Vorreiter in Sachen Diversität
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People of Color, Homosexuelle, Transsexuelle: Bei Netflix, Amazon & Co. zeigen viele Filme und Serien eine diverse Gesellschaft. Hilft das zum Abbau von Vorurteilen, und warum tut sich das herkömmliche Fernsehen mit Diversität immer noch schwer?
"Black Lives Matter", "Black Stories" oder "Celebrate Black Stories": In jüngster Zeit haben mit Netflix, Amazon Prime und Disney Plus drei große Streaming-Anbieter Rubriken für Filmen und Serien eingeführt, die von Menschen of Color handeln oder die von Menschen of Color gemacht wurden. Auch andere Facetten von Diversität spiegeln sich im Angebot der Streamingdienste wider, beispielsweise in der Netflix-Serie "Orange Is the New Black", die einem Frauengefängnis spielt und unterschiedliche sexuelle Identitäten thematisiert.
Das Gesellschaftsbild, das das Angebot der Streamingdiensten vermittelt, scheint also recht divers zu sein. Doch was steht dahinter: einfach nur ein Aufsatteln auf den Zeitgeist oder ein echtes gesellschaftliches Anliegen?
Thomas Lückerath, Chefredakteur des Medienmagazins dwdl.de sieht darin zunächst den Ausdruck einer bei den Streamingdiensten beliebten Strategie, sich sogenannte "white spots" zu suchen, also Nischen, die von anderen Anbietern bisher nicht besetzt wurden. "Denn wenn ich der Erste bin, der das Thema besetzt, habe ich natürlich die Aufmerksamkeit dieser Zielgruppe, dieser Community für mich", sagt er.
Internationale Ausrichtung generiert automatisch Vielfalt
Hinzu kommt, dass Streamingdienste von vornherein für ein internationales Publikum produzieren - und für viele Märkte. Das generiert ebenfalls mehr Vielfalt, ohne dass dahinter notwendigerweise eine gesellschaftspolitische Absicht steckt. So würden beispielsweise die großen Kinofilme bei Disney mittlerweile "gezielt mit prominenten Vertreterinnen und Vertretern aus diversen Ländern der Welt besetzt, damit man in den Märkten dann dementsprechend Marketing-Potenzial hat", sagt Lückerath.
Ganz losgelöst von gesellschaftspolitischen Fragen sieht er die größere Ausrichtung der Streamingdienste an Diversität jedoch nicht. "Dafür gibt es in den USA natürlich ein viel größeres Bewusstsein. Nicht, dass es dort besser ist. Das merken wir ja in diesem Jahr durch die Black Lives matter-Kampagne", so Lückerath. "Aber das Bewusstsein wird dort sehr viel aktiver in die Gesellschaft hineingetragen. Sei es jetzt die Frage von Rassismus, sei es die Frage von Unterdrückung von Minderheiten aufgrund von Geschlecht oder sexueller Identität."
Veraltete Art, die Quote zu messen
Im deutschen Fernsehen hingegen hat Diversität lange Zeit eher eine Nebenrolle gespielt.
"Also ich habe als Schauspieler oft gehört: ‚Nee, einen schwarzen Schauspieler in der Hauptrolle können wir nicht machen, da geht die Quote runter", sagt der in Berlin lebende österreichisch-jamaikanische Schauspieler Tyron Ricketts. "Das war so in den 90er-Jahren. Und auch Anfang der 2000er-Jahre war das ein gängiges Argument."
Für Ricketts lag das auch daran, wie die Quote erhoben wurde.
"Es gab eine Auswahl von 5500 Haushalten, in der der Hauptverdiener muttersprachlich deutsch sein musste, wo hauptsächlich am Hauptgerät gemessen wurde, also teilweise auch am Zweit- und Drittgerät. Und das war die Währung, wie in Deutschland gemessen wurde, ob eine Sendung erfolgreich oder nicht erfolgreich war. Und ich glaube, dass diese doch veraltete Art und Weise, 'Qualität' zu messen, auf jeden Fall in der Vergangenheit und auch jetzt immer noch ein Nadelöhr gewesen ist - für Diversität, aber auch Innovation."
Fernsehen kann Einstellungen verändern
Inzwischen tut sich aber auch im deutschen Fernsehen etwas in Sachen Diversität. Dem Hamburger Sozialpsychologen Mathias Kauff zufolge hat das auch Rückwirkungen auf die gesellschaftliche Realität. "Es gibt eine ganze Reihe von Forschung, die zeigt, dass die Darstellung von Diversität Vorurteile reduziert", sagt er.
Allerdings gilt das vor allem für die, die ohnehin liberale Einstellungen haben, meint Kauff. Bei Menschen, die Diversität stark ablehnen, könne das dazu führen, dass diese sich noch weiter abgrenzten. "Aber auch da glaube ich, wenn Diversität immer mehr zur Normalität wird, dann orientieren sich auch diese Menschen an sozialen Normen."
Dazu müssten Minderheiten aber "stereotyp-inkonsistent" dargestellt werden, betont Kauff. "Wir zeigen eben nicht nur den schwarzen Verbrecher. Das bedient ja unsere Stereotype. Sondern wir zeigen die schwarze Ärztin, einen queeren Hausmeister, eine queere Schulleiterin. Wichtig ist dabei, dass wir die Personen eben auch nicht nur als Exot*innen darstellen, sondern dass sie Teil eines größeren Ganzen, einer Gesellschaft sind."
(uko)