Straubhaar: Ratingagenturen "gießen Öl statt Wasser ins Feuer"
Der Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), Thomas Straubhaar, findet es bedenklich, "dass jetzt die Ratingagenturen eine auch politische Macht erlangt haben, die ihnen erlaubt, die Regierungen vor sich herzutreiben". Im aktuellen Fall von Portugal hätte die Warnung viel früher erfolgen müssen.
Marietta Schwarz: Nach Griechenland haben die Ratingagenturen jetzt auch die Kreditwürdigkeit Portugals auf Ramsch-Niveau gesenkt. Gleich um vier Stufen reduzierte Moody's die Note, und die Skala, die bietet noch einigen Platz nach unten. Die drei großen Ratingagenturen, so scheint es, haben die Politik fest im Griff, so fest, dass deren Handlungsspielraum immer mehr eingeschränkt wird. Daran mehrt sich Kritik: Machen die Ratingagenturen nur ihren Job, oder verhindern sie, dass die Politiker ihre Arbeit machen können?
Darüber sprach ich vor der Sendung mit Thomas Straubhaar, dem Präsidenten des Hamburgischen Instituts für Weltwirtschaft, und fragte ihn zunächst, ob er die Abwertung der Portugalanleihen ebenso wie Finanzminister Schäuble nicht angemessen finde?
Thomas Straubhaar: Ich denke, man muss zwei Dinge unterscheiden. Erstens wäre es absurd, jetzt angesichts dieser großen Staatsverschuldung in Europa den Ratingagenturen die Verantwortung für die Staatsverschuldung an sich in die Schuhe schieben zu wollen.
Aber andererseits ist es eben genau so, wie Herr Schäuble meines Erachtens richtigerweise sagt, dass jetzt die Ratingagenturen eine auch politische Macht erlangt haben, die ihnen erlaubt, die Regierungen vor sich herzutreiben, weil eben die Urteile der Ratingagenturen nicht frühzeitig genug erfolgt sind, sondern jetzt vergleichsweise spät, und damit eben nicht antizyklisch, sondern zyklisch wirken. Das heißt, sie gießen jetzt Öl statt Wasser ins Feuer und verschärfen das Problem, anstatt dass sie helfen, das Problem zu lösen.
Schwarz: Wenn wir noch einen Moment bei Portugal bleiben: Meinen Sie also, dem Land geht es gar nicht so schlecht, wie die Agenturen es jetzt darstellen?
Straubhaar: Nein, im Gegenteil. Ich denke, genauso wie das schon in Griechenland der Fall gewesen ist, ist auch in Portugal die Staatsverschuldung ein unglaublich dominantes schwieriges Problem, und ich fürchte, dass in der mittleren und längeren Frist auch Portugal nicht um dramatische Versuche und Rettungspakete herumkommen wird, eben hier diese Staatsverschuldung in irgendeiner Art und Weise mit Unterstützung der Rettungsschirme mindern zu können.
Das Problem ist akut, aber noch einmal: Das wussten wir schon lange und eigentlich hätte diese Warnung schon vor viel, viel früherer Zeit erfolgen sollen und nicht jetzt, wo es darum geht, Probleme zu lösen und nicht in dem Sinne mit allgemeinen Gemeinplätzen hier das Problem zu verschärfen.
Schwarz: Sie sagen, die Warnung kommt zu spät und die Macht der Ratingagenturen, die ist eindeutig zu groß. Da fragt man sich natürlich, wie konnte es so weit kommen? Immerhin haben die ja während der Finanzkrise auch schon mal total versagt.
Straubhaar: So ist es und ich denke, was wir hier sehen, ist erstens, dass wir eigentlich auch von falschen Erwartungen an die Ratingagenturen ausgegangen sind. Ratingagenturen müssen etwas leisten, was sie schlicht nicht leisten können, nämlich sie sollen die Fähigkeit eines Schuldners prüfen und beurteilen, wie weit dieser Schuldner Verbindlichkeiten pünktlich und vollständig bedienen kann, und das ist deshalb so enorm schwierig, weil damit Vermögen zu einem Stichtag bewertet werden muss, für das es keine Preise gibt. Das heißt, man muss wissen, was ist ein Volksvermögen in einem Staat letztlich wert, oder bei einer Firma muss man wissen, was sind die Immobilien, die Fabrikanlagen, die Marke, die Kundenbindungen, die Netzwerke, die Patente und vieles andere wert, und das kann man schlecht beurteilen, und deshalb wird von den Ratingagenturen etwas erwartet, was die nicht leisten können.
Und zweitens hat man eben eigentlich gut gemeint als Verbraucherschutz. Man wollte die kleinen Sparer und jene, die ihr Geld auf Kreditmärkten anlegen, schützen, indem man Ratings von Agenturen für verbindlich erklärt hat, und genau mit dieser gut gemeinten Absicht hat man jetzt die Ratingagenturen eben so mächtig werden lassen, dass ohne deren Zustimmung gewisse Kapitalanlagen nicht mehr getätigt werden können, beziehungsweise dass wenn die ihren Daumen drehen, dass dann eben auch neue Wertberichtigungen fällig werden.
