Erben fordern Grundstücke zurück
Die BND-Zentrale im bayerischen Pullach wird bald verlassen sein, doch nun bahnt sich ein Rechtsstreit an. Auf dem Gelände stand früher eine NS-Mustersiedlung. Die Grundstückseigentümer mussten die Gebiete zwangsabtreten, behaupten deren Nachfahren und fordern Entschädigung.
"Ja, ich habe davon gehört, das ist ja ein Riesengelände mit einer historischen Tradition sozusagen und ich fände es gut, wenn das wieder in Pullach integriert werden würde. Also wer da genaue Ansprüche hat, weiß ich nicht."
Mittags auf dem Kirchplatz in Pullach. Die Kirchuhr schlägt zwölf. Handwerker holen sich Essen beim Bäcker.
"Nee, ich arbeite hier nur, ich habe sonst keine Meinung dazu."
Ein Pärchen sitzt vor einem Café in der Sonne.
"Also, was einmal weg ist, ist weg. Also wenn es hin und her geht hat man immer einen Einspruch für alles, also ich würde sagen, es soll so bleiben wie es ist."
"Mein Laden ist zwar in Pullach, aber ich lebe nicht hier. Ich glaub eh noch nicht, dass der BND auszieht."
Langsam wischt die Ladenbesitzerin draußen in der Sonne die Tische ab. Gegenüber im gläsernen Bürgerhaus stehen Blumen auf Stehtischen.
Restitution, BND, Alteigentümer? In Pullachs Ortsmitte zuckt man mit den Schultern. Verdrängung? Desinteresse?
Vom Kirchplatz geht die Heilmannstrasse ab, parallel der Isar, immer am Hochufer entlang, dass hier pittoresk zum Fluss hin abfällt.
NSDAP baut Mustersiedlung in Pullach
"Die Reichsleitung der NSDAP hat zum Zwecke der Errichtung einer Beamtensiedlung … ein 50 Tagwerk großes Gelände erworben und an die Gemeinde den Antrag gestellt, die Zufuhrstrasse (verlängerte Heilmannstrasse) zu diesem Grundstück zu erstellen... Der Gemeinderat stimmt diesem erteilten Bescheid vollkommen zu, da Pullach durch diese Siedlung nur gewinnen kann. Gemeinderatssitzung vom 21. Februar 1936."
81 Jahre später, 2017, arbeiten in der Heilmannstrasse noch immer Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes BND. Bekannt ist das Areal, in dem während des Dritten Reichs NS-Beamte wohnten, als "Heß-Siedlung", benannt nach dem einstigen Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß.
Der BND ging in den 1950er-Jahren aus der sogenannten Organisation Gehlen hervor, einem eher undurchsichtigen "Verein" von Altnazis, Verschwörungstheoretikern und CIA-Abenteurern, der für lange Zeit von der Unterstützung durch die USA abhängig war.
"Eigentlich hat weder die Gemeinde noch der Freistaat einen großen Nutzen davon, es sind zwar Arbeitsplätze, aber der BND zahlt keine Steuern, beschäftigt auch nicht besonders viele Betriebe, ist eigentlich ein Fremdkörper im Ort. Wenn diese Flächen anders entwickelt werden könnten, hätte die Gemeinde mehr davon."
Die Geheimdienstler gehören seit 70 Jahren zu Pullach wie ein Fremdkörper, sagt die Grüne Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund. Und eigentlich sollten sie längst in Richtung Hauptstadt verschwunden sein. Im Mai 2006 wurde der Umzug beschlossen. Der Neubau in Berlin ist nach zehn Jahren Bauzeit weitgehend fertiggestellt.
Und die Gemeinde Pullach, rund 600 Kilometer entfernt im oberbayerischen Süden? Frohlockte. Anfangs. Das große Baufieber brach aus. Begehrlichkeiten von Investoren deutschlandweit. Auch im Rathaus von Pullach wurde eifrig geplant. Freie Flächen in einer der begehrtesten Wohngegenden rund um München – endlich Platz für Kindergarten, Volkshochschule, warum nicht auch Begegnungszentrum oder Reha-Einrichtung:
"Urkunde des Notariats München XV vom 5.November1934, UR 2185, Beteiligte: Martin Bormann, Margarete Paukner
Urkunden des Notariats München V vom 10. Juni 1936 UR 2645 und vom 17. September 1936,
beteiligt Martin Bormann, Margarete Paukner."
Druck auf die Eigentümer?
