"Klassische Form des Machtkampfs"
Präsident Hollande will den Arbeitsmarkt reformieren, die Gewerkschaft CGT läuft dagegen Sturm. Für beide Seiten gehe es um viel, weiß Frankreich-Expertin Claire Demesmay: Macht und Bedeutung.
Die massiven Proteste in Frankreich gegen die von der Regierung geplante Arbeitsrechtsreform sind nach Auffassung Claire Demesmays existentiell: "Das ist wirklich eine klassische Form des Machtkampfs." Die Gewerkschaft CGT stemme sich gegen einen drohenden Bedeutungsverlust. Für Präsident Hollande gehe es um die Wiederwahl.
Die auf Konfrontation ausgerichtete CGT sei von einst drei Millionen Mitgliedern auf unter 700.000 geschrumpft, so die Leiterin des Frankreich-Programmes bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. In Zukunft könne sie weiter an Bedeutung verlieren - zugunsten einer reformfreudigen Gewerkschaft wie der CFDT. Für CGT-Chef Philippe Martinez gehe es darum, seine Position zu sichern:
"Es gibt nichts Besseres dafür als einen gemeinsamen Feind zu haben, um Leute zusammenzuschweißen - und diesen gemeinsamen Feind hat jetzt Martinez gefunden in dieser Regierung."
Ein gefährliches Spiel
Generell drohe den französischen Gewerkschaften durch die geplante Reform eine stärkere Marginalisierung, da künftig Betriebsvereinbarungen Vorrang vor Branchenvereinbarungen haben sollen.
Doch auch Präsident Hollande stehe mit Blick auf die Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr unter Druck, so Demesmay. Er habe spät mit Reformen begonnen: "Man weiß in Deutschland sehr gut, wie lange es dauert, bis sich Reformen auch auswirken auf die Situation des Arbeitsmarkts." Hollande habe aber mehrmals gesagt, er wolle nur antreten, wenn sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt verbessere: "Das ist für ihn ein gefährliches Spiel."
Das vollständige Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Gestern ging es weiter ans Eingemachte eines modernen Industrielandes. Da zielte die größte Gewerkschaft CGT mit ihren Protesten auf die Strom- und Treibstoffversorgung Frankreichs, Atomkraftwerke wurden gedrosselt, landesweit gingen Zehntausende Menschen auf die Straße aus Protest gegen die Aufweichung des Kündigungsschutzes in der Arbeitsmarktreform der sozialistischen Regierung, wodurch nach Meinung der Gewerkschaft die Rechte der Arbeiter eingeschränkt werden.
Und die CGT fürchtet wohl auch selbst an Einfluss zu verlieren, wenn sie jetzt nicht ganz hart zurückschlägt. Deshalb also Barrikaden und Sperren wie Häfen wie Le Havre, Tanker in Marseille, die niemand mehr abfertigt, Blockaden vor Benzindepots. Claire Demesmay ist bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik die Leiterin des Programms Frankreich und für deutsch-französische Beziehungen zuständig und jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Claire Demesmay: Guten Morgen!
von Billerbeck: Machen wir es wie beim Drama im Theater, zuerst die handelnden Personen und Organisationen! Die CGT als treibende Kraft der Streiks und ihr Chef Philippe Martinez, was wollen die, wofür stehen die?
Demesmay: Das ist der älteste Gewerkschaftsbund Frankreichs und das war auch lange der größte Gewerkschaftsbund. Inzwischen ist das der zweitgrößte. Und man darf nicht vergessen, dass er von Anfang an eine ideologische Nähe mit der kommunistischen Partei gepflegt hat. Und heutzutage haben die zwar keinen revolutionären Anspruch mehr, aber trotzdem gehören sie zu den Gewerkschaften, die gern auf Konfrontationskurs gehen und die – und das ist wichtig – die Arbeitgeber nicht als Partner sehen, sondern in erster Linie als Gegner.
Ein gemeinsamer Feind: die Regierung
von Billerbeck: Die Form, also diese sehr radikalen Formen des Protestes, die wirken ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Aber immerhin, das kann man sagen, sie sind vermutlich sehr wirksam! Sind das Rückzugsgefechte einer einst mächtigen Gewerkschaft?
Demesmay: Ja, Sie haben schon recht, das ist wirklich eine klassische Form des Machtkampfes und das hat mehrere Gründe. Der erste Grund – das haben Sie schon angedeutet –, die CGT ist schwach. Sie hat an Mitgliedern verloren, es waren drei Millionen in den 50er-Jahren, jetzt heutzutage sind es weniger als 700.000. Und die CGT könnte auch in naher Zukunft noch an Bedeutung verlieren zugunsten insbesondere einer reformfreudigen Gewerkschaft wie die CFDT.
