Streit um betäubungslose Ferkelkastration

Wider den Tierschutz?

Schweinezuchtbetrieb in Nordwestmecklenburg - wenige Tage alten Ferkel liegen am 21.08.2014 in einer Box in den Abferkelställen der Tierzucht Gut Losten.
Streit ums Schwein: Um Ebergeruch zu vermeiden, werden Ferkel nach bisherigem Verfahren kastriert. Mit dem Tierschutzgedanken ist diese Vorgehensweise jedoch schwer vereinbar. © dpa / picture-alliance / Jens Büttner
Von Alexander Budde |
Eigentlich ist die betäubungslose Ferkelkastration seit fünf Jahren verboten, wird aber während einer Übergangsfrist noch geduldet. Diese läuft jetzt aus. Wie es danach weitergehen soll, darüber sind sich Branche, Tierschutz und Politik nicht einig.
Henning Schulte-Uffelage ist Sauenhalter und Mäster im niedersächsischen Hilter. In seinem Betrieb, südlich von Osnabrück am Teutoburger Wald gelegen, beschäftigt er fünf Mitarbeiter, die 600 Muttersauen und 20.000 Ferkel versorgen:
"Hier sind wir im Abferkelabteil, wo in den letzten beiden Tagen die Muttersauen die kleinen Ferkel gekriegt haben, die hier unten unter der Rotlichtlampe liegen. Das ist so im Grunde genommen der erste Schritt ins Leben für die kleinen Ferkel."

Ohne Kastration entwickeln die Tiere Ebergeruch

Auch der Senior, die Frau und die drei Kinder packen mit an – und das ist durchaus wörtlich gemeint: Schulte-Uffelage greift sich eines der rosig-zarten Ferkel und hält es mit seiner linken Hand an den Hinterbeinen hoch. Sofort quiekt das Tier los. In der Alltagsroutine käme jetzt das Skalpell in seiner Rechten mit schnellen Schnitten zum Einsatz:
"Wenn ich das jetzt auch noch kastrieren wollte, dann nehme ich es so… Dann geht das mit dem Gequieke schon los. Und das Kastrieren selber ist gar nicht viel lauter."
Die schmerzhafte Prozedur erleiden alljährlich Millionen männliche Ferkel in Deutschland. Wenige Tage nach ihrer Geburt werden ihnen die Hoden bei vollem Bewusstsein herausgeschnitten. "Die Kastration ist notwendig, weil die Tiere ab einem gewissen Alter – da setzt die Geschlechtsreife ein – einen Ebergeruch entwickeln", erklärt Henning Schulte-Uffelage. "Wenn man das in der Pfanne hat, kann der einem das Fleischessen schon irgendwie vermiesen."

Bauernverband klagt über einseitige Tierschutzauflagen

Verboten ist das eigentlich schon seit der Änderung des Tierschutzgesetzes 2013 – doch der Gesetzgeber duldete diese tierschutz-widrige Praxis während einer fünfjährigen Übergangsphase. Bis Ende dieses Jahres sollten alle Beteiligten nach praxistauglichen Alternativen suchen.
Passiert ist denkbar wenig. Stattdessen klagte der Bauernverband über Wettbewerbsverzerrung durch angeblich einseitige Tierschutzauflagen in Deutschland. Dafür brachte zuletzt sogar Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) nur noch wenig Verständnis auf: Die Schweinezüchter hätten das Thema schleifen lassen. Sauenhalter Schulte-Uffelage wehrt sich gegen solche Vorwürfe mit Nachdruck:
"Am Ende gibt es einen Stichtag und das ist irgendwie ganz menschlich, dass es immer irgendwie nach hinten geschoben wird. Aber wir als Betrieb, wir haben viele Sachen ausprobiert."

Kleinere Betriebe greifen zur Vollnarkose

Bei der Ebermast zum Beispiel wird auf die Kastration der männlichen Ferkel gänzlich verzichtet. Im Schlachthof sortieren speziell geschulte Mitarbeiter die geruchsauffälligen Tiere aus. Klingt machbar, doch die anfängliche Euphorie, mit der sich Schulte-Uffelage in das Projekt Ebermast gestürzt hatte, ist deutlich abgekühlt: "Der Endverbraucher, die Verarbeitung, die Gastronomie wollen dieses Eberfleisch nicht haben."
Zwei Hände halten ein Ferkel zur Kastration in eine Narkoseanlage in seinem Zuchtbetrieb.
Kleine Betriebe greifen bei der Ferkelkastration auf die Betäubung mit Isofluran zurück.© dpa
In kleineren Tierbeständen lassen sich beim Ferkel die Schmerzen der Kastration per Vollnarkose zuverlässig ausschalten. Dabei setzt der Veterinär das Narkosegas Isofluran ein. Für Schulte-Uffelage ist das bei seiner Betriebsgröße keine Option, weil bei 1.000 Ferkelgeburten pro Woche schlicht nicht genügend Tierärzte zur Verfügung stehen, die aber laut Gesetz dabei sein müssen.

