Streit an der Ostsee

Hungrige Robben verärgern Fischer

13:58 Minuten
Mehrere Robben liegen im flachen Wasser der Ostsee in der Wismarbucht.
Kegelrobben gelten als streng geschütztes Wildtier. Ihr Bestand war Ende der 80er-Jahre stark reduziert. Das ändert sich inzwischen. © Deutschlandradio / Silke Hasselmann
Von Silke Hasselmann |
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Seit einigen Jahren sind in der Wismarbucht wieder Kegelrobben heimisch. Doch was Tierschützer freut, bringt auch auch Probleme mit sich. So kommen Touristen den Tieren viel zu nah. Und einige Fischer sind wütend, weil ihre Netze von den Tieren beschädigt werden.
Der Meeresschutzreferent des BUND, Matthias Goerres, begrüßt rund 20 Männer und Frauen zumeist mittleren Alters, die den Weg nach Hoben bei Wismar gefunden haben: "Kommt ruhig alle näher ran! Erst mal willkommen in der Robbenschutz-Schulung in der Wismarbucht in Wismar!"
Dann fährt der BUND-Mann fort: "Wir haben eine Ausrüstung beispielhaft mitgebracht. Die wird bislang mehr im Projektgebiet von 'Schatz an der Küste' von Rostock bis nach Rügen eingesetzt. Wir wollen es jetzt auch an die anderen Ecken von Mecklenburg-Vorpommern bringen und ausweiten. Und da war auch schon eine rege Nachfrage. Weil es hier schon eine Population vor Ort gibt, ist das auch der sinnvollste Weg, das hier einzusetzen."

Lehrgang für angehende Robbenschützer

Auch Gudrun Wilke, die seit eineinhalb Jahren in Wismar lebt, folgte dem Aufruf des Bundes für Umwelt und Naturschutz, Robbenschützer zu werden. "Ich komme aus Regensburg. Da war ich auch im Tierschutz tätig. Robben gibt es bei uns unten in Regensburg nicht. Aber hier oben habe ich einfach nach einer neue Betätigung gesucht. Wenn man die Kegelrobben sieht, wird einem schon warm ums Herz", erklärt Wilke. "Aber ich habe mich eben auch belesen und weiß, dass die Kegelrobbe erst seit 2005 wieder hier ist. Das erste Junge war 2015. Jetzt habe ich im Fernsehen gesehen, dass es tote Robbenbabys an der Küste gab und die Mutter die Tiere verlassen hat. Man vermutet, dass es Stress gewesen ist. Die Tiere waren laut der Obduktion gesund. Dann habe ich mir gedacht: Das wär es eigentlich; vielleicht kann ich da mitmachen."

Sandbänke als Sammelplätze

Ab zum kleinen Strandabschnitt von Hoben. Rechterhand: Wismar. Schräg geradeaus: die Insel Poel. Linkerhand: eine Landzunge namens Fliemstorf Huk. Von Robben nichts zu sehen. Doch Sönke Reimann vom BUND Wismar erklärt den Ortsunkundigen: "Oft liegen welche hinter dem Fliemstorfer Haken, also dort, wo wir jetzt drauf gucken."
Denn dort finden Robben, was sie suchen, wenn sie rasten wollen: Flaches Küstengewässer, möglichst Sandbänke. Der größte Sammelplatz im Gebiet der Wismarbucht: Lieps.
"Das ist eine Sandbank in der Bucht, die auch geschützt ist, wo man theoretisch als Mensch nicht rüber laufen sollte, damit die Seehunde und Robben dort Ruhe finden."
Die Kursteilnehmer erfahren, dass das Deutsche Meeresmuseum Stralsund eine Webkamera auf der Sandbank Lieps installieren will, um die wanderfreudigen Robben mit den kegelförmigen Reißzähnen endlich genau beobachten und vor allem zählen zu können. Mindestens 30 sollen es sein. Aber sicher ist man sich nicht.