Also, es geht für Martinez jetzt auch darum, seine Position zu sichern. Er ist relativ neu bei der CGT, er hat diese Stelle seit über einem Jahr, das ist nicht sehr lange. Und es gibt nichts Besseres dafür als einen gemeinsamen Feind zu haben, um Leute zusammenzuschweißen. Und ja, diesen gemeinsamen Feind hat jetzt Martinez gefunden, das ist die Regierung.
von Billerbeck: Trotzdem fragt man sich ja, woher diese Wut kommt. Denn es funktioniert ja, offenbar kann die CGT ja diese Protestwut mobilisieren. Lässt da bis heute die Französische Revolution grüßen?
Demesmay: Nein, das würde ich nicht sagen. Aber es hat mit einem zweiten Grund zu tun, und zwar: Der Sozialdialog ist in Frankreich traditionell schwach und die Gewerkschaften haben nicht die Rolle eines Vermittlers wie in Deutschland. Die Gewerkschaften arbeiten gern konfrontativ. Und Hollande wollte dies ändern. Er hat versucht, Gewerkschaften auch besser einzubinden in den Reformen und das hat auch mit der CFDT teilweise geklappt. Aber mit der CGT nicht. Und dieser Streik ist für ihn wirklich ein Scheitern.
Und das dritte Problem ist auch, dass durch die Reform des Arbeitsmarkts, wie sie die Regierung jetzt anstrebt, Gewerkschaften noch stärker marginalisiert werden sollen, insbesondere weil Betriebsvereinbarungen Vorrang haben sollen, also wichtiger werden sollen als Branchenvereinbarungen. Und das ist für die Gewerkschaften sehr gefährlich. Denn jetzt schon sind sie schwach. Wenn das passiert, sind sie noch schwächer. Also, es geht für Philippe Martinez und für die CGT und für die Gewerkschaft um sehr vieles.
Hollande hat spät mit Reformen begonnen
von Billerbeck: Wenn ich Sie richtig verstehe, stehen ja aber da beide Seiten unter Druck, nicht nur die Gewerkschaften, sondern eben auch Francois Hollande und seine Regierung. Der Präsident will wiedergewählt werden. Sie haben es gesagt, er hat versagt, also, er hat viel zu spät auf diese ja doch für Frankreich sehr radikalen Reformen gesetzt, oder?
Demesmay: Ja, so radikal sind sie auch nicht, das ist nicht vergleichbar mit der Agenda 2010 in Deutschland. Aber trotzdem gibt es ein paar Maßnahmen, die für französische Verhältnisse weit gehen, zum Beispiel die Lockerung des Kündigungsschutzes. Ja, Hollande hat spät damit angefangen. Wenn man sieht, dass er jetzt weniger als ein Jahr Zeit hat, die Präsidentschaftswahl findet nächstes Jahr im Mai statt, also, das ist sehr, sehr wenig Zeit.
Man weiß in Deutschland sehr gut, wie lange es dauert, bis sich Reformen auswirken auf die Situation des Arbeitsmarkts. Und Hollande hat mehrmals gesagt, dass er nur antreten will, wenn sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt verbessert. Also, das ist für ihn ein gefährliches Spiel. Und das ist noch gefährlicher, weil jetzt der politische Preis sehr hoch ist. Das linke Lager ist vollkommen gespalten, die Regierung war nicht in der Lage, eine Mehrheit in der Assemblée nationale, also im Parlament für diese Reformen zu finden.
Mit Deutschland wird ständig verglichen
von Billerbeck: Gibt es in Frankreich – Sie haben es ja eben schon erwähnt, mit der Agenda 2010 – eigentlich auch den Blick auf uns, auf die deutschen Nachbarn, wo ja derlei Reformen zwar unter Protesten, aber nicht unter so gewalttätigen Protesten durchgesetzt worden sind?
Demesmay: Ja, auf jeden Fall. Also, mit Deutschland wird ständig verglichen, im Guten wie auch im Schlechten. Und das ist wirklich ein Dauervergleich, was in Deutschland passiert ist. Einige sagen, ja, schauen wir mal, was in Deutschland geklappt hat, müssen wir auch nachholen, und zwar schnell; und die anderen meinen, ja, aber der soziale Preis war viel zu hoch und das wollen wir uns nicht leisten. Also, insofern gibt es auch eine gespaltene Diskussion über die Reformen in Deutschland, die als Vorbild oder als Gegenbild gelten.
von Billerbeck: Claire Demesmay, Frankreich-Expertin von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik über den Kampf der Gewerkschaften gegen die Reformvorhaben der Regierung Valls und Francois Hollande. Ich danke Ihnen!
Demesmay: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.