Strahlend glücklich

Von Reinhard Spiegelhauer |
Spanien ist verpflichtet, große Mengen von Nuklearschrott zurückzunehmen, der befristet nach Frankreich verschoben wurde. Deshalb bestimmte die neue konservative Regierung Rajoy das Dorf Villar de Canas östlich von Madrid zur ersten nuklearen Atommüllkippe der Nation. Dort gab es strahlende Gesichter.
Im vergangenen Jahr waren in Villar de Cañas 446 Einwohner registriert - demnächst könnten es deutlich mehr werden. Denn das Dorf, gut 100 Kilometer südöstlich von Madrid hat einen Hauptgewinn gezogen. Nicht in der berühmten Weihnachtslotterie "El Gordo", sondern bei der Entscheidung, wo das geplante zentrale Atommüll-Zwischenlager Spaniens gebaut werden soll. Das Preisgeld ist um einiges höher als bei der Weihnachtslotterie, wo der Hauptgewinn immerhin vier Millionen Euro sind. Villar de Cañas darf sich auf sechs Millionen Euro freuen - jährlich, die nächsten 60 Jahre, finanziert aus der Stromrechnung aller Spanier.

Das Geld hätten auch andere Gemeinden gerne bekommen, elf Kandidaten hatten sich beworben, in der Hoffnung auf einen wirtschaftlichen Boom. José Maria Saiz sitzt im kleinen, zweigeschossigen Rathaus von Villar de Canas hinter seinem Schreibtisch. Die Tür zu seinem Büro lässt der Bürgermeister gerne offen. Im Zivilberuf ist der untersetzte Mann mit der schmalen schwarzen Metallbrille Schlosser - der Gemeinde steht er schon seit 15 Jahren vor. Denjenigen, die im Dorf leben, geht es eigentlich gar nicht so schlecht, meint er:

"In Villar de Canas haben wir vor allem Ackerbau und Viehzucht, naja, Viehzucht immer weniger. Heute gibt es noch einen Züchter, früher mal ein Dutzend. Und dann haben wir auch Baugewerbe, zum Beispiel acht Maurer. Alles junge Leute mit kleinen Familienbetrieben. Aber andere mussten gehen, weil es keine Arbeit gibt."

Das ist das Problem von Villar de Cañas - und man sieht die Folgen auf der Straße:

"Es gibt hier viele Alte. 60 Prozent der Einwohner sind 65 oder älter. Im Moment haben wir zwar noch mehr junge Leute als viele andere Dörfer, aber im Laufe der Zeit ändert sich das. Es werden immer weniger. Auch deswegen kam das Thema mit dem Zwischenlager auf."

Mit dem vielen Geld, das das Zwischenlager dem Dorf bringt, will Saiz vielleicht eine Art Seniorentreff finanzieren, aber das Geld ist gar nicht so wichtig. In seiner Bewerbung hatte Villar de Cañas sogar angekündigt, das Dorf werde sich mit der Häfte der Prämie zufrieden geben. Viel wichtiger seien doch die externen Investitionen und die Arbeitsplätze, meint der Bürgermeister. Mindestens 300 Jobs soll das Zwischenlager selbst bringen, noch mal so viele könnten darum herum entstehen, hofft er. Der Weg zum geplanten Standort für das Zwischenlager, führt ein paar Kilometer aus dem Dorf hinaus. Die Fahrt geht durch die Hochebene der Mancha, links und rechts ziehen Weiden, Getreidefelder und Brachland vorbei:

"Das hier ist das Beste Gelände für die Niederjagd. Hier gibt es Rebhühner, Hasen, Kaninchen - wahrscheinlich ist das die beste Jagd in ganz Kastilien La Mancha."

Und der beste Platz für ein Zwischenlager, sagt Saiz und wirkt fast etwas stolz, dass die Wahl auf seine Gemeinde gefallen ist:

"Das hier ist eine völlig unberührte Gegend, hier gibt es nichts Besonderes zu beachten. Woanders gibt es Probleme mit dem Umweltschutz, oder mit der Geologie. In Zarra zum Beispiel, weil das Aiora-Tal ein Umweltschutzgebiet ist. Solche Probleme gibt es in Villar de Cañas nicht. Wir haben ungenutztes Land, das problemlos für das Zwischenlager umgewidmet werden kann."

Saiz steht neben dem Auto auf einem Feldweg, zeigt mit ausgestrecktem Arm, wo das Zwischenlager gebaut werden soll. Er scheint es gar nicht abwarten zu können, dass die Bagger loslegen. Macht es ihm denn wirklich gar keine Sorgen, hier Atommüll zu lagern, das jahrzehntelang strahlende Erbe der Kernenergie? Ein Erbe für kommende Generationen?

