"Stralsunds schönster Wal"

Von Peter Kaiser |
Am Wochenende hat mit dem neuen Meeresmuseum eine besondere Attraktion der Stadt Stralsund eröffnet. Das Ozeaneum bietet mit seinen Aquarien und Exponaten Einblicke in die Vielfalt der Meereswelten.
Die alte Hanse- und Weltkulturerbestadt Stralsund ist nicht nur wegen der vielen gotischen Bauten in der Innenstadt, der historischen Hafenanlagen, und dem Deutschen Meeresmuseum unbedingt eine Reise wert. Am Wochenende hat an der nördlichen Hafeninsel inmitten alter Speicherhäuser eine besondere Attraktion seine Pforten geöffnet, das Ozeaneum. Licht und Besucher, heißt es, sollen ab jetzt die vier weißen Gebäude "umspülen", wie Meereswasser Steine umspült. Doch nicht nur von außen ist der Glas- und Betonkomplex des Ozeaneums imposant. Betritt man den 60 Millionen Euro teuren Bau, erlebt man auf dem Rundgang durchs Museum Gigantisches mit und vom Meer hautnah.

Jens Oulwiger, der Pressesprecher des Ozeaneums, ist dafür, dass er in den letzten Wochen täglich mehr als zwölf Stunden gearbeitet hat, noch recht entspannt und gelassen. Locker geht der schlanke Enddreißiger an den Bauarbeitern vorbei, die dem neuen Museum den sprichwörtlichen letzten Schliff verleihen. Der Weg führt unter drei riesigen Wal-Skeletten vorbei, die im Foyer des Ozeaneums von der Decke hängen.

"Und dort führt Europas längste freitragende Rolltreppe, eine richtig schöne Fahrt für möglichst schwindelfreie Besucher, vorbei an diesen Skeletten, und bringt uns erst mal auf die oberste Ebene dieser Ausstellung."

Weit kann man auf der mehr als 30 Meter langen Rolltreppe hinaus schauen.

"Vor uns öffnet sich ein toller Blick auf die neue Rügenbrücke. Links sehen Sie Rügen, also den Strelasund, ein herrlicher Blick auf Hafen und Wasser. Und hier geht es auch dann gleich los. Wir tauchen ein in die erste Ausstellung."

Bald wird sich hier ein dichter Besucherstrom drängeln, um in die Ausstellungen zu kommen. Über eine halbe Million Besucher werden pro Jahr erwartet, sagt Harald Benke, der Leiter des Ozeaneums, das sind in etwa 5000 bis 7000 Besucher am Tag. Doch die Ausstellungen sollen nicht nur unterhalten.

"Wir werden auch das Meer vor der Haustür, die Ostsee, ganz genau unter die Lupe nehmen. Und wir werden aber auch bestimmte Tiergruppen den Besuchern vorstellen. Und hier gerade die Wale. Es gibt große Gefahren für diese Tiere, gerade für den Blauwal. Und wir möchten grade in der Ausstellung "Riesen der Meere" wo wir die Wale zeigen, dass der Besucher Ehrfurcht bekommt vor der Größe dieser Wale. Und dann zeigen wir ihm die Probleme, die diese Tiere haben."

Nicht nur die Wale werden im Fokus der Ozeaneum-Macher stehen. Im neuen Meeresmuseum wird auch direkt geforscht, was wiederum den Ausstellungen unmittelbar zugute kommt.

"Wir haben neun Wissenschaftler bei uns im Haus, die mit einem Fuß in der Forschung stehen, also sie machen aktiv Forschung. Das heißt, wir haben den Vorteil, dass wir aktuelle Themen auch sehr schnell in der Ausstellung vorstellen können."
In allen Ausstellungsräumen ist es recht dunkel. Licht kommt hauptsächlich von den dreieckigen raumhohen Glasvitrinen.
"Hier werden die Weltmeere vorgestellt. Eine Einstimmung dafür, dass man bewusst wird, wie wenig Land es auf unserem Planeten gibt und wie viel Wasser. (…) Ja, und wenn wir um die Ecke schauen, dann haben wir den Bereich "Vielfalt des Lebens."

