Streiks in Frankreich

Umstrittener Gewerkschaftsboss setzt auf Radikalisierung

Ein Demonstrant sitzt mit einer Flagge auf einer Straße, vor ihm eine Reihe Polizisten.
Demonstrant der Gewerkschaft CGT in Tours, Frankreich © GUILLAUME SOUVANT / AFP
Von Burkhard Birke |
In Frankreich wird gestreikt, das Land ist blockiert, die Fronten verhärtet. Die Gewerkschaft CGT verliert seit langem Mitglieder und auch Präsident Hollande kämpft um das politische Überleben. Keine guten Voraussetzungen für vernünftige Reformen, meint Burkhard Birke.
Frankreich zeigt sich wieder Mal von seiner besten Seite und das ausgerechnet kurz vor Auftakt der Fußballeuropameisterschaft. Groß ist die Grande Nation vor allem darin, zu streiken, das öffentliche Leben zu lähmen und den Wohlstand zu schmälern, für dessen Besitzstand man auf die Straße geht, um seiner Wut freien Lauf zu lassen. Alles nach dem Motto: Wer am lautesten schreit, dem wird am Ende auch gegeben.
Hand aufs Herz: Natürlich kann man krisengebeutelte Arbeitnehmer verstehen, die zur Wahrung sozialer Errungenschaften auch zu radikalen Mitteln wie Blockaden von Häfen, Raffinerien, Kraftstofflagern greifen und Atomkraftwerke bestreiken. Auch die Demonstranten haben freilich längst begriffen, dass der Sozialstaat auf Pump nicht nachhaltig ist, dass reformiert werden muss. Ärgerlich, dass die Reichen immer reicher werden und die am unteren Ende der Einkommensskala stets das Nachsehen haben. Und damit sind wir bei einem Kern der Proteste: Das Volk hat vor vier Jahren einen Sozialisten in den Elysée gewählt, der versprochen hatte, dem Sozialabbau ein Ende zu setzen und die Beschäftigung im Land zu erhöhen.

Arbeitslosigkeit bei dreieinhalb Millionen

Zugegeben: Viele wollten auch nur das größere Übel, die Wiederwahl des wenig erfolgreichen Konservativen Nicolas Sarkozy verhindern. Nach vier Jahren liegt die Arbeitslosigkeit bei dreieinhalb Millionen, ist um mehr als eine halbe Million gestiegen. Die Wirtschaft kommt erst langsam auf Wachstumskurs. Und auch wenn die Arbeitslosenzahlen endlich zurückgehen und einige Werften Milliardenaufträge verbuchen, ist es verfrüht Hosianna zu rufen und allen Ortens zu verkünden: La France va mieux. Frankreich geht es besser! Genau das tut Präsident Hollande, der verzweifelt um seine Wiederwahl kämpft, ohne dies öffentlich zuzugeben. Damit die Operation Kandidatur für die eigene Nachfolge auch gelingt, werden per Gießkanne Segnungen an verschiedene Interessensgruppen verteilt. Nur das Gesetz El Khomri, die Arbeitsrechtsreform, will er nicht zurücknehmen. Weshalb?

Hollande spielt va banque

Nach der gescheiterten Verfassungsreform zur Aberkennung der Staatsbürgerschaft bei Terroristen ist es das einzige nennenswerte Vorhaben, das womöglich bleibt. Es ist der Strohhalm der letzten Hoffnung für Präsident Hollande. Seine Glaubwürdigkeit und Reformfähigkeit stehen auf dem Spiel. Deshalb will er hart bleiben und das Gesetz durchboxen. Um jeden Preis? Das bleibt abzuwarten. Der Präsident und sein Premierminister Manuel Valls stehen mit dem Rücken zur Wand und spielen va banque. Sie verfügen über keine eigene Mehrheit im Parlament für diese Reformmaßnahme. Sechs von zehn Franzosen lehnen das Gesetz ab.
Dabei ist die Arbeitsrechtsreform schon ein zahnloser Tiger geworden: Die Arbeitgeber halten sie nach unzähligen Zugeständnissen an die Gewerkschaften für wenig erfolgversprechend. Worum geht es? Um Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt. Die Sozialpartner sollen auf betriebsebene Arbeitszeiten, Überstundenzuschläge und Ähnliches regeln können – unabhängig vom Mantel- oder Branchentarifvertrag. Und damit sind wir beim Knackpunkt. Diese Umkehrung der Hierarchie stellt die Dominanz der Gewerkschaftszentralen infrage. Die mitgliederstärkste Gewerkschaft im Land CFDT stört das nicht: Im Gegensatz zur radikalen CGT und auch zu Force ouvrière befindet sie sich jedoch im Aufwind, erkennt Chancen in der Flexibilität.

CGT organisiert nicht einmal drei Prozent

Die CGT indes verliert seit Jahren an Mitgliedern und Einfluss. Sie organisiert nicht einmal drei Prozent der Beschäftigten, aber diejenigen an den Schaltstellen: in den Raffinerien und Kernkraftwerken, die Lokführer, Metro- und Busfahrer. Damit gelingt es der CGT immer wieder, die Wirtschaft des Landes ins Mark zu treffen. Der nicht unumstrittene Gewerkschaftsboss Philippe Martinez setzt auf Radikalisierung: Der Mann mit dem schwarzen Schnauzer stilisiert sich zum Führer einer außerparlamentarischen Opposition hoch. Auch er spielt va banque – alles oder nichts.
Die Zeichen stehen also auf Konfrontation, es wird kaum gelingen den Ball zur Europameisterschaft flach zu halten, es sei denn: Ja es sei denn, Präsident Hollande sieht ein, dass diese Reform nicht der große Wurf ist, mit dem längst überfällige und dringend nötige Reformen eingeleitet werden, und zieht sie zurück. Das hieße freilich der Traum von der ohnehin extrem unwahrscheinlichen Wiederwahl wäre ausgeträumt.
Die Fußballeuropameisterschaft indes könnte reibungslos über die Bühne gehen. Ein hoffentlich wirklich reformwilliger Nachfolger im Präsidentenamt hätte künftig allerdings noch mehr Ärger: Denn wieder einmal hätte sich bestätigt, dass man alles erreicht, wenn man nur hart genug blockiert und protestiert. Es lebe Frankreich und seine Streikkultur.
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