Schwarz: Das war ja nicht immer so. Früher vertraute die Europäische Zentralbank zum Beispiel ihren eigenen Volkswirten. Warum traut sie denen heute nicht mehr?
Straubhaar: Doch, doch! Die trauen natürlich und hoffe ich immer noch und immer mehr und immer stärker ihren eigenen Volkswirten, genauso wie auch bei jeder Bank, oder bei jeder Versicherung, oder jedem Unternehmen letztlich auch intern jedes Risiko gewichtet, bewertet werden muss. Darum herum kommt man eben nicht.
Und genau deshalb ist es ja so störend, dass dann eben Ratingagenturen sozusagen quasi staatlich wie fast ein Staatsinstitut im Prinzip Urteile abgeben können, und quasi staatlich ist das deswegen, weil bei Stresstests öffentlich-rechtlicher Institutionen, also zum Beispiel von Börsenaufsichts- oder Finanzaufsichtsbehörden, nehmen diese Finanzaufsichtsbehörden diese Urteile für vergleichsweise verbindlich. Das heißt, sie verpflichten dann einzelne Marktakteure, dass sie nur einen Minimalanteil an schlecht bewerteten und einen anderen Höchstanteil an gut bewerteten Titeln in ihrem Portfolio haben müssen und eben nicht frei sind, tun und lassen zu können, was ihre eigenen Volkswirte ihnen raten.
Schwarz: Wie gewinnt denn die Politik, der damit mehr oder weniger die Hände gebunden sind, in einer solchen Situation wieder die Oberhand?
Straubhaar: Ich denke, entscheidend wäre es, wenn man schlicht und ergreifend die Marktmacht der Ratingagenturen brechen würde, indem man sagt, diese Urteile sind zwar interessant, sie können unter Umständen durchaus hilfreich sein für die eigene Meinungsbildung, aber sie dürfen eben nicht verbindlich sein. Das, würde ich sagen, ist so ähnlich wie beim Verbraucherschutz. Da gibt es auch Gütesiegel, es gibt blaue Engel, es gibt Biozertifikate oder Testate, oder es gibt TÜV-geprüfte oder andere Apparate oder Maschinen, oder es gibt blaue Flaggen beim Wasser.
So ähnlich müssten Ratingagenturen Urteile abgeben dürfen, selbstverständlich, aber sie sollten nicht bindend sein und im Prinzip sollten alle, die an Kreditgeschäften beteiligt sind, diese Urteile als eine von vielen Meinungsäußerungen nehmen dürfen, auf die man hören kann, wenn man hören will.
Schwarz: Thomas Straubhaar, Präsident des Hamburgischen Instituts für Weltwirtschaft, war das über die Macht der Ratingagenturen. Herr Straubhaar, danke für das Gespräch.
Straubhaar: Gerne geschehen.
Die Äußerungen unserer Gesprächspartner geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Darüber sprach ich vor der Sendung mit Thomas Straubhaar, dem Präsidenten des Hamburgischen Instituts für Weltwirtschaft, und fragte ihn zunächst, ob er die Abwertung der Portugalanleihen ebenso wie Finanzminister Schäuble nicht angemessen finde?
Thomas Straubhaar: Ich denke, man muss zwei Dinge unterscheiden. Erstens wäre es absurd, jetzt angesichts dieser großen Staatsverschuldung in Europa den Ratingagenturen die Verantwortung für die Staatsverschuldung an sich in die Schuhe schieben zu wollen.
Aber andererseits ist es eben genau so, wie Herr Schäuble meines Erachtens richtigerweise sagt, dass jetzt die Ratingagenturen eine auch politische Macht erlangt haben, die ihnen erlaubt, die Regierungen vor sich herzutreiben, weil eben die Urteile der Ratingagenturen nicht frühzeitig genug erfolgt sind, sondern jetzt vergleichsweise spät, und damit eben nicht antizyklisch, sondern zyklisch wirken. Das heißt, sie gießen jetzt Öl statt Wasser ins Feuer und verschärfen das Problem, anstatt dass sie helfen, das Problem zu lösen.
Schwarz: Wenn wir noch einen Moment bei Portugal bleiben: Meinen Sie also, dem Land geht es gar nicht so schlecht, wie die Agenturen es jetzt darstellen?
Straubhaar: Nein, im Gegenteil. Ich denke, genauso wie das schon in Griechenland der Fall gewesen ist, ist auch in Portugal die Staatsverschuldung ein unglaublich dominantes schwieriges Problem, und ich fürchte, dass in der mittleren und längeren Frist auch Portugal nicht um dramatische Versuche und Rettungspakete herumkommen wird, eben hier diese Staatsverschuldung in irgendeiner Art und Weise mit Unterstützung der Rettungsschirme mindern zu können.
