Streit mit dem Erzeuger

Von Volker Trauth |
Bei "Fast Forward" stellten sich Absolventen führender Theaterhochschulen aus ganz Europa mit ihrer ersten Regiearbeit vor. Der Ertrag war durchwachsen, aber den einen oder anderen Meister von morgen gab es in Braunschweig doch zu entdecken.
Dieses Festival stellt junge Regisseure im Alter zwischen 24 und 36 Jahren vor. Einige von ihnen zeigen ihre Diplominszenierung, die sie an führenden europäischen Ausbildungsstätten für Regie vorgelegt haben - wie dem "Gitis" in Moskau, dem Mozarteum in Salzburg oder den Theaterakademien in Hamburg, Amsterdam und Oslo. Bei der Auswahl der Beiträge wurde nicht nach den Moden und Trends gesucht, sondern vielmehr nach dem Besonderen im Gefüge des Ganzen, nach dem Unverwechselbaren, das aus den jeweiligen Theatertraditionen und den individuellen Handschriften gespeist ist.

Was die als Vorlage dienenden Textsorten betrifft, so gab es nur zwei Theaterstücke: Crimps "Angriffe auf Anne" und Fassbinders "Bremer Freiheit". Einige Texte waren szenische Adaptionen epischer Literatur wie die des Puschkinschen Postmeisters von der berühmten Gitis aus Moskau, Bruchstücke aus Camus' bedeutenden Roman "Der Fremde" unter dem Titel "Die Sonne, der Tod und das Meer" von der Theaterakademie Hamburg oder szenische Phantasien zu Goethes "Werther". Besonderes Interesse fanden selbst geschriebene dramatische Vorlagen wie die Produktion "Eileen Shakespeare", eine szenische Versuchsanordnung, die von der Frage ausgeht: was wäre geworden, wenn Shakespeare eine Frau, nämlich seine eigene Schwester Eileen gewesen wäre.

Einen Generationen übergreifenden Stoff wählt der israelisch-niederländische Regisseur Ilay de Boer, dessen Hauptfigur in der Produktion "Dit is mijn Vader" mit seinem leiblichen Erzeuger in Streit gerät über die jüdische Geschichte. Sucht man nach dem Generalthema, so fällt die Rekonstruktion des schwer begreifbaren Vergangenen ins Auge. In "Angriffe auf Anne" nähern sich sieben ehemalige Freunde und Bekannte dem Widersprüchlichen im Leben des Mädchens Anne, und in der Adaption des "Fremden" von Camus rekapituliert ein Mann vor seinem Prozess sein schuldhaftes Leben und bekommt es nicht mehr auf die Reihe.

Der künstlerische Ertrag ist durchwachsen. Neben einigen wenigen wirklichen herausragenden Talentbeweisen gab es viel Unausgeformtes. Fast durchgängig fiel auf, dass es den jungen Regisseuren noch am Gespür dafür fehlt, wann sich ein Einfall erschöpft, eine inszenatorische Technik leerspielt. Oft hat es den Anschein, dass Techniken nicht in erster Linie dazu dienen, sich emotional und gedanklich einem Text anzunähern, ihn einem breiten Publikum begreifbar zu machen, sondern das bereits erlernte Handwerkszeug zu zeigen.

Für mich die überragende Inszenierung war die von Fassbinders Stück "Bremer Freiheit" von der französischen "Compagnie Dinopera". Der 27-jährige Regisseur Mathias Moritz – ein Autodidakt – hat eine formstrenge und bildmächtige szenische Umsetzung dieses Stücks um die Giftmischerin Gesche aus dem Jahre 1814 geschaffen. Die von Fassbinder wortreich beschriebenen Vorgänge werden in gleichsam eingefrorene Momentaufnahmen, in Skulpturen von Hass, Schmerz und Verzweiflung umgewandelt. Der Ehemann Miltenberg schreit Befehlsfetzen ins Dunkle, und wie eine Marionette trippelt die Ehefrau Gesche zum Vollzug des Befehls heraus. Wie eine Armada männlicher Anmaßung kreisen die Männer, frauenfeindliche Äußerungen auf den Lippen, die gepeinigte Gesche ein. Diese Getretene wird später nur noch im Giftmord ihren Ausweg finden können. Hervorragend Celine Bertin in der Rolle der Giftmischerin. Sie schafft berührende Ausdrucksstudien von Leid und Empörung – und in wenigen Momenten auch von plötzlich aufflammender Lebensfreude und Sinnlichkeit. Hie wächst tatsächlich ein kommender Meister heran.

Informationen zum Festival "Fast Forward" in Braunschweig