Streit über ein dokumentarisches Bühnenstück
Die Ereignisse der Nachwendezeit und den Umgang mit dem Erbe der DDR hat Rolf Hochhuth in dem Theaterstück "Wessis in Weimar – Szenen aus einem besetzten Land" dokumentiert. Damit löste er einen politischen Skandal aus und zerstritt sich mit seinem visionären Regisseur.
Ein merkwürdiges Bild. Im Foyer des Berliner Ensembles wandert ein älterer Herr mit weißem Hemd, Krawatte und dunklem Anzug zwischen den Zuschauern umher und verteilt ein schwarz eingebundenes Buch. Es ist der Autor Rolf Hochhuth, der zunächst erwogen hatte, die Uraufführung seines Stücks "Wessis in Weimar – Szenen aus einem besetzten Land" am 10. Februar 1993 unter der Regie von Einar Schleef zu untersagen. Er stimmte ihr nur unter der Bedingung zu, dass sein Text unter dem Publikum verteilt werde. Einar Schleef habe das Drama "total entpolitisiert" sagte Rolf Hochhuth.
"Ich habe ein Stück geschrieben, das Täter und Opfer in Deutschland zeigt. Einar Schleef hat ‚Wessis in Weimar‘ zertrümmert und verfälscht."
Bereits seit Monaten war der Streit in vollem Gange: In einem gewaltigen, teilweise vorab bekannt gewordenen Textkonvolut hatte der Autor die Enteignung der DDR-Bevölkerung durch westliche Geschäftsleute beschrieben und dabei die Treuhandanstalt zum zentralen Akteur gemacht. Und er hatte deren von der RAF ermordeten Präsidenten Rohwedder angegriffen und das Attentat seiner Arbeit dort zugeschrieben, was Hochhuth eine erboste Reaktion von Toppolitikern und den Tadel von Kanzler Helmut Kohl eingetragen hatte. Auch der Kritiker Gerhard Stadelmeier sprach in der "FAZ" Monate vor der Uraufführung von "Hochhuths Terrortheater" und schrieb über das Stück der Stunde:
"Es thematisiert nicht, es repräsentiert den aktuellen hysterischen Nationalstammtisch, an dem nicht mehr argumentiert, nur noch emotional zwischen Ossis und Wessis herumgezündelt wird, bis zur Gewalt."
Und doch: Der Autor hatte es gewagt, die große Systemfrage noch einmal zu stellen, und die Frage nach dem Umgang der Treuhand mit dem Volksvermögen der untergegangenen DDR. Später zog Hochhuth in einer öffentlichen Diskussion einen historischen Vergleich:
"Wir Wessis haben uns benommen gegenüber den Ossis, wie die Amerikaner sich benommen hätten, wenn sie ihren Viereinhalb-Milliarden-Marshallplan nicht uns geschlagener, uns Kriegsverbrechernation gegeben hätten, sondern ihren eigenen Geschäftsleuten und hätten gesagt: Nun fliegt mit dem Geld nach Frankfurt und kauft euch Siemens und Krupp und die Hotelkonzerne und die Süddeutschen Rittergüter. Das haben wir Wessis mit den Ossis gemacht."
Statt zu versuchen, die endlose, krude und hölzerne Szenenfolge des Autors auf die Bühne zu bringen, eine undramatische, mit Zeitungsartikeln und theoretischen Essays gespickte Materialsammlung, schuf Einar Schleef mächtige martialische Bilder: junge Männer zum Beispiel, nackt in langen Armeemänteln, die Äxte schwingend auf die Vorderbühne zumarschieren, ein Ritual, bis zur Schmerzgrenze wiederholt.
Im deutsch-deutschen Bruderkampf bemühte der Autor Sozialgeschichte, der Regisseur Mythengeschichte. Ein erster Entwurf des Stückes hatte Einar Schleef allerdings tief beeindruckt.
"Herr Hochhuth hat mir am Anfang ein Exemplar des Textes ausgehändigt und ich muss sagen, dass dieser Entwurf … traumhaft ist und dass dieses Buch, das er dann verteilt als seinen jetzigen Text, … einen vollkommen veränderten Text darstellt. Hier hat ein Autor also a) Fahnenflucht von seinen Interpreten begangen wie auch seinen Text verraten."
Viele Kritiker gaben dem sprachbehinderten Regisseur recht. So lobte Matthias Pees in der "Berliner Zeitung" die Aufführung.
"Der Autor Schleef hat den Autor Hochhuth gerettet: Vor allem weil der Mineraloge im Weimarer Steinbruch nicht etwa ‚total verfälschend‘ oder ‚zertrümmernd‘ vorgegangen ist, sondern den Text behauen, in Form gebracht hat."
