"Geh doch arbeiten!"
Zwar lässt sich in Moskau so mehr Geld verdienen als in manchem herkömmlichen Beruf. Aber seit einigen Jahren ist Straßenmusik dort offiziell verboten - und immer wieder werden die Musiker von der Polizei schikaniert und vertrieben.
Die Deckenleuchten flackern, sie werfen ein gelbliches Licht auf die schmutzigen Kacheln. Eine Unterführung in der Moskauer Weststadt - die Menschen hetzen auf die andere Seite der achtspurigen Straße. Kaum einer scheint sich zu freuen, dass er dem dröhnenden Kutosowskij Prospekt für zwei Minuten entkommen ist, keiner nimmt Notiz von Inna Reschkowa.
Trotzdem sei das ein ganz guter Ort, meint die Flötenspielerin:
"Es ist schon komisch, schon 200 Meter weiter mögen die Leute meine Musik nicht. Aber hier geht es. Hier wohnen gebildete Menschen - oder sie arbeiten in einem der Büros."
Barockmusik möge sie am liebsten, sagt Inna, die als Dirigentin ausgebildet ist und früher einen Jugendchor leitete. Aber in ihrem Beruf verdiene man heute so gut wie gar nichts mehr, sagt meint die 50-Jährige. Hier, in der Unterführung, verdiene sie am Abend durchschnittlich 50 Euro - nicht wenig für Moskau.
"Davon ernähre ich mich und helfe meiner Tochter. Sie ist alleinerziehend und hat zwei Töchter. Mit den 40.000 Rubel, 550 Euro, die sie im Monat verdient, kommt sie nie und nimmer aus."
Kein leicht verdientes Geld
Straßenmusik ist einträglich, aber leicht verdient ist das Geld nicht. Denn in Russland ist es seit einigen Jahren verboten, auf der Straße zu spielen und dabei Geld einzusammeln. Die Stadt Moskau veranstaltet zwar immer mal wieder Ausschreibungen für Musiker, die in der U-Bahn spielen wollen. Aber die Teilnahmebedingungen seien unklar, sagt Inna, und sie haben dort auch kaum je einen Musiker spielen hören.
Aus ihrer Unterführung werde sie immer wieder vertrieben. Vor allem manche ältere Leute holten die Polizei, wenn sie vorbeigehen.
Außerdem pöbeln Passanten immer wieder die Musikerin an, vor allem Betrunkene.
"Manchmal liest du in den Augen der Passanten eine solche Verachtung, dass man am liebsten wegrennen will. Den Satz 'Geh doch arbeiten' höre ich am häufigsten. Musik oder Kunst überhaupt gilt bei uns nicht als Arbeit. Ich habe schon alle möglichen Drohungen gehört, dass sie mir die Flöte zerbrechen oder den Kopf scheren. Bisher waren das immer leere Drohungen."
Früher hat Inna nicht in schmutzigen Unterführungen gespielt, sondern an der berühmten Moskauer Flaniermeile, dem Arbat. Doch dort werde sie heute sofort von der Polizei verjagt, sagt sie. Dort könnten sich nur Straßenmusiker halten, die viel Schmiergeld zahlen.
Die Straßenmusik gab dem Protest eine Stimme
"Viktor Zoj lebt" ist am Arbat in großen Lettern an die Wand gesprüht. Denn hier ist Ende der 1980er-Jahre einer der bekannten russischen Rockmusiker aufgetreten.
Viktor Zoj mit seiner Band "Kino" ist für Kostja, einen Schauspiel-Studenten, heute noch ein Held.
"Er hat dem Protest eine Stimme gegeben, er war gegen die Mächtigen, die Politiker. Das ist heute noch aktuell. In einem seiner Lieder heißt es: Unsere Herzen fordern den Wandel."
Welcher Wandel heute nötig ist? Kostja zeigt auf den Arbat: Dass einer wie Zoj heute hier nicht mehr singen kann, weil die Staatsmacht alles verbiete, das sei so ein Missstand, meint er. Kostja und seine Freunde singen hier deshalb nicht für Geld, sondern nur zum Spaß.
Doch zumindest ein Musiker spielt noch am Arbat, ein paar hundert Meter weiter. Er hat einen Verstärker dabei - und will selber nicht sprechen. Dafür verweist er auf seinen Manager, der auch im Publikum steht. Umgerechnet 200 Euro könne ein Musiker hier am Abend verdienen, sagt Sergej und dreht an seinem Hut:
"Ich habe hier eine wichtige Funktion, ich bringe dem Musiker zusätzlichen Gewinn. Durch mich nehmen sie 30 Prozent mehr ein. Ich denke, wir alle hier werden noch sehr erfolgreich sein. Mein Musiker Ewgenij in seinem Fach und ich in meinem."
Wie er den Umsatz ankurbelt? Sergej stellt zwei hübsche Mädchen vor, die er mitgebracht hat. Wenn die Geld einsammeln, seien vor allem die Männer gleich viel großzügiger, sagt er. Warum die Polizei gerade seine Musiker in Ruhe lassen, verrät der 20-jährige Manager nicht. Er zahle kein Schmiergeld, behauptet er. Und doch kommt die Polizei erst Punkt elf Uhr am Abend vorbei und beendet das Konzert - exakt zur Sperrstunde.