Streik bei Amazon

DGB-Chef Hoffman will bald grenzübergreifende Aktionen

Aufkleber mit der Aufschrift "Amazon" hängen am 07.12.2017 beim Medientag von Versandhändler Amazon in Bad Hersfeld (Hessen) aus einem Versandkarton. Um das umsatzstarke Weihnachtsgeschäft zu bewältigen, hat Versandhändler Amazon bundesweit 13.000 Aushilfen eingestellt.
Aufkleber mit der Aufschrift "Amazon" © picture alliance / dpa / Swen Pförtner
Von Ludger Fittkau |
Seit vier Jahren kämpft Verdi für einen Tarifvertrag bei Amazon - jetzt wieder mit Streik. Doch Amazon will keinen Tarifvertrag und weicht im Zweifel nach Polen oder Tschechien aus. Das will DGB-Chef Rainer Hoffmann verhindern.
Nasskalt und zugig ist es auf dem Parkplatz von Amazon Bad Hersfeld. Der Wind pfeift über die Masten mit Fotovoltaik-Solarzellen, die über den gesamten Platz verteilt sind. Obwohl die Gewerkschaft Verdi noch bis zum Beginn der Mittagsschicht zum Arbeitskampf aufgerufen hat, ist heute Morgen kein Streikposten platziert. Selbst die Verdi-Fahnen oder Transparente, die bei früheren Arbeitskämpfen vor dem Amazon-Werkstor flatterten, fehlen.
Vor der Drehtür zum Werksgelände stehen ein paar Arbeiterinnen und Arbeiter und rauchen. Ich gehe auf sie zu:
Fittkau: "Ich bin hier, um über den Streik zu berichten, jetzt ist ja gar nichts los. Wie läuft es denn?"
Mann: "Da drüben steht eine Kollegin, die ist wahrscheinlich der bessere Ansprechpartner."
Fittkau: "Streiken sie auch?"
Frau: "Ich streike nicht, nein."
Die Amazon-Mitarbeiterin in orangefarbener Sicherheitsjacke will sich nicht weiter äußern. Ebenso die anderen Raucher nicht. Ein Kollege, der gerade vom Parkplatz kommt, ist gesprächiger:
"Ich bin nicht in der Gewerkschaft, ich streike nicht. Für mich streiken nur die Faullenzer. Entweder sie sind im Streik oder sie sind im Urlaub oder sie stehen in den Gängen rum und schwätzen."
Fittkau: "Also die Forderungen nach einem Tarifvertrag, nach Verhandlungen mit den Gewerkschaften, die finden sie nicht plausibel?"
Mann: "Finde ich nicht richtig. Weil, das ist eine ungelernte Arbeit, die jeder machen kann und dafür über zehn Euro die Stunde zu bekommen, finde ich, ist ein sehr guter Lohn."
Fittkau: "Verdi hat gesagt, 150 Leute etwa hätten gestreikt diese Woche, würden sie das teilen?"
Mann: "150 Leute haben gestreikt? Ja, das könnte sein."

Viele ungelernte Mitarbeiter nicht streikbereit

150 Streikende am größten deutschen Amazon-Standort mit rund 4.000 Beschäftigten – das ist ein dürftiger Organisationsgrad. Schon vor dem heute zu Ende gehenden Streik im Umtauschgeschäft nach Weihnachten haben die Verdi-Vertrauensleute Christian Krehling und Andrea Schmittkunz im Gewerkschaftsbüro in der Hersfelder Innenstadt darüber diskutiert, warum es so schwer ist, die Amazon-Beschäftigten zum solidarischen Handeln zu bewegen. Andrea Schmittkunz kennt die Argumente gerade vieler ungelernter Amazon-Mitarbeiter, die nicht streikbereit sind:
"So gesehen, für jemanden, der gar nichts gelernt hat und dann reinkommt, der freut sich über das Gehalt. Aber für einige von uns, die den Beruf auch gelernt haben, ist es wie ein Abstieg. Man kann eine Münze von zwei Seiten sehen, sie hören das auch, so ist es leider auch."
Verdi-Vertrauensmann Christian Krehling sieht einen Hauptgrund für die fehlende Streikbereitschaft in der Befristung der Arbeitsverträge bei etwa der Hälfte der Amazon-Mitarbeiter in Bad Hersfeld:
"Na, ich denke, das größte Problem der Mitarbeiter, die keinen Arbeitsvertrag haben, ist, dass sie Angst haben, dann einfach gekündigt zu werden. Und das hält die meisten davon ab, in die Gewerkschaft einzutreten."

"Die Arbeitstätigkeit ist wirklich sehr belastend"

Nun versucht Verdi, den Organisationsgrad der Amazon-Lagerarbeiter auch dadurch zu erhöhen, dass man die gesundheitlichen Belastungen am Arbeitsplatz thematisiert. Auch der hohe Krankenstand, so Gewerkschaftssekretärin und Streikleiterin Mechtild Middecke, soll Thema von Verhandlungen über einen Tarifvertrag werden, zu denen Verdi den Amazon-Konzern mit den Streikaktionen wie in dieser Woche zwingen will:
"Die Arbeitstätigkeit ist wirklich sehr belastend, ob das jetzt die Picker sind, die 10, 15 oder 20 Kilometer am Tag laufen müssen, ob das die Packer sind, die den ganzen Tag über eine einseitige Tätigkeit haben. Das ist jetzt unser nächstes großes Anliegen, dass wir auch bei unseren Streikversammlungen diskutieren, wo wir einen Tarifvertrag fordern und wo wir Amazon mehr Druck machen wollen, dass da wirklich was passiert."
Doch um Amazon wirklich zu Verhandlungen über einen Tarifvertrag zu bewegen, muss man womöglich die grenzübergreifende Solidarität mit den Amazon-Beschäftigten in Polen und Tschechien besser organisieren. Dazu DGB-Vorsitzender Rainer Hoffmann heute im Deutschlandfunk:
"Wir erleben es gerade bei Amazon, selbst wenn Verdi in Streikmaßnahmen eintritt, dann die Lieferungen aus Polen oder der Tschechischen Republik vorgenommen werden. Auch hier sind wir als Gewerkschaften gefordert, wesentlich stärker gemeinsam zusammenzuarbeiten und im Zweifel auch grenzüberschreitende Arbeitskampfmaßnahmen zu organisieren."
Bis das funktioniert, werden die Verdi-Mitglieder in Bad Hersfeld aber immer wieder auch alleine streiken. Und das gezielt – wie jetzt im Umtauschgeschäft nach den Weihnachtsfeiertagen.
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