Über eine wenig später in Hamburg erfolgte werktreue Inszenierung senkten sich die Daumen der Kritiker. Der Erfolg hat Einar Schleef am Berliner Ensemble wenig genutzt. Das mehrköpfige Direktorium von Theaterleuten aus Ost und West, die doch eigentlich an Brechts einstigem Theater künstlerisch das vorwegnehmen sollten, was Willy Brandt das Zusammenwachsen dessen, was zusammengehört genannt hatte, zerstritt sich über das Wendestück und seinen visionären Regisseur. Protagonisten des Streites waren vor allem Heiner Müller und Peter Zadek, der Schleef eine faschistoide Ästhetik vorwarf. Seine Auffassung teilten auch etliche Feuilletonisten. Rolf Hochhuths Schauspiel "Wessis in Weimar" machte so nicht nur inhaltlich, sondern auch mit der Geschichte seiner merkwürdigen Uraufführung eine Wunde kenntlich, die lange nicht verheilen sollte.
"Ich habe ein Stück geschrieben, das Täter und Opfer in Deutschland zeigt. Einar Schleef hat ‚Wessis in Weimar‘ zertrümmert und verfälscht."
Bereits seit Monaten war der Streit in vollem Gange: In einem gewaltigen, teilweise vorab bekannt gewordenen Textkonvolut hatte der Autor die Enteignung der DDR-Bevölkerung durch westliche Geschäftsleute beschrieben und dabei die Treuhandanstalt zum zentralen Akteur gemacht. Und er hatte deren von der RAF ermordeten Präsidenten Rohwedder angegriffen und das Attentat seiner Arbeit dort zugeschrieben, was Hochhuth eine erboste Reaktion von Toppolitikern und den Tadel von Kanzler Helmut Kohl eingetragen hatte. Auch der Kritiker Gerhard Stadelmeier sprach in der "FAZ" Monate vor der Uraufführung von "Hochhuths Terrortheater" und schrieb über das Stück der Stunde:
"Es thematisiert nicht, es repräsentiert den aktuellen hysterischen Nationalstammtisch, an dem nicht mehr argumentiert, nur noch emotional zwischen Ossis und Wessis herumgezündelt wird, bis zur Gewalt."
Und doch: Der Autor hatte es gewagt, die große Systemfrage noch einmal zu stellen, und die Frage nach dem Umgang der Treuhand mit dem Volksvermögen der untergegangenen DDR. Später zog Hochhuth in einer öffentlichen Diskussion einen historischen Vergleich:
"Wir Wessis haben uns benommen gegenüber den Ossis, wie die Amerikaner sich benommen hätten, wenn sie ihren Viereinhalb-Milliarden-Marshallplan nicht uns geschlagener, uns Kriegsverbrechernation gegeben hätten, sondern ihren eigenen Geschäftsleuten und hätten gesagt: Nun fliegt mit dem Geld nach Frankfurt und kauft euch Siemens und Krupp und die Hotelkonzerne und die Süddeutschen Rittergüter. Das haben wir Wessis mit den Ossis gemacht."
Statt zu versuchen, die endlose, krude und hölzerne Szenenfolge des Autors auf die Bühne zu bringen, eine undramatische, mit Zeitungsartikeln und theoretischen Essays gespickte Materialsammlung, schuf Einar Schleef mächtige martialische Bilder: junge Männer zum Beispiel, nackt in langen Armeemänteln, die Äxte schwingend auf die Vorderbühne zumarschieren, ein Ritual, bis zur Schmerzgrenze wiederholt.
Im deutsch-deutschen Bruderkampf bemühte der Autor Sozialgeschichte, der Regisseur Mythengeschichte. Ein erster Entwurf des Stückes hatte Einar Schleef allerdings tief beeindruckt.
"Herr Hochhuth hat mir am Anfang ein Exemplar des Textes ausgehändigt und ich muss sagen, dass dieser Entwurf … traumhaft ist und dass dieses Buch, das er dann verteilt als seinen jetzigen Text, … einen vollkommen veränderten Text darstellt. Hier hat ein Autor also a) Fahnenflucht von seinen Interpreten begangen wie auch seinen Text verraten."
Viele Kritiker gaben dem sprachbehinderten Regisseur recht. So lobte Matthias Pees in der "Berliner Zeitung" die Aufführung.
"Der Autor Schleef hat den Autor Hochhuth gerettet: Vor allem weil der Mineraloge im Weimarer Steinbruch nicht etwa ‚total verfälschend‘ oder ‚zertrümmernd‘ vorgegangen ist, sondern den Text behauen, in Form gebracht hat."
Über eine wenig später in Hamburg erfolgte werktreue Inszenierung senkten sich die Daumen der Kritiker. Der Erfolg hat Einar Schleef am Berliner Ensemble wenig genutzt. Das mehrköpfige Direktorium von Theaterleuten aus Ost und West, die doch eigentlich an Brechts einstigem Theater künstlerisch das vorwegnehmen sollten, was Willy Brandt das Zusammenwachsen dessen, was zusammengehört genannt hatte, zerstritt sich über das Wendestück und seinen visionären Regisseur. Protagonisten des Streites waren vor allem Heiner Müller und Peter Zadek, der Schleef eine faschistoide Ästhetik vorwarf. Seine Auffassung teilten auch etliche Feuilletonisten. Rolf Hochhuths Schauspiel "Wessis in Weimar" machte so nicht nur inhaltlich, sondern auch mit der Geschichte seiner merkwürdigen Uraufführung eine Wunde kenntlich, die lange nicht verheilen sollte.