Früher gab es den Beruf des "Schweineschneiders"

Am liebsten würden die Sauenhalter auf die lokale Betäubung der Ferkel per Spritze zurückgreifen. Dieser so genannte "Vierte Weg" ist in Dänemark bereits üblich. Nach kurzer Ausbildung injizieren dabei die Tierhalter selbst die Narkose- und Schmerzmittel:
"Narkosemittel dürfen nicht aus Tierärzte-Hand gegeben werden. Das sehen wir bei Isofluran ein, aber bei einer Lokalanästhesie, das kann normalerweise aus der Hand gegeben werden."
Die Kastration männlicher Ferkel – das ist keine Erfindung der modernen Massentierhaltung, sondern eine jahrhundertealte Tradition, erläutert Thomas Blaha, ehemaliger Professor an der Tierärztlichen Hochschule in Hannover und Vorsitzender der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz: "Es gab sogar bis vor so etwa 100 Jahren einen Beruf, der hieß Schweineschneider!"

Tierschützer fordern ein Ende der Ferkelkastration

Dabei heißt es in Artikel 1 des deutschen Tierschutzgesetzes: "Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen." Man darf also ein Schwein zum Beispiel töten, um es zu essen. Das gilt in unserer Gesellschaft als vernünftiger Grund.
Um zu verhindern, dass sich unter den geschlachteten Schweinen auch die sogenannten "Stinker" befinden, werden einfach alle männlichen Ferkel kastriert, denn, wie Thomas Blaha ausführt, "den lebenden Tieren sieht man das nicht an, welcher nun riecht und welcher nicht. Man würde doch ganz viele männliche Tiere schlachten, feststellen, das riecht nicht gut, und würde sie verwerfen müssen – weil das keiner essen will."
Und das wäre dann definitiv ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz. Deshalb müsse jetzt endgültig Schluss sein mit der Ferkelkastration, fordert Blaha.

Alternative Methoden stoßen auf Skepsis

Eine Alternative wäre zum Beispiel die Impfung gegen Ebergeruch. Experten des bundeseigenen Friedrich-Löffler-Instituts für Tiergesundheit werten die sogenannte Immunokastration als "tierschutzfachlich besten Weg". Dagegen hatten aber vor allem der Bauernverband und die Fleischverarbeitende Industrie in den vergangenen Jahren immer wieder Vorbehalte – unter anderem aus Sorge, dass die Verbraucher das als "Hormonfleisch" titulierte Produkt ablehnen könnten. Eine schlicht falsche Argumentation, betont Thomas Blaha:
"Da ist leider am Anfang von Hormonen gesprochen worden - das stimmt alles nicht. Das ist eine richtige Impfung wie gegen die Grippe. Man gibt einen Stoff in die Blutbahn, der das körpereigene Hormon, das diesen Geschlechtsgeruch auslöst, unterdrückt."
Vier bis fünf Euro kostet das pro Schwein. Für die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (kurz ISN) sind das allerdings unzumutbare Mehrkosten.

Seit 2013 viel Zeit vertrödelt

Unterdessen ist weiter unklar, was bei einer erneuten Verlängerung der Schonfrist geschehen soll, um das eigentlich ja schon seit 2013 geltende Verbot dann auch wirklich umzusetzen. Bisher sei viel Zeit vertrödelt worden, moniert Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast. Einerseits spricht sich Otte-Kinast dafür aus, die Vermarktung von Eberfleisch voranzubringen:
"Der Verbraucher muss aufgeklärt werden und ist dann auch in die Pflicht genommen, für dieses Fleisch was unter anderen Tierschutzbedingungen eben produziert wird, dann letztlich an der Kasse mehr auszugeben."
Andererseits fordert die Ministerin vom Bund, ein Arzneimittel für die lokale Betäubung von Schweinen zuzulassen, um den so genannten Vierten Weg zu ermöglichen. Das dürfte Zeit brauchen, denn dafür müsste mit dem Tierschutzgesetz gleich auch noch das Arzneimittelrecht geändert werden.

