Straßenhunde adoptieren

Wirklich eine gute Idee?

08:05 Minuten
Der Schäferhundmischling Kaya liegt auf dem Boden und schaut von unten in die Kamera.
Schäferhündin Kaya aus Rumänien mischt alle auf - behalten hat Susanne Billig sie trotzdem. Aber manche der etwa 100.000 Straßenhunde, die jedes Jahr nach Deutschland vermittelt werden, landen im Tierheim. © Susanne Billig
Von Susanne Billig |
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"Ach was, die wird nicht groß", sagte die Dame vom Hunderettungsverein, als sie unserer Autorin vor drei Jahren einen Straßenhund aus Rumänien verkaufte. Lieb sein sollte er auch. Inzwischen ist Kaya 25 Kilo schwer - und so bissig, dass es ohne Maulkorb nicht geht.
Im Alter von fünf Monaten kam sie zu mir: Kaya, leuchtend-braune Augen, ausdrucksstarkes Gesicht, tapsige Welpenschritte, ein Schäferhund-Mix aus Rumänien. "Wird sie sehr groß?", fragte ich die Damen vom Hunderettungsverein. "Ach was", war die Antwort. "Hat sie Verhaltensprobleme?", wollte ich wissen. "Nein, sie ist lieb!", strahlten die Damen. 350 Euro wechselten die Besitzerinnen – und Kaya pinkelte auf den Teppichboden. Drei Jahre ist das jetzt her.
In der Wohnung geht das jetzt hier schon los, denn ich muss meiner lieben Hündin, die sich hinterm Regal verkriecht, einen Maulkorb aufsetzen. Komm, Kaya! Komm da mal raus, so, alles klar. Ich weiß nicht, wie viele Pfund Hackfleisch ich, all diesen Videos gehorchend, die ich immer bei Youtube schaue, hier schon durch dieses Ding geschoben habe, um sie mit dem Maulkorb zu befreunden, aber sie ist einfach nicht damit befreundet.
Allein in Istanbul sollen etwa 150.000 Streuner leben, in Bukarest um die 60.000 und 6 Millionen herrenlose Hunde in ganz Rumänien. Manche Tiere kommen gut klar, andere leben am Rande des Verhungerns, von Krankheiten geplagt. Tierschutzorganisationen holen schätzungsweise 100.000 Hunde jährlich nach Deutschland. Auch Caro aus Berlin-Kreuzberg hat solch einen Hund adoptiert.
"Der kommt direkt aus Rhodos", erzählt sie. "Er ist von der Straße aufgegriffen worden, war sehr abgemagert und krank, hatte Ungeziefer im Fell und Bisse. Und dann habe ich mich da in Verbindung gesetzt, habe einen Adoptionsvertrag gemacht und habe ihn dann vom Flughafen Leipzig abgeholt."

Je älter der Hund, desto schwieriger

Als Kaya in die Pubertät kam, stattete sie ihre Attacken auf Hunde und Menschen mit größerem Nachdruck aus. Sie knurrte, sie schnappte, sie riss an der Leine, bis mein Schultergelenk krachte und schmerzte. Inzwischen wog sie nicht mehr zehn, sondern fünfundzwanzig Kilo und hat mich mehr als einmal zu Boden gerissen, über Wiesen und Gehwege geschleift. Anfangs konnte ich sie noch auf der Hundewiese frei mit anderen Hunden spielen lassen – und habe dort sehr nette Menschen kennengelernt. Zum Beispiel Frank, zertifzierter Hundetrainer. Er ist sehr dafür, leidende Hunde aus dem Ausland auch nach Deutschland zu vermitteln, dennoch weiß er: Je älter ein Hund ist, desto weniger weiß man, welches Verhalten sich schon verfestigt hat.
"Und da wäre es dann wirklich gut, wenn man jemanden aus dem Tierschutz hätte, der sagen kann: Also dieser Hund versteht sich nicht gut mit Katzen, neigt dazu, nicht mit anderen Hunden klarzukommen, oder ist toll mit anderen Hunden, findet aber Menschen doof, insbesondere Männer", sagt er. "Je mehr Informationen man da detailliert bekommt, desto mehr kann man davon ausgehen, also, das sind Leute, die beschäftigen sich seriös damit und beobachten den Hund auch, fangen auch schon an, drauf einzuwirken."
Schäferhunde-Mischling Kaya wälzt sich auf dem Boden.
Nachdem Kaya einen Jogger in die Wade und eine Radfahrerin schlimm ins Knie gebissen hatte, hieß es fortan, Maulkorb tragen.© Susanne Billig
Caro erhielt Informationen. Der Hund sei kastriert, erklärte ihr die Tierschutz-Organisation – und sehr brav. Beides stimmte nicht. Als ich die Rentnerin kennenlernte, waren ihre Hände über und über mit Pflastern bedeckt.
"Also, er hat mich ziemlich zusammengebissen", sagt sie. "In die Füße, in die Hände, also ich habe oftmals Wunden gehabt, wo ich auch zum Arzt gehen musste, und eine musste auch genäht werden, das war schon schlimm und war meistens eben beim Leineanlegen. Er hat sich ungern an die Leine legen lassen."