Das Problem ist akut, aber noch einmal: Das wussten wir schon lange und eigentlich hätte diese Warnung schon vor viel, viel früherer Zeit erfolgen sollen und nicht jetzt, wo es darum geht, Probleme zu lösen und nicht in dem Sinne mit allgemeinen Gemeinplätzen hier das Problem zu verschärfen.
Schwarz: Sie sagen, die Warnung kommt zu spät und die Macht der Ratingagenturen, die ist eindeutig zu groß. Da fragt man sich natürlich, wie konnte es so weit kommen? Immerhin haben die ja während der Finanzkrise auch schon mal total versagt.
Straubhaar: So ist es und ich denke, was wir hier sehen, ist erstens, dass wir eigentlich auch von falschen Erwartungen an die Ratingagenturen ausgegangen sind. Ratingagenturen müssen etwas leisten, was sie schlicht nicht leisten können, nämlich sie sollen die Fähigkeit eines Schuldners prüfen und beurteilen, wie weit dieser Schuldner Verbindlichkeiten pünktlich und vollständig bedienen kann, und das ist deshalb so enorm schwierig, weil damit Vermögen zu einem Stichtag bewertet werden muss, für das es keine Preise gibt. Das heißt, man muss wissen, was ist ein Volksvermögen in einem Staat letztlich wert, oder bei einer Firma muss man wissen, was sind die Immobilien, die Fabrikanlagen, die Marke, die Kundenbindungen, die Netzwerke, die Patente und vieles andere wert, und das kann man schlecht beurteilen, und deshalb wird von den Ratingagenturen etwas erwartet, was die nicht leisten können.
Und zweitens hat man eben eigentlich gut gemeint als Verbraucherschutz. Man wollte die kleinen Sparer und jene, die ihr Geld auf Kreditmärkten anlegen, schützen, indem man Ratings von Agenturen für verbindlich erklärt hat, und genau mit dieser gut gemeinten Absicht hat man jetzt die Ratingagenturen eben so mächtig werden lassen, dass ohne deren Zustimmung gewisse Kapitalanlagen nicht mehr getätigt werden können, beziehungsweise dass wenn die ihren Daumen drehen, dass dann eben auch neue Wertberichtigungen fällig werden.
Schwarz: Das war ja nicht immer so. Früher vertraute die Europäische Zentralbank zum Beispiel ihren eigenen Volkswirten. Warum traut sie denen heute nicht mehr?
Straubhaar: Doch, doch! Die trauen natürlich und hoffe ich immer noch und immer mehr und immer stärker ihren eigenen Volkswirten, genauso wie auch bei jeder Bank, oder bei jeder Versicherung, oder jedem Unternehmen letztlich auch intern jedes Risiko gewichtet, bewertet werden muss. Darum herum kommt man eben nicht.
Und genau deshalb ist es ja so störend, dass dann eben Ratingagenturen sozusagen quasi staatlich wie fast ein Staatsinstitut im Prinzip Urteile abgeben können, und quasi staatlich ist das deswegen, weil bei Stresstests öffentlich-rechtlicher Institutionen, also zum Beispiel von Börsenaufsichts- oder Finanzaufsichtsbehörden, nehmen diese Finanzaufsichtsbehörden diese Urteile für vergleichsweise verbindlich. Das heißt, sie verpflichten dann einzelne Marktakteure, dass sie nur einen Minimalanteil an schlecht bewerteten und einen anderen Höchstanteil an gut bewerteten Titeln in ihrem Portfolio haben müssen und eben nicht frei sind, tun und lassen zu können, was ihre eigenen Volkswirte ihnen raten.
Schwarz: Wie gewinnt denn die Politik, der damit mehr oder weniger die Hände gebunden sind, in einer solchen Situation wieder die Oberhand?
Straubhaar: Ich denke, entscheidend wäre es, wenn man schlicht und ergreifend die Marktmacht der Ratingagenturen brechen würde, indem man sagt, diese Urteile sind zwar interessant, sie können unter Umständen durchaus hilfreich sein für die eigene Meinungsbildung, aber sie dürfen eben nicht verbindlich sein. Das, würde ich sagen, ist so ähnlich wie beim Verbraucherschutz. Da gibt es auch Gütesiegel, es gibt blaue Engel, es gibt Biozertifikate oder Testate, oder es gibt TÜV-geprüfte oder andere Apparate oder Maschinen, oder es gibt blaue Flaggen beim Wasser.
So ähnlich müssten Ratingagenturen Urteile abgeben dürfen, selbstverständlich, aber sie sollten nicht bindend sein und im Prinzip sollten alle, die an Kreditgeschäften beteiligt sind, diese Urteile als eine von vielen Meinungsäußerungen nehmen dürfen, auf die man hören kann, wenn man hören will.
Schwarz: Thomas Straubhaar, Präsident des Hamburgischen Instituts für Weltwirtschaft, war das über die Macht der Ratingagenturen. Herr Straubhaar, danke für das Gespräch.
Straubhaar: Gerne geschehen.
Die Äußerungen unserer Gesprächspartner geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.