Strawinsky-Sound im Pop

Von Igors "Sacre" zu "Igor's Boogie"

05:46 Minuten
Frank Zappa steht hinter einem Pult in Dirigentenpose.
Strawinsky groovte wirklich, findet Musiker und Labelgründer Marc Hollander. Später fand er Elemente von Strawinskiys Kompositionen in der Musik von Frank Zappa. © imago / Courtesy Everett Collection
Von Goetz Steeger · 06.04.2021
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Immer wieder nennen Popkünstlerinnen und -künstler Igor Strawinsky als wichtigen Einfluss oder Inspiration. Kann man die Einflüsse raushören? Goetz Steeger hat gesucht und ist fündig geworden - etwa bei Frank Zappa.
Die Sparks behaupten in ihrem typischen Humor, Texter von Strawinskys einzigem Hit zu sein – den es leider natürlich nie gab.
Die Musik dazu skurril, leicht angeschrägt, im klar erkennbaren Strawinsky-Sound. Aber wodurch entsteht der?

Der Strawinsky-Sound

Ja klar, die Perkussion mit Woodblock und Becken und die Polka-Figur der Blechbläser, aber das Eigentliche sind die Streicherakkorde: An dieser Stelle enthält er zwar harmonische Töne, aber keine, die zum eigentlichen Dreiklang gehören.
An einer anderen Stelle wird es noch ein bisschen dissonanter durch dieses Intervall. Ein Tonintervall von viereinhalb Schritten, genannt Tritonus, in Abertausenden Filmen gerne eingesetzt, wenn es gruselig werden soll. Auch Strawinsky hat dieses Intervall gerne benutzt, etwa im Musiktheater "Die Geschichte des Soldaten", komponiert im Jahre 1917.

Wenn Zappa auf Strawinsky trifft

Eine Affinität zu Strawinsky hat auch Marc Hollander, Gründer der legendären Art-Pop-Band Aksak Maboul, die es seit den 70er-Jahren bis heute gibt. "Als ich ein Teenager war, hörte ich wie viele andere 'Le Sacre du printemps' und verliebte mich in die Musik", erinnert sich Hollander, der außerdem das renommierte Indie-Label Crammed Disks, bekannt für Erlesenes abseits vom Mainstream, gegründet hat.
"Ich liebte die Rhythmen, die für mein Empfinden wirklich groovten, zusammen mit den asymmetrischen Elementen und dieser Mischung aus dissonantem Zeug und Volksmelodien", sagt Hollander. "Später habe ich mich gefreut, als ich Elemente davon in der Musik von Frank Zappa wiedererkannt habe. Das war nicht schwer, er zitierte frei aus Strawinskys Musik und nannte sogar ein paar Stücke 'Igor's Boogie'."
Bei Zappas "Igor’s Boogie" sind die Bläserstimmen, die keine besondere Rücksicht auf Harmonie nehmen, parallel gesetzten; dazu das fast militärische Schlagzeug – auch das ist wieder eine eher skurrile und ironische Strawinsky-Referenz.

Prog Rock und "Le Sacre Du Printemps"

Groovy und dabei asymmetrisch, die Mischung aus Folk-Melodien und Dissonanz in "Le Sacre Du Printemps", die Marc Hollander beschrieb, sind ein wichtiger Einfluss auf viele Prog Bands der 70er-Jahre: Dissonanzen, die sich aber noch aus der Klassik herleiten, zum Beispiel durch zwei übereinander geschichtete Moll-Dreiklänge.
Das war ein bedrohlicher Sound, der Rockfans in den 70er-Jahren längst durch viele Hollywood- Blockbuster vertraut war. Besonders reizvoll ist der asymmetrische Rhythmus in "Le Sacre Du Printemps". Interessant dazu im Vergleich King Crimson mit "Lark’s Tongues in Aspic Part II" von 1972.
Die Skandalpremiere von "Le Sacre" 1922 in Paris, die als vulgär und roh niedergemacht wurde, kann man durchaus schon als "Pure Rock n’ Roll" bezeichnen. So was hat die Hochkultur damals entsetzt.

Strawinsky-Spuren bis heute

Und noch ein Vergleich. Die Industrial-Urgesteine Killing Joke aus dem Jahre 1990 mit "Inside The Termite Mound" und der Schlussakkord des "Le Sacre Du Printemps".
Als man Anfang der 80er durch die neuen Samplerkeyboards so etwas als Sound auf alle Tasten legen konnte, waren die Charts voll von Strawinsky Orchestra-Shots:
  • Nino De Angelo – "Jenseits von Eden"
  • Eurhythmics: "Beethoven"
  • Yes: "Owner Of A Lonely Heart"
Auch im aktuellen Pop ist Igor Strawinsky immer wieder mal als klangliche und kompositorische Inspiration zu erkennen, in der Art wie bei St. Vincents Black Rainbow die Holzbläser gesetzt sind.
Oder bei Owen Pallett’s "A Bloody Morning" als traumatisch bedrohliche Orchesterkulisse.
Und auch bei Marc Hollanders Band Aksak Maboul hat Strawinsky seine Spuren hinterlassen, das zeigt sich etwa im Aksak-Maboul-Stück "Un Caid."
Musiker und Labelgründer Hollander soll denn auch das letzte Wort haben. Er sagt: "Igor für immer!"

"Eine Art Heiliger" - zum 50. Todestag von Strawinsky hat Carsten Beyer mit Dirigent Vladimir Jurowski über den Komponisten gesprochen.

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