Qualität statt Quantität in der Wissenschaft
Unseriöse Fachjournale haben die Wissenschaft in Verruf gebracht. Peter André Alt, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, fordert deshalb eine Agenda für eine bessere Qualitätssicherung in der Wissenschaft.
Dieter Kassel: Die Begriffe Fake News und auch Fake Science haben viel gemeinsam, vor allen Dingen eine ganz gefährliche Doppeldeutigkeit. Auch mit Fake Science meint man zum einen wissenschaftliche Forschungsergebnisse, die gar keine sind, schlichtweg erfundene oder grob falsch dargestellte Sachen, gleichzeitig dient aber dieser Fake-Vorwurf auch bei Fake Science auch dem Zweck, seriöse Forschungsergebnisse quasi zu desavouieren, also einfach infrage zu stellen, ob es überhaupt ein seriöses Forschungsergebnis ist.
Und was dadurch passiert, das ist etwas ganz Einfaches und umso Bedrohlicheres, nämlich dass die Grenze zwischen Ansichten, Meinungen und weltanschaulichen Positionen und durchaus reproduzierbaren wissenschaftlichen Tatsachen immer mehr verwischt wird. Umso größer ist die Herausforderung, Wissenschaft allgemeinverständlich zu kommunizieren, eine Herausforderung, der – so meinen es einige Kritiker auch in Deutschland – nicht alle wirklich gewachsen sind.
Wir wollen darüber mit Professor Peter-André Alt reden, er ist Germanist und Literaturwissenschaftler, war bis vor einem knappen Monat der Präsident der Freien Universität in Berlin, und ganz offiziell ist er ab heute der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz. Macht Ihnen allein schon dieser Begriff Fake Science Angst?
Alt: Angst nicht, aber er sorgt natürlich für Beunruhigung, weil er in einer Situation auftaucht, in der die Wissenschaft ja auch von verschiedenen Seiten unter Druck steht. Sie steht immer unter Druck, wenn es darum geht, ihre Ergebnisse gut zu erklären, diesem Druck muss sie sich aussetzen, aber sie steht auch unter dem Druck, dass Populisten weltweit solide wissenschaftliche Ergebnisse – angefangen vom Klimawandel bis hin zu Fragen des Impfschutzes – mit sehr irrationalen Argumenten infrage stellen. Da muss sich die Wissenschaft wehren, und in einer Situation wie dieser ist es für sie sicherlich noch mal doppelt schwierig, sich an einer anderen Front zu wehren gegen den Vorwurf, sie habe vielfach die unabdingbare Qualitätskontrolle nicht wirken lassen, die erforderlich ist, um zu prüfen, dass das, was sie hervorbringen, auch wissenschaftlich solide fundiert ist.
Die schwarzen Schafe unter den Journalen
Kassel: Das erinnert natürlich an etwas, was vor knapp zwei Wochen Schlagzeilen gemacht hat: eine Recherche in Deutschland, bei der herausgekommen ist – wir haben auch ausführlich in Deutschlandfunk Kultur darüber berichtet –, dass rund 5.000 deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in unseriösen Fachmagazinen oder auf unseriösen Webseiten publiziert haben. Und da sind wir doch, finde ich, Herr Alt, wieder bei dieser Doppeldeutigkeit, denn das wollen wir doch mal ganz klar sagen: Diese Recherche sagt nicht, 5.000 deutsche Wissenschaftler haben Fake Science publiziert, das wäre ja was anderes, aber man hat doch zunehmend den Eindruck, nicht mal die Wissenschaftler selber können manchmal so richtig gut unterscheiden.
Alt: Ja, das ist richtig. Wir haben bei diesen Zeitschriften ja auch ganz unterschiedliche Publikationen, die dort veröffentlicht werden. Es gibt ganz solide Sachen, es gibt aber auch Dinge, die empirisch, also auf Grundlage von Experimenten, nicht hinreichend belegt sind oder sogar falsch sind, das alles mischt sich. Also allein schon die Befundlage bei diesen selber sehr unseriösen Journals, bei denen wir oft nicht wissen, welche Herausgeber dahinterstecken und wo eindeutig materielle, finanzielle Interessen treibend sind, auch da ist die Befundlage unterschiedlich, und das macht die Sache sehr, sehr schwierig.
Aber wir müssen als Wissenschaft, als System ganz klar sagen, wir müssen in der Lage sein, gerade jüngeren Wissenschaftlern deutlich zu machen, nach welchen Kriterien sie die Publikationsorgane auswählen, in denen sie veröffentlichen. Aber offenkundig müssen auch die etablierten Wissenschaftler immer wieder daran erinnert werden, dass beispielsweise eine Zeitschrift, wo man für eine Publikation einen vierstelligen Betrag zu hinterlegen hat, mit Sicherheit nicht seriös ist. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber wir müssen einfach noch mal eine Agenda aufmachen, wir müssen deutlich machen, das ist die Whitelist, das sind die Kriterien, wo man wirklich sagen kann, das ist seriös. Und hier gibt es aber auch eine schwarze Liste, wo man sagen kann, daran können die erkennen, dass das ganze Unternehmen höchst problematisch ist und dass ihr euch davon fernhalten müsst.
Immer neue Zeitschriften unklarer Herkunft
Kassel: Aber was ja im Zusammenhang mit dieser Recherche schon diskutiert worden ist und was mir aber auch ein Problem zu sein scheint bei der Frage, wie viel Zeit haben Wissenschaftler eigentlich noch, um der allgemeinen Öffentlichkeit was zu erklären, das ist ja dieser unglaublich große Publikationsdruck. Ich glaube, ich spitze es nur zu, aber sag nichts Falsches, wenn ich sage, Erfolge in der Forschung, Erfolge in der Lehre, das nützt alles nichts, wenn man nicht eine Riesenpublikationsliste vorzuweisen hat. Ist das nicht wirklich ein Problem, dieser Publikationsdruck?