Hier, im Gebäude 1, sind die Ausstellungen "Weltmeere", "Ostsee" und "Nutzung und Erforschung der Meere" untergebracht. In Vitrinen werden ausgestopfte Schweinswale gezeigt, sowie Robben, Seeadler, Tiefseefische und etliche andere Tiere. An interaktiven Tischen kann sich der Besucher ökologischen Fragen stellen, oder am Ostsee-Relieftisch mit den Händen in die eingefräste Skaggerak- oder Kattegattiefe tasten. Doch es gibt auch noch andere Möglichkeiten hier direkt über Meeresgeschehen in einem Museum zu berichten.

"Wir haben noch vieles umzusetzen. Eine virtuelle Tauchfahrt ist geplant. Das Themenspektrum reicht von Tauchen, also die ersten Schritte ins Wasser bis zur Meeresforschung von Forschungsschiffen aus. Wir wollen Live-Übertragungen zu diesen Forschungsschiffen schalten, mit Satellit, wenn die Übertragungstechnik ein bisschen günstiger gewordne ist. Wir werden auch die Bedrohung durch Übernutzung zeigen, also Überfischung."

Nach dem Part Museum geht’s zu den riesigen Ostseeaquarien, in denen sich mehr als 7000 Fische tummeln, darunter Aale, Seeskorpione, Lachse, Barsche, Seeteufel, und… und... Die Aquarien mit der realistisch nachempfundenen Ostsee-Unterwasserlandschaft - im Fachjargon: Habitataquarien genannt, sollen den Besucher für das "Kleine Meer mit großen Problemen" sensibilisieren. Ein Beispiel dafür ist das Wiederansiedlungsprojekt für den vom Aussterben bedrohten Stör. Mehrere der wegen ihres Kaviars verfolgten Fische leben im Rahmen dieses Projektes hier in den Aquarien.

"Das erste Aquarium, da kann man von oben reinschauen, das ist das Stralsunder Hafenbecken mit dem Steg und den Dalgen und den typischen Bewohnern hier. Das ist das Boddenbecken, wo wir hier stehen, mit einem versunkenen Lastkahn. Die Seegraswiese, das ist auch etwas, was hier in den Bodengewässern sehr typisch ist. Ich denke, das hier erkennt man auf Anhieb, eines der weiteren Großaquarien, das ist die Kreideküste vor Rügen mit den Dorschen, mit den Plattfischen, also sehr geläufige Fischarten, aber in einem toll gestalteten Becken."

Die 14 Großaquarien mit ihren vielen Kubikmetern Volumen fassen insgesamt 6 Millionen Liter Meerwasser, das Herzstück dieser Aquarien aber ist das gigantische Schwarmfischbecken für die Tausende Heringe und Makrelen.

"Also die Scheibe, vor der wir hier stehen, die ist 10 mal 5 Meter. Wir schauen auf 2,6 Millionen Liter Wasser, ein tiefes Becken."

Die Scheibe wurde in den USA gefertigt. Die Bauarbeiten am Ozeaneum mussten warten, bis die Scheibe per Kran von oben ins Gebäude gehievt wurde, weil ja keine Tür groß genug gewesen wäre.

Und wieder ist Jens Oulwiger weiter gegangen. Es geht hoch, um die Ecke, und steht plötzlich vor den "Riesen der Meere."

"Wir zeigen hier Walnachbildungen in Originalgröße. Wir stehen hier Auge in Auge mit einem Blauwal von 26 Metern Länge, also seiner echten natürlichen Größe. Das sind Modelle hier, die in der Luft schweben."

Neun Tonnen wiegt der Blauwal, die anderen Wale sind kleiner und wohl auch leichter. Die Stimmung in dieser Riesenhalle ist fast mystisch, etwa so, als würde man ohne Sauerstoffgerät das Treiben im Meer beobachten. Manche Besucher werden zwei Stunden hier verbringen, heißt es, andere einen halben Tag.