Zäune zum Schutz von Robben und Menschen

Schon deutlich besser untersucht ist die Robbenpopulation im Greifswalder Bodden der Pommernbucht. Dort wurden voriges Jahr zu Spitzenzeiten bis zu 300 Robben gleichzeitig gesichtet und in diesem Jahr zwischen 150 und 170.
"Was wir hier auf jeden Fall haben, sind diese gelben Stangen, die dann die Umzäunung darstellen sollen", ruft Matthias Goerres der Truppe zu und packt eine Kiste aus.
Ein Hinweischild hängt an einem Ostseestand. Daruf steht "Rastende Robben. 100 Meter Abstand."
Nicht zum Streicheln: Hinweisschild für den Robbenschutz an der Ostsee. © Deutschlandradio / Silke Hasselmann
Zunächst streift er sich eine giftgrüne Signalweste über. Das sollten die freiwilligen Robbenschützer bei ihren künftigen Einsätzen auch tun, sagt er, um von den Strandbesuchern erkannt zu werden, sobald sie die dünnen Stangen in den Boden stecken, mit gelbem Absperrband verbinden und orangefarbene Warnschilder mit dem Hinweis anbringen: "Rastende Robben – 100 Meter Abstand!". Übrigens: Das mit dem Abstandhalten sei die wichtigste Botschaft:
"Weil die Tiere auch bissig sein können, teilweise Krankheiten übertragen können und nun mal Wildtiere sind – die größten Raubtiere, die wir hier haben, die bis zu drei Meter groß werden können und über 200 Kilogramm wiegen. Auf der anderen Seite kommen diese Tiere nicht ohne Grund an den Strand. Sie wollen hier ein bisschen Ruhe finden. Und wenn dann – das habe ich selbst erleben dürfen – der Tourist in zwei Meter sitzt oder in fünf Metern Entfernung seine Selfies macht, dann schreckt das Tier immer auf und hat keine Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen, weil es so ständig in Alarmbereitschaft ist und immer denkt, es muss sich verteidigen oder wird halt irgendwie gestört."

Fischer unter Verdacht

Gefahr droht Kegelrobben freilich auch aus anderen Richtungen. Ende 2017 materialisierte sie sich. Damals wurden im Greifswalder Bodden gleich 23 tote Robben im Umkreis von fünf Kilometern gefunden. Biologen vom Deutschen Meeresmuseum in Stralsund untersuchten die Kadaver und kamen zu dem Schluss, dass die Tiere an Herz-Kreislauf-Stillstand gestorben waren. Sehr wahrscheinlich verursacht durch Ertrinken, was wiederum darauf hindeutete, dass sich die Tiere in einer Reuse verheddert hatten und es nicht mehr an die Wasseroberfläche zum Atemholen schafften.
Die Staatsanwaltschaft ermittelte letztlich gegen einen Fischer, dem die Reuse gehörte, stellte das Verfahren aber vorigen Sommer ein. Doch noch immer sehen sich die Küstenfischer dem Verdacht ausgesetzt, die lästigen Rückkehrer auf illegale Weise loswerden zu wollen. "Unsinn!" so dieser Fischer:
"Wie soll man verfahren, wenn jetzt wirklich tote Robben angespült werden? Wenn die vielleicht in einer Reuse reinschwimmen und dann darin ertrinken? Das mag vielleicht möglich sein. Aber in der Öffentlichkeit wird dann immer das Bild gezeichnet: Die Fischer töten Robben! Da wehren wir uns ganz massiv dagegen."

Robben zerstören Netze

Februar 2019. Uwe Krüger und Andreas Zirkler sind mit dem Kutter "AHL-6" unterwegs im Greifswalder Bodden zwischen Usedom und Rügen. Sie sind auf Hering aus, der in dieser Zeit auf Durchzug ist. Damit wollen sie Krügers Restaurant "Fischhütte" in Ahlbeck beliefern. Am Vortag haben sie die Stellnetze eingebracht. Nun holen sie sie herein.
"Das passiert öfter", sagt Andreas Zirkler und weist auf das riesige Loch in einem der Netze. Für ihn ist der Verursacher klar: Kegelrobben.
"Die wollen sich den Fisch holen. Die haben so viel Kraft – dabei reißen sie es kaputt."
Der Fang ist mickrig. Viele Fische hängen angebissen in dem Maschen.
"Das ist natürlich nervig. Weil: Material kostet Geld. Du hast keinen Fisch."

