. Damit seien auch die Anforderungen im Bereich Resozialisierung gestiegen, denen man verstärkt begegnen müsse. Justizminister Gemko:
"Auf der einen Seite Strafe, auf der anderen Seite auch die Chance, später ein besseres Leben zu führen. Weshalb wir eben die Drogentherapien mittlerweile in mehreren Anstalten ausgebaut haben. Es ist eine Aufgabe, die der Vollzug überobligatorisch erfüllt, aber ich glaube es ist auch unsere Verantwortung gegenüber der Gesellschaft."
90 Stellen habe man allein im allgemeinen Vollzugsdienst geschaffen. Möglicherweise würde auch im kommenden Jahr noch mehr Personal dazu kommen, sagt Gemko. So oder so müssen aber alle erst einmal die zweijährige Ausbildung durchlaufen, können kurzfristig also nur begrenzt für Entlastung sorgen.
Den Preis zahlen die Stammbelegschaft und die Gefangenen. Zwei Teilnehmerinnen des Sitzstreiks in Chemnitz seien strafverlegt worden, schreibt die Gefangene Manu:
Zitat aus dem Brief: "Ist die Augen zu schließen, mit Sanktionen zu reagieren, die richtige und einzige Lösung für alles? Nein! Wir werden uns nicht unterkriegen lassen!"
Jenseits von Personalfragen fordert die "Gewerkschaft hinter Gittern", neue Wege zu gehen im Strafvollzug. Sprecher Santos:
"Zur Personalnot sagen wir als Gefangenengewerkschaft konkret: Mehr Personal bringt es nicht, damit stärken und bauen wir dieses System aus. Man muss gucken, dass die Haftgrenzen wirklich ein bisschen runtergesetzt werden. Und es ist auch in Diskussion, dass Kurz- und Ersatzfreiheitsstrafen nicht mehr hinter Gittern abgesessen werden, sondern dass dafür Sozialstunden in Kraft treten. Dass heißt, gemeinnützige Vereine hätten dann auch was davon. Weil der Knast ja auch keine besseren Menschen macht."