Streit in Moscheeverband

Ein Rücktritt als Weckruf

04:39 Minuten
Yilmaz Kilic, ehemaliger Vorsitzender der Islamischen Religionsgemeinschaft DITIB Niedersachsen und Bremen e.V.,
Yilmaz Kilic, ehemaliger Vorsitzender der Islamischen Religionsgemeinschaft DITIB Niedersachsen und Bremen e.V., © dpa / Picture Alliance / Julian Stratenschulte
Von Hilde Weeg |
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Yilmaz Kilic war lange Zeit Vorstand des Moscheenverbandes Ditib in Niedersachsen und Bremen. Er wollte Reformen anstoßen. Doch weil sich die Türkei in die inneren Angelegenheiten des Verbands einmischte, trat er zurück. Das hat weitreichende Folgen.
Kahler Kopf mit grauem Bart, offener freundlicher Blick und energischer Händedruck: Yilmaz Kilic ist klein, strahlt aber eine große Energie aus. Jemand, der zugleich diplomatisch und direkt sein kann. Man respektiert ihn, innerhalb seiner muslimischen Community, aber auch in den politischen Gremien.
Seine Stimme wurde auf beiden Seiten gehört. Bis es zum Eklat kam. Im November vergangenen Jahres trat er als Dititb-Vorsitzender vom Landesverband Niedersachsen und Bremen zurück – und mit ihm der gesamte Vorstand. Warum?
"Mein Ziel war immer eine selbstständige Organisation. Eine Organisation, die ihre Wurzeln hier in Deutschland hat. Wir wollen Religionsarbeit hier in Niedersachsen machen und nichts anderes. Ich habe das dann sieben Jahre lang gerne gemacht."

Einmischung aus Ankara

Schwierig wurde die Zusammenarbeit mit dem Religionsattaché, der vom türkischen Ministerium für Religiöse Angelegenheiten (Diyanet) entsandt wurde. Er mischte sich in die inneren Angelegenheiten des Verbands und der einzelnen Moscheegemeinden ein.
"Wir haben ganz andere Vorstellungen von Vereinsarbeit, das verstehen diese Religionsattachés nicht. Dann gab es hier intern große Diskussionen, weil wir der Hoffnung waren, wir könnten den Herrn überzeugen, dass er uns unterstützt, weil wir in Niedersachsen Vorreiter war - mit dem Islamunterricht, mit dem Islamischen Institut. Aber die türkischen Beamten – das sind ja die Attachés und Imame – haben versucht, Einfluss zu nehmen."
Kilic beschwerte sich, zunächst bei der Ditib-Zentrale in Köln, dann bei Diyanet in Ankara. Vergeblich. Der Wunsch nach mehr Unabhängigkeit und Eigenständigkeit für die muslimischen Gemeinden in Deutschland wurde abgelehnt.
"Als ich gesehen habe, es gibt da keine Rückendeckung für meine Ideen, sind wir dann komplett zurückgetreten. Kein einziger von meinem Vorstand sitzt im Moment im Vorstand."

Spannung in Verbänden

Den in der Türkei sozialisierten Attachés und Imamen fehle das Verständnis für die deutsche Gesellschaft.
"Mein Rücktritt, unser Rücktritt ist ein Weckruf auf die Seite der Ditib. Wachzurütteln und zu sage: Leute, so geht es nicht. Wir verlieren irgendwann auch Mitglieder, wir verlieren auch irgendwann Moscheen, höchstwahrscheinlich. Und wir verlieren auf jeden Fall die Jugendlichen. Und auf der deutschen Seite zu sagen: die Zusammenarbeit muss anders laufen. Nur erwarten und Sachen fordern, geht auch nicht."

Sein Rücktritt ist ein Zeichen für die Spannungen innerhalb der muslimischen Verbände, aber auch zwischen Muslimen und der deutschen Gesellschaft. Nach einer langen Phase der Annäherung würden nun die Gräben wieder vertieft. Das schmerzt einen wie ihn, denn seine eigene Geschichte ist die eines gelungenen Ankommens.
Mehrere Menschen blicken von einer Empore in die Zentralmoschee des muslimischen Verbandes Ditib in Köln-Ehrenfeld. Dort fand am 10. Oktober 2018 ein Tag der offenen Tür statt.
Offenheit nicht nur am Tag der offenen Tür: Im Moscheeverband Ditib wird über die Ausrichtung und die Einmischung aus der Türkei gestritten.© Imago / Guido Schiefer

Den Islam kennengelernt

"Mein Vater ist als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen, 1970, auch nach Melle. Und 1972 ist dann der Rest der Familie nachgekommen, drei Brüder, wir sind vier Geschwister."
Als er Ende der 70er-Jahre in Deutschland zur Schule ging, war er als Muslim noch ein Exot.
"Religion hat da keine Rolle gespielt. Keiner wusste, was ist der Islam und so weiter. In meinem ersten Zeugnis stand 'Mohammedaner'. Damit konnte ich nichts anfangen, mein Vater auch nicht. Aber wir wussten nachher, damit meinten die Deutschen den Islam. Aber die Deutschen kannten das ja auch nicht."

Engagement in Gemeinde

Kilic wurde technischer Zeichner, machte sich 2003 als Hersteller für Sportartikel selbstständig, baute ein Haus, zog mit seiner Frau drei Töchter groß. Schon als Jugendlicher engagierte er sich in der muslimischen Gemeinde. Damals praktizierten Muslime ihren Glauben unter sich, wurden öffentlich nur wenig wahrgenommen. Das hat sich mittlerweile geändert. Der Islam sei Teil der deutschen Gesellschaft geworden.
"Genau diese Erfahrung, die wir gemacht haben, sollen die neuen Gäste in Deutschland, die muslimischen Glaubens sind, bitte schön nicht machen. Denen müssen wir sagen: Jawohl, Deine Religion ist wichtig und wertvoll für uns. Wir sind bunt, es wird immer bunter. Und das, was dazu kommt, ist eine Bereicherung für uns: Religion, Kultur - alles was dazu gehört."
Kilic hat nur einen Pass: einen deutschen. Auch wenn es weiterhin viele Verbindungen in die Türkei gibt. Aber:
"Wir haben uns für Deutschland entschieden, deshalb interessiert mich das, was in Deutschland passiert, denn das kann ich ändern. Die Türkei verfolge ich gerne mit, aber ich bin da nicht politisch aktiv – ich kritisiere auch nicht die Türkei, das sollen die Türken in der Türkei machen."

Politische Folgen

In den Verbänden und Gemeinden und auf der politischen Ebene hat sein Rücktritt Folgen. Die Landesregierung ließ die Zusammenarbeit mit Ditib-Vertretern in den Ressorts und Gremien prüfen. Das Justizministerium beendete seine Zusammenarbeit mit den hauptamtlichen Imamen für die Gefängnisseelsorge.
Und im Januar wurde in Niedersachsen ein dritter Islamverband gegründet. Kilic wollte Zusammenhalt und am liebsten nur einen Verband. Sein Fazit jetzt:
"Für mich geht es nicht um Verbände, sondern um die Muslime in Niedersachsen. Die Zahl schwankt zwischen 250- und 300.000. Um die müssen wir uns kümmern, denen müssen wir sagen: Ihr seid Teil unserer Gesellschaft, wir wollen Euch anerkennen. Eure Religion ist für uns auch wertvoll, darum geht es."
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