Fristverlängerung wäre "fatales Signal"

Schon jetzt zeichnen sich allerdings massive Konflikte mit der organisierten Ärzteschaft und Tierschutzorganisationen ab, weil die Landwirte das Betäubungsmittel spritzen müssten. Angela Dinter spricht für PROVIEH. Der Kieler Verein ist nach eigenen Angaben der älteste und größte Fachverband für tierschutzgerechte Nutztierhaltung in Deutschland.
"Dieser Eingriff ist sehr schwierig und die Injektion selbst ist so schmerzhaft wie eine betäubungslose Kastration. Deswegen ist das aus Tierschutzsicht die allerschlechteste Lösung."
Die gesamte Debatte über angebliches Hormonfleisch, über die Kosten, die angeblich eine ganze Branche an den Rand des Ruins bringen würden, über das Versagen der Politik, die angeblich keine vernünftigen Rahmenbedingungen schaffe: all das nerve sie gewaltig, sagt Miriam Staudte. Sie ist agrarpolitische Sprecherin der Grünen Landtagsfraktion in Niedersachsen.
"Jetzt noch einmal eine Fristverlängerung – das wäre wirklich ein ganz fatales Signal, dass man eben Tierschutz aussitzen kann. Die Branche hatte um diese lange Übergangszeit gebeten – sie ist dann nicht tätig geworden. Aus meiner Sicht ist es wirklich ein Branchenversagen und eben kein Politikversagen."

Es fehlt an aussagekräftigen Kennzeichnungen

Wegen der unübersichtlichen Vielfalt wenig aussagekräftiger Tierwohl-Label könnten sich Kunden nicht bewusst für ein bestimmtes Produkt entscheiden, klagt Staudte - zum Beispiel für Fleisch von Schweinen aus einer tierschutzgerechten Haltung, die auf die Ferkelkastration verzichtet.
Der Verbraucher könne zwar generell zwischen Fleisch aus Bio- und konventioneller Produktion unterscheiden, er habe aber, so Miriam Staudte, "bei konventionellen Produkten keine aussagekräftige Kennzeichnung, ob ein Tier besser gehalten worden ist, als die Gesetze es vorschreiben. Und das fordern wir seit langem: ein einheitliches staatliches Kennzeichen! Aber bislang ist das systematisch unterlaufen worden."

Tierwohl als Kriterium beim Einkauf

Wochenmarkt auf dem Stephansplatz in der Südstadt von Hannover. Ebergeruch beim Schweinefleisch ist bei den Kunden hier kein Thema, aber das mit der betäubungslosen Kastration der männlichen Ferkel – das geht gar nicht: Für "Tierquälerei" hält dies eine Frau: "Das muss betäubt werden, das arme Tierchen." Und es bleibt nicht bei der Kritik der älteren Dame an der Ferkelkastration – schnell geht es um grundsätzliche Fragen der Tierhaltung:
"Die Massentierhaltung, das regt mich langsam auf. Ich esse nur noch ein- höchstens zweimal in der Woche Fleisch und das reicht! Und früher haben wir auch nicht so viel gegessen – ich bin die alte Generation, da gab es am Sonntag einen Braten - Feierabend!"
Auch wenn solche Stimmen sicher noch nicht für die große Mehrheit der Verbraucher stehen – die Frage nach dem Tierwohl sei zunehmend ein wichtiges Kriterium beim Einkauf von Lebensmitteln, betont Angela Dinter von PROVIEH. Man dürfe aber nicht darauf warten, dass die Landwirtschaft und der Handel von sich aus Tierwohl stärker in den Fokus rücken:
"Die Selbstverpflichtung funktioniert keinesfalls. Wir hatten fünf Jahre Übergangsfrist, in der die Branche und die Politik zu einer Lösung hätten kommen können, zumal die Lösungen auf der Hand lagen – die hätten nur mal umgesetzt werden müssen."

Fristverlängerung sei "verfassungswidrig"

Sie wurden aber nicht umgesetzt. Stattdessen solle die Verlängerung der Übergangsfrist jetzt mit der Stimmenmehrheit von CDU/CSU und SPD im Hau-Ruck-Verfahren durch den Bundestag gepeitscht werden, kritisiert auch Tierethiker Thomas Blaha. Dabei sollte ein Blick ins Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland eigentlich genügen, sagt Blaha, um klar zu machen, dass die geplante Fristverlängerung schlicht verfassungswidrig sei:
"Wir haben seit 2002 im Grundgesetz stehen, dass der Tierschutz ein Staatsziel ist, Artikel 20a. Und jetzt frage ich: Ist denn die Landwirtschaft und der Einzelhandel außerhalb des Grundgesetzes? Müssen die sich nicht an irgendwelche ethischen Grundsätze halten?"
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