Strawinsky und das Opfer

Von Carolin Pirich |
Ein Traum soll Igor Strawinsky zu "Le Sacre du Printemps" inspiriert haben - dem Skandal-Ballet von 1913. Die Vorstellung von einer Tänzerin, die sich verausgabt, habe den russischen Komponisten zu der Idee geführt, ein Menschenopfer darzustellen.
Dieser Rhythmus hat die Musik verändert: Das Orchester als Schlagwerk. Zerhackte Takte. Zuckende Körper. Ein Ballett ohne klassische Schönheit und ohne Handlungsrahmen.

Die Uraufführung im Mai 1913: Ein Skandal. Igor Strawinskys "Frühlingsopfer - Le Sacre du Printemps". Untertitel: Bilder aus dem heidnischen Russland.

Eine "Vision" habe er 1910 gehabt, erinnert sich Strawinsky in einem Gespräch mit dem Dirigenten und Musikwissenschaftler Robert Craft. Er habe ein Gedicht des russischen Symbolisten Sergej Gorodeckij über den Frühlingsgott Jarilo gelesen und sah daraufhin:

"Eine große heidnische Feier: Alte weise Männer sitzen im Kreis und schauen dem Todestanz eines jungen Mädchens zu, das geopfert werden soll, um den Gott des Frühlings günstig zu stimmen."

Das jedenfalls ist die letzte und bekannteste Darstellung, was ihn, Strawinsky, inspiriert habe, den "Sacre" zu komponieren. Es gibt mindestens vier Versionen. Eine andere lautet: Er habe von einem Ballett geträumt, das aus einem einzigen Tanz bestünde: Die Vorstellung von einer Tänzerin, die sich verausgabt, habe zur Idee geführt, ein "Menschenopfer" zum Thema eines Balletts zu machen.

Rundtänze statt Pas de deux
Strawinsky kontaktierte um 1910 den Maler Nikolas Roerich, einen Experten heidnischer Riten, um am Libretto zu arbeiten. Der "Sacre du Printemps" ist kein Handlungsballett - es gibt keine Solisten, sondern Massen; keine Pas de deux, sondern Rundtänze. Dazu eine Hexe, eine Entführung, ein weiser Alter, der die neu erblühte Erde küsst, Jungfrauen - und aus ihren Reihen das Mädchen, das sich dem Frühling opfert und sich zu Tode tanzt.

"Ich möchte der ganzen Komposition das Gefühl der Verbundenheit mit der Erde geben",

schrieb Strawinsky über den "Sacre du Printemps":

"Und das versuche ich in lapidaren Rhythmen auszudrücken."

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