Alt: Das Thema Publikationsdruck ist bekannt, den Druck gibt es schon lange, und das Wort "publish or perish", publiziere oder gehe unter, das ist eine Formel, die sogar schon aus den 30er-Jahren stammt. Wir haben, im Gegenteil, gerade in Deutschland jetzt in den letzten Jahren auch mithilfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft bei der Vergabe von Fördermitteln sehr genau darauf geachtet, dass gerade den jungen Wissenschaftlern deutlich gemacht wird, es geht nicht um die Quantität, es geht um die Qualität: Haltet euch zurück, produziert hier nicht Doppelpublikationen, sondern veröffentlicht nur, was wirklich auch substanziell ist! Und da ist eigentlich ein Umdenken schon im Gange.
Ich glaube, das Hauptproblem ist, dass immer neue Zeitschriften aus dem Boden schießen, dass im Zeitalter von Digitalisierung und Open Access, also öffentlichem Zugang von Forschungspublikationen, viel gegründet wird, dass man immer weniger hinter das schauen kann, was da gegründet wird, dass im Monatsrhythmus etwa in einem Fach wie der Chemie neue Publikationen erscheinen, also Publikationsorgane, und dass man dann auch häufig gar nicht mehr weiß, ist das seriös, ist das nicht seriös.
Da muss man einen Riegel vorschieben, man muss vor allen Dingen dafür sorgen, dass Wissenschaft nicht ein einträgliches Geschäft für Menschen wird, die mit Wissenschaft gar nichts zu tun haben, sondern dass die Wissenschaft die Selbstkontrolle wieder in die Hand bekommt, Qualitätssicherung betreibt und im Grunde genommen auch die Organisation ihrer Publikationen besser hinbekommt. Man braucht sicher große Verlage für viele Zeitschriften, aber die Wissenschaft muss im Grunde genommen die Instanz sein, die das steuert, und es darf kein Geschäftsmodell werden. Das ist das Gefährliche.
Wie lässt sich Wissenschaft vermitteln?
Kassel: Ich mach jetzt mal einen radikalen Schritt, von Fachpublikationen, durchaus den seriösen, hin zu Facebook und Twitter. Ich erkläre Ihnen gerne, warum: Ich hab mich vorgestern über ein anderes Thema eigentlich mit dem Migrationsforscher und Politikwissenschaftler Olaf Kleist unterhalten, der gesagt hat: "Ich kann die Ergebnisse meiner Forschung nicht auf 140 Zeichen für Twitter verkürzen." Wenn man ganz ehrlich ist, muss man sagen, jeder wird das nachvollziehen können, aber man muss auch sagen, eigentlich müssen Wissenschaftler das lernen. Weil doch viele Debatten, gesellschaftliche, wo Wissenschaft eine Rolle spielen sollte, halt in den sozialen Medien inzwischen stattfinden.
Alt: Ja, das ist richtig. Andererseits muss man sagen, dass Wissenschaft komplex ist, dass Wissenschaft eben nicht immer nur eine Facette bietet, dass die Ergebnisse von Forschung in allen Fächern – im breiten Spektrum von der Biochemie bis hin zu den Geisteswissenschaften – auch Gegenstand von Interpretation sind. Mit anderen Worten, da wird etwas hervorgebracht, was dann selber auch wieder unterschiedlichen Deutungen unterliegt. Das muss übrigens die Gesellschaft auch akzeptieren, dass das nicht immer eindeutige und eindimensionale Aussagen sind.
Aber, da stimme ich zu, es ist völlig selbstverständlich, dass die Gesellschaft das Anrecht darauf hat, dass die Wissenschaft ihre Ergebnisse klar erklärt – vielleicht nicht mit Twitter, aber in Formen durchaus prägnant, innerhalb von anderthalb Minuten. Und im Übrigen beobachte ich gerade bei jüngeren Wissenschaftlern auch ein Umdenken. Wir haben heutzutage in Deutschland auch Wissenschaftsmessen, wir haben Veranstaltungen, wo in kurzen und knappen, manchmal auch sehr unterhaltsamen Formen wissenschaftliche Ergebnisse der großen Öffentlichkeit vorgestellt werden. Da hat sich schon viel getan. Also die Vermittlungsleistung und Kompetenz der Wissenschaft ist so schlecht nicht, und man muss aufpassen, dass man jetzt nicht zu viel von ihr verlangt. Man wird auch nicht erwarten können, dass jemand in der Lage ist, die allgemeine Relativitätstheorie in einer Minute zu erklären.
Kassel: Ich wäre versucht, wenn Sie jetzt Naturwissenschaftler wären – das sind Sie ja nicht, da haben Sie jetzt Glück –, dann wäre ich versucht, Sie trotzdem darum zu bitten an dieser Stelle, aber beim Literaturwissenschaftler hätten Sie eine gute Ausrede, zu sagen, da fragen Sie lieber jemand anders. Machen wir vielleicht bei Gelegenheit.
Alt: Ich war ja raffiniert genug und hab eben gesagt, die allgemeine und nicht die besondere. Ich glaube, bei der besonderen wäre es leichter, da kann man das schöne Beispiel von den Zügen verwenden und den Passagieren, aber lassen wir das mal, ich bin kein Physiker.
Kassel: Er ist aber unser Gesprächspartner, Peter-André Alt, ab heute offiziell der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz. Ich wünsche Ihnen in diesem Amt viel Erfolg und danke Ihnen sehr für das Gespräch, Herr Alt!
Alt: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.