"Klar, aber ich würde das nicht als belastendes Erbe sehen. Wenn immer von einem Atomfriedhof die Rede ist, dann ist das falsch. Es ist kein Friedhof. Es geht um ein Zwischenlager für 60 Jahre. In diesen 60 Jahren soll erforscht werden, was man mit unserem atomaren Abfall machen kann. Das Schöne an diesem Projekt sind das Forschungsinstitut und der Gewerbepark, die mit dem Zwischenlager kommen."

30 Hektar wird der Komplex insgesamt einnehmen. Im Zentrum sollen drei Hallen stehen, das eigentliche Zwischenlager - darum herum ein Forschungs- und Industriepark. Bedenken von Umweltschützern und Atomkraftgegnern kann Saiz nicht verstehen:

"Was wir nicht wollen - und deswegen sind wir mehr Umweltschützer als sonst jemand - ist, das Zeug ins Meer zu kippen oder zu verbuddeln. Das Problem ist der Restmüll, und hier wird erforscht werden, was man damit anfangen kann. Da steckt noch Energie drin, und ich denke in 5, 10, 15 oder auch 20 Jahren werden wir etwas finden, was man damit machen kann, statt es ins Meer zu kippen oder zu verbuddeln. Das ist weltweit einzigartig und ich sehe da keinen Nachteil für die Gemeinde oder die Umwelt."

Andere dagegen schon. Zum Beispiel Maria Andres. Sie lebt allerdings gar nicht in Villar de Cañas, sondern in einer kleinen Biobauern-Gemeinschaft, rund 20 Kilometer entfernt. Die resolut wirkende junge Frau mit Kurzhaarschnitt und modischer Kunststoffbrille ist Sprecherin einer Bürgerinitiative gegen das Zwischenlager:

"Ich halte grundsätzlich nichts von Atomkraft und bin deshalb gegen das Zwischenlager. Wir halten aber auch die ganze Prozedur für fragwürdig. Und wir finden, dass sich die Gegend nicht von der Nukleartechnik abhängig machen sollte - wir haben hier genügend andere Werte. Und die Leute sind auch gar nicht richtig informiert worden."

Der Bürgermeister und der Gemeinderat hätten sich vom Geld blenden lassen, meint Andres - dabei seien grundlegende Fragen völlig offen:

"Die erste Frage ist ja schon mal, wann das mit dem Müll aufhört. Wenn wir weiter diese Art von Energiegewinnung betreiben, gibt es weiter Müll. Erst mal müssen wir wissen, wie viel es sein wird, und dann entscheiden wir, was wir damit machen. Die erzählen nur die halbe Wahrheit. Machen sie die Kraftwerke zu, werden die Laufzeiten verlängert, gibt es neue Kraftwerke und mehr Müll?"

Im Moment laufen in Spanien acht Reaktorblöcke - eigentlich sollten sie spätestens nach einer Laufzeit von 40 Jahren abgeschaltet werden. Doch die alte Regierung unter dem damaligen Ministerpräsidenten Zapatero kippte diese Regelung vor einem Jahr, als das älteste in Betrieb befindliche Kraftwerk Spaniens abgeschaltet werden sollte. Auch das Moratorium für den Bau neuer Anlagen scheint nicht zementiert.

Die Bürgerinitiative gegen das Zwischenlager wird von Umweltverbänden und Gewerkschaften unterstützt, zu Demonstrationen in Villar de Cañas kommen immer wieder auch Politiker verschiedener linker Parteien. Auch der im vergangenen Jahr abgewählte sozialistische Ex-Ministerpräsident von Kastilien La Mancha war schon dabei. Die jüngste Protestaktion haben die Atomkraftgegner am Wochenende veranstaltet, rund 2000 Demonstranten kamen aus umliegenden Dörfern - in Villar de Cañas selbst gibt es niemanden der öffentlich gegen das Zwischenlager demonstriert:

"Es gibt hier Leute, die von Anfang an dagegen waren, aber sich nicht trauen, das zu laut sagen. Wenn man sich unterhält, schon - aber nicht bei so einer Demo. Die haben Geschäfte und fürchten, dass es Folgen haben könnte, auch von Seiten des Rathauses."

Bürgermeister Saiz stört sich nicht großartig an den Demonstrationen - am Wochenende ist er extra reiten gegangen, um jede Konfrontation von vorne herein zu vermeiden. Der Pfarrer hat die Messe eine Stunde früher angesetzt als sonst, damit sich Kirchgänger und Demonstranten nicht begegnen mussten. Und während der Kundgebung selbst waren die Dorfgassen - abgesehen von den Demonstranten natürlich - leer. Die meisten in Villar de Cañas stehen hinter der Entscheidung des Gemeinderates, sich für das Zwischenlager zu bewerben, sagt Daniel Villa Ruiz, der einen kleinen Lebensmittelladen hat:

"Die Mehrheit ist dafür, so 80Prozent - und der Rest dagegen."