Teure Netze und unrentable Reperaturen

Eine Bilanz, die die Fischer um Uwe Krüger in der Heringssaison nahezu täglich zu verzeichnen hatten, seit sich die Kegelrobben im Greifswalder Bodden, der Kinderstube des Hering, wieder heimisch fühlen. Mittlerweile haben sie die Nase voll und diese Ausfahrt nur noch einmal einem Fernsehteam zuliebe unternommen.
"23 Netze haben wir zu beklagen gehabt. Wir haben dann aber aufgehört, hier zu fischen, und sind dann ins Achterwasser gegangen. Wir konnten einfach nicht weiterfischen. Wir wären weit über hundert Netze losgeworden. Das sind unwahrscheinliche Löcher! Und wenn wir neue Netze anfertigen - wir kriegen nicht das Geld raus, was die gekostet haben, wenn wir damit fischen."
Wer keine 100 Euro für ein neues Netz berappen will, könnte das kaputte Netz flicken. Doch wenn Robben im Spiel sind, haben es die Fischer oft mit bis zu drei Meter großen Löchern zu tun. Die zu reparieren und die Netze neu zu stellen kostet so viel Zeit und handwerklichen Aufwand, dass er sich angesichts der gefräßigen Meeressäuger schlichtweg nicht lohne, sagt Uwe Krüger.

Küstenfischer werden in die Knie gezwungen

Der Usedomer Fischer Krüger sorgt sich um den Fortbestand seines Betriebes mit den 30 Angestellten. Denn auch die dritte Alternative, das Ausweichen ins Achterwasser, wo es keinen Hering, aber Zander, Hecht und Barsch gebe, gestaltet sich schwierig. Dort konkurrieren die Fischer nicht mit der Kegelrobbe, sondern mit einem fliegenden Fischfresser: dem Kormoran.
"Das Achterwasser, die Rückseite der Insel, ist eigentlich die Kinderstube vom Barsch, vom Zander, vom Plötz, vom Blei. Da kommen zum Beispiel in den Nepperminer See um die 3000, 4000 Kormorane rein und fressen in einem Tag alles komplett leer. Das geht aber Peenemünde, Freest da oben los und geht bis ins Stettiner Haff durch. Da machen uns die Kormorane nicht die Netze kaputt, aber die fressen die ganze Brut vom Barsch, Zander und so weiter. Man kann so nicht existieren. Wir wissen nicht, wie es weitergehen soll. Alle Kollegen sitzen zusammen und überlegen. Aber wir wissen uns keinen Rat mehr."
Diese Männer sind hart im Nehmen und neigen von Hause aus nicht zum Jammern und Klagen. Doch die teils extrem niedrigen EU-Fangquoten für Hering, Dorsch, Aal sowie immer neue bürokratische Erfordernisse haben schon viele deutsche Küstenfischer in die Knie gezwungen. Von einst 2.300 Kutter- und Küstenfischern in Mecklenburg-Vorpommern sind nur noch 228 aktiv.
Die Empfehlung des Internationalen Rates für Meeresforschung (ICES) an die Europäische Kommission, den Fang von Hering in der westlichen Ostsee und von Dorsch in der östlichen Ostsee vollends zu stoppen, ist der jüngste Schlag. Der nahezu absolute Artenschutz, wie er auch gegenüber wiederangesiedelten und sehr schnell wachsenden Populationen in Deutschland angewendet wird, mache ihnen zusätzlich zu schaffen, sagen die Fischer.

Robben müssen in Ruhe gelassen werden

Zurück in Hoben westlich von Wismar bei der Schulung freiwilliger Robbenschützer. BUND-Meeresschutzreferent Matthias Goerres erklärt den 20 Teilnehmern, wie sie eine Strandabsperrung hinbekommen, wenn eine rastende Robbe auf einer küstennahen Sandbank oder gar direkt am Strand entdeckt wird:
"Das Wichtigste ist, dass wir im Wasser damit anfangen, weil die Leute dazu neigen durchzuschlüpfen und der Robbe damit den Fluchtweg abzuschneiden. Das ist das Allerschlimmste und auch das Gefährlichste, weil die Robbe genau auf diesen Fluchtweg angewiesen ist und dann ehesten dazu neigt, gewalttätig zu werden, wenn man das irgendwie dramatisch ausdrücken will, bzw. versucht sich zu verteidigen."
Der BUND-Mitarbeiter Mathias Goerres erklärt einem Workshop-Teilnehmer den Bau einer Absperrung.
Tierschutz an der Ostsee: Der BUND-Mitarbeiter Mathias Goerres erklärt einem Workshop-Teilnehmer den Bau einer Absperrung.© Deutschlandradio / Silke Hasselmann
Von Susanna Knotz, die wie Matthias Goerres im BUND-Projekt "Schatz an der Küste" arbeitet, erfahren die künftigen Robbenschützer, dass es vor allem auf zwei Dinge ankomme. Erstens mit Blick auf das rastende Tier:
"Wir möchten vermeiden, dass es, ohne es wollen, ins Wasser geht. Es soll da liegen bleiben, wo es liegen möchte. Die Tiere brauchen Ruhe. Es sind schließlich keine Wale, die ständig im Wasser sind, und wir hatten schon den Fall, dass die Leute dachten, eine Robbe, die an Land liegt, liegt da nicht richtig und muss ins Wasser rein. Das ist nicht der Fall. Im Gegenteil."
Zweitens mit Blick auf den neugierigen Menschen:
"Man soll die Robbe auch erleben können. Also man soll die Menschen nicht komplett ausschließen, wenn das irgendwie nötig ist. Denn das verärgert die Leute eher und verführt sie womöglich dazu, den Zaun zu ignorieren. Also nach Möglichkeit lässt man immer einen Blick auf die Robbe zu."