Kaya mischt alle auf

Caro und Frank kenne ich noch von früher. Schon seit Monaten mache ich um die Hundespielwiese einen großen Bogen. Es geht einfach nicht mehr. Kaya mischt mit gesträubtem Nackenhaar alle auf – trotz Hundeschulkurse, Einzeltrainingsstunden, Schleppleinen-Übungen, Begrenzungen, Belohnungen, klare Ansprachen, Klicker-Trainings und Leckerli. Ein paar treue Seelen verabreden sich manchmal noch zu Spaziergängen mit uns und teilen für eine Stunde unsere Dramen. Sarah mit dem munteren Tito zum Beispiel.
"Der ist aber nicht aus dem Tierschutz, der ist aus Pankow", sagt sie.
"Und du hast keine Probleme?", will ich wissen.
"Nee, mit Aggression nicht, nö."
"Hat der schon jemals gegen jemanden geknurrt oder gebissen?"
"Nö."
"O, du Glückliche!", sage ich. Und: "Komm, wir tauschen. Du schaffst das."

Problemhunde landen dann oft im Tierheim

Für diesen Beitrag hätte ich gern mit einem der vielen Hunderettungsvereine gesprochen. Doch meine E-mail-Anfragen blieben ohne Antwort. Der Deutsche Tierschutzbund sieht die Massenimporte von Hunden kritisch: Problematische Hund landeten oft in hiesigen Tierheimen, die jetzt schon überfüllt seien. Lieber sollte man mit Spenden eine gute Tierschutzarbeit und Kastrationsprogramme vor Ort unterstützen.
Nachdem Kaya einen Jogger in die Wade und eine Radfahrerin schlimm ins Knie gebissen hat, geht sie nur noch mit Maulkorb und Leine: meine wunderschöne Kaya, muskulös, pfeilschnell, intelligent – als frustrierter Dauersträfling.
So, der Radfahrer ist jetzt superschnell und hält auf uns zu. "He!! Muss das sein?!", rufe ich.
"Ihr steht ein bisschen mitten im Weg!", entgegnet er.
Der Hund flippt aus.
"Ja, es ist ja auch ein Fußgängerweg! Da kann ich schon mal auf dem Weg stehen!"

Ein Jäger, der nicht jagen darf

Vielleicht ist es die große Stadt, die meine rumänische Hündin so enorm stresst – der Verkehr, die vielen Touristen, die Radfahrer, die zu Dutzenden auf Bürgersteigen so haarscharf an uns vorbei rasen, dass die Pedalen Kayas Rippen streifen. Wäre alles anders gekommen, wenn ich mich für einen Hund vom Züchter entschieden hätte? Frank sagt: Nicht unbedingt. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts dürfen Hunde in Deutschland nicht mehr jagen. Seitdem werden sie fast nur noch auf Aussehen gezüchtet.
"Und deswegen kann man wirklich zwei Hunde derselben Rasse nebeneinander sitzen haben und die sind unterschiedlich wie Tag und Nacht", erklärt Frank. "Zum Beispiel Golden Retriever oder Labradore gelten eigentlich als Familienhunde, weil die einen weichen Fang haben und sehr lieb sind, vom Wesen her – trotzdem tauchen sie in der Top-Ten-Liste der beißenden Hunde an Platz vier und fünf auf."
Alle Hunde in Menschenbesitz – ob Mischling, Rassehund, aus Deutschland oder Timbuktu – teilen eine Eigenschaft miteinander:
"Was man sich schon bewusst machen sollte, ist, dass man sich einen Jagdgefährten nach Hause holt, der nicht jagen darf. Es sei denn, man ist Jäger. Und der wird arbeitslos sein! Also, was mach ich mit dem? Langweilt der sich den ganzen Tag nur? Wie beschäftige ich den? Was habe ich überhaupt vor mit dem?"
Caro ist mit ihrem Hund inzwischen recht zufrieden. Zwar kann sie weder Bus noch U-Bahn fahren, denn wenn ein anderer Hund einsteigt, flippt ihrer aus.
"Aber ich würde es wieder genauso machen. Weil ich denke, das sind arme Kreaturen, die ein Zuhause brauchen. Und bei den Züchtern – klar, die brauchen auch ein schönes Zuhause, aber die werden auch immer eins finden."