Der Mittfünfziger ist auf der Linie des Bürgermeisters - in Villar de Cañas muss dringend etwas passieren, denn die Geschäfte laufen schlecht, sagt der Händler. Das Zwischenlager könnte das ändern, hofft er:

"Wenn es losgeht, dann wird das Dorf wiederbelebt, glaube ich. Sonst verschwindet es. Am Morgen kaufen die Leute zwar Brot, aber am Nachmittag könnte ich auch zumachen. Und am Sonntag in der Kneipe kannst du nicht ordentlich Fußball schauen, weil keiner da ist. Jedes Jahr ziehen 20, 25 Leute weg - in acht oder zehn Jahren wird das Dorf verlassen sein."

Wenn, wie geplant, noch in diesem Jahr die Bauarbeiten beginnen, dann geht es wieder bergan mit Villar de Cañas, sagt der Mittfünfziger - er kann nicht verstehen, warum sich Menschen in umliegenden Gemeinden aufregen:

"Das ist eine gute Sache, nicht nur für das Dorf, sondern für den ganzen Landkreis. Es bringt Arbeitsplätze, beim Bau und später im Betrieb. Leute mit Geld werden kommen und es hier ausgeben. Klar, wir haben keine Nuklearspezialisten. Aber Leute für den sonstigen Betrieb, Reinigungskräfte, Gastronomie - Dienstleistungen eben."

Während die Menschen in den Nachbargemeinden misstrauisch, vielleicht auch etwas neidisch sind, trudeln aus ganz Spanien Lebensläufe im Rathaus von Villar de Cañas ein. Per Brief, per E-Mail, per Fax. Mehrere tausend sind es schon, von Reinigungsfachkräften bis zu Ingenieuren, aus dem Baskenland und aus Andalusien. Und durch die Straßen ziehen Investoren, auf der Suche nach einem geeigneten Gebäude für ein Hotel, oder nach einem Grundstück, auf dem eine Tankstelle entstehen könnte. Da verfliegen auch letzte Zweifel:

"Na ja, das Zwischenlager ist natürlich kein süßes Bonbon - aber es ist auch nicht so schlimm und gefährlich, wie manche sagen. Und diese Dinge werden ja immer weiter entwickelt, es gibt mehr Sicherheitsmaßnahmen - und deswegen wird nichts passieren. Es gibt Zwischenlager in den USA und der ganzen Welt, und was ist passiert? Nichts!"

Unfug, sagt Bürgerinitiativen-Sprecherin Maria Andres - das Risiko sei sehr real, und im Übrigen sei aus spanischen Kernkraftwerken ja schon Radioaktivität ausgetreten:

"Dann ist da der Transport, es muss massenhaft radioaktives Material manipuliert werden. Und dann muss das Ganze ja 60 Jahre lang in perfektem Zustand bleiben. Und es passieren immer wieder Unfälle, schwere und weniger schwere. Es gibt ein Risiko, das ist sicher."

Die junge Frau steht vor ihrem Öko-Bauernhof und schaut sich um. Vögel zwitschern, eine sanfte Brise bewegt die Grashalme. Ein Naturidyll - dessen Beschaulichkeit Andres durch das Atommüll-Zwischenlager bedroht sieht:
"Für mich ganz persönlich geht es auch um meinen Lebensstil. Ich bin bewusst zurück aufs ruhige Land gegangen, und das würde ziemlich leiden. Du musst daran denken, dass der radioaktive Müll aus ganz Spanien hierher kommen soll. Es wird viel mehr Kontrollen und Sicherheitsaufwand geben. Ich bin hierhergekommen, wegen des Gefühls von Freiheit - und am Ende kann man nicht mehr aus dem Haus, ohne dass es irgendwelche Kontrollen gibt."

Die Proteste gehen weiter, vorläufig - aber die Entscheidung ist gefallen. Vor ziemlich genau einem Monat hat Villar de Cañas das atomare Glückslos gezogen, da ist sich Bürgermeister José Maria Saiz sicher. Er steht in der Schlosserei der Familie und setzt auf den Fortschritt. Der Müll wird vielleicht schon in ein paar Jahren gar kein Müll mehr sein - den Forschern wird schon etwas einfallen, glaubt er:

"Wenn uns jemand vor 20 Jahren gesagt hätte, dass wir mal auf der Straße mit einem handy telefonieren würden, hätte das keiner geglaubt. Heute hat jeder eines und telefoniert mit aller Welt. Das hier ist das Gleiche."

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