Sowohl Fischer wie Robben schützen

Richtig so, findet die Neu-Wismaranerin Gudrun Wilke, die erst kürzlich die Kegelrobbe für sich entdeckt hat.
"Es ist einfach wunderbar, dass sie wieder da sind. Und deshalb sollte man sie auch schützen. Es kommen immer mehr Touristen hierher, das passt wieder nicht zusammen. Wir brauchen den Tourismus. Und so muss eben eine andere Idee her, die Tiere dann, wenn sie am Strand sind, zu schützen."
Gefragt nach den Sorgen der heimischen Kutter- und Küstenfischer, richtet Sönke Reimann von der BUND-Ortsgruppe Wismar einen nachdenklichen Blick auf die vor ihm liegende Ostsee und sagt dann:
"Die Fischer in der Wismarbucht – auch das ist eine zu schützende Art, denn sie sind am Aussterben. Genau wie Tiere, weil natürlich der Fischer sagt: Der Seehund oder die Robbe frisst mir meinen Fang weg! Wovon soll ich leben? Da müsste man natürlich mit einer vernünftigen Kartierung, wenn man Fakten hat und weiß, wie viel Zahlen hier überhaupt sind, auch über Ausgleichsmaßnahmen nachdenken. Ausgleichsmaßnahmen, um einfach wertvolle kulturprägende Berufe zu erhalten, die ja identitätsstiftend für die Heimat sind. Wie zum Beispiel ein Fischer. Wie zum Beispiel ein Schäfer, die ein ähnliches Problem haben. Nur nicht mit den Robben, sondern mit den Wölfen."

Gefährdetes Raubtier

In gewisser Weise sei die Kegelrobbe "der Wolf der Ostsee", sagen sogar manche der organisierten Naturschützer in Mecklenburg-Vorpommern. Beide sind Raubtiere, die einst in unseren Breiten heimisch waren und dann von den Menschen ausgerottet wurden. Beide wurden in unseren Wäldern bzw. vor der deutschen Ostseeküste vom Menschen wiederangesiedelt. Nun vermehren sie sich unter strengsten Artenschutzregeln prächtig.
Der Mensch müsse lernen, mit diesen Tieren zu koexistieren, was für die kommerzielle Fischerei unter anderem bedeute, die Fangmethoden so zu ändern, dass es keine Überfischung der Bestände mehr gibt. Nur dann bliebe genügend Fisch für Robben und Menschen, sagt man etwa beim BUND.
Der ist ansonsten wie die anderen großen Naturschutzverbände NABU und WWF dafür, die wirtschaftlichen Verluste zu sozialisieren. Indem die Küsten- und Kutterfischer für Robben- und Kormoranschäden aus dem EU-Meeres- und Fischereifonds entschädigt werden.

Keine Jagd auf Robben

Hingegen das Wachstum der Robbenpopulation vor der deutschen Ostseeküste zu managen, indem das zeitweise Vergrämen der Tiere aus dem Bereich von Heringsreusen erlaubt würde oder gar wie in Estland und Schweden das Bejagen – davon hält auch Sönke Reimann nichts.
"Klar: Wenn es hier eine Schwemme gäbe und Menschen, Spaziergänger, Kinder von hungrigen Robben angegriffen werden würden, dann muss man sich natürlich andere Maßnahmen überlegen. Aber das sind Phantastereien im Moment. Bislang sprechen wir nur von wenigen Tieren."
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