Im Staatsarchiv München liegen Verkaufsurkunden und Akten, die nach der Ankündigung des BND-Umzuges wieder interessant werden. Plötzlich melden sich Alteigentümerfamilien mit Ansprüchen an dem BND-Gelände. Und die Bürgermeisterin macht in Zweckoptimismus:
"Also zunächst betrifft uns diese Problematik nicht, weil sich die Alteigentümer zuerst an den Bund wenden müssen und gegebenenfalls in einem Klageverfahren die juristische Situation klären müssen. Es ist natürlich nachvollziehbar, dass in der damaligen Zeit, wo Martin Bormann hier die Grundstücke aufgekauft hat, hier sicherlich auch Druck ausgeübt wurde oder unter Wert gekauft wurde, aber dafür haben wir hier keine Belege. Es ist denkbar, aber es muss natürlich auch nachgewiesen werden."
Dicke Aktenordner liegen auf dem Tisch der Familie Woellner. Originaldokumente in Kopie, Auszüge aus Grundbuch– und Vermessungsamtdokumenten. Teilweise vergilbt und in Sütterlinschrift, kaum lesbar, teils in verblasster Schreibmaschinenschrift:
"Kaufvertrag ohne Auflassung, 19. Mai 1936: Die Herren Fritz und Eduard Wöllner verkaufen hiermit an Herrn Martin Bormann eine erst wegzumessende Teilfläche von ungefähr 1.100.000 Quadratfuss, also rund 10 Hektar... der Kaufpreis beträgt pro Quadratfuss 0,21 Reichsmark."
Barbara Woellner: "Sie sehen jetzt hier die ganzen Urkunden, die Kaufverträge, aus denen hervorgeht, dass Martin Bormann der Käufer war."
Was Alteigentümerin Barbara Woellner da an einem Nachmittag auf ihrem Tisch ausbreitet, klingt unglaublich. Alle Finessen eines klassischen Agententhrillers verbergen sich in diesen Unterlagen.
Der Nazi-Karrierist Martin Bormann, Vermögensverwalter und Privatsekretär von Adolf Hitler, wohnte als Nachbar in den 1930er-Jahren in der Pullacher Margaretenstrasse. Die Heilmannstrasse und ein großes unbebautes Stück Wald und Wiese täglich vor Augen. Genau dort wollte er seine Muster-NS-Siedlung bauen. Nur - die Eigentümer musste er erst eindringlich vom Verkauf überzeugen - mit Nazimethoden.
Familie will Grundstück zurück
Bormann hatte so schon erfolgreich Bauern am Obersalzberg zum Verkauf gezwungen. Für Familie Woellner begann ein Tauziehen um die noch heute größte Fläche:
"Das ist das ganze Gut Großhesselohe, das war insgesamt 93 Hektar, der südliche Teil wurde komplett durch Martin Bormann, den Eigentümern, der Familie Woellner entzogen, das sind im Ganzen 56 Hektar, also 560.000 Quadratmeter."
Diesen Grund, für den laut Familie Woellner nie Geld geflossen sei, will sie nun wieder zurück.* Oder eine Entschädigung, der ortsübliche Quadratmeterpreis heute - 2000 Euro. Oder irgendeine Anerkennung des Unrechts. Darum geht es auch Familie Köhler, Nachfahren von Margarete Paukner.
Vor zwei Wochen hat die Familie Klage gegen die Bima eingereicht, also gegen die Bundesrepublik, vor dem Münchner Landgericht.
Nur einige hundert Meter Luftlinie vom Hauptstaatsarchiv in der Münchner Widenmayerstrasse - ein mondäner Altbau, direkt an der Isar, die Rechtsanwaltskanzlei Westphal, Spilker & Wastl. Sieben Anwälte sitzen hier Tür an Tür. "Klasse statt Masse" heißt es auf der Webseite.
Hier wurde schon ein Millionen-Deal des deutschen Arms der Mafiaorganisation Cosa Nostra zerschlagen, von hier aus wurden Anfang der 1990er-Jahre Millionen an verschwundenem SED-Vermögen der DDR-Devisenbeschaffungsfirma KoKo aufgetrieben.
"Also wir haben das Mandat vor zwei Jahren bereits übernommen und haben uns zwei Jahre intensiv mit dem Sachverhalt beschäftigt."
Ulrich Wastl prüft für die Klägerfamilie Köhler, eine der fünf betroffenen Alteigentümer, die Chancen für eine Restitution - und ist zuversichtlich:
"Uns liegen Dokumente vor, die wir auch zum Gegenstand der Klage gemacht haben, die eigentlich belegen, dass auf staatlicher Seite die Tatsache, dass diese Grundstücke erpresserisch ins Eigentum von Bormann gelangten – dieser Nachweis gelingt uns.
Wir sind auch guten Mutes beziehungsweise auch im Besitz von Unterlagen, mit denen wir belegen können – unserer Auffassung nach – dass der Staat bewusst die Geltendmachung der Ansprüche über diese Jahrzehnte vereitelt hat und ich glaube, man muss nicht Jurist sein, um die Bewertung vorzunehmen, dass das ein Staat nicht darf."
Bayerisches Finanzministerium München, Pressesprecherin: Das Bayerische Staatsministerium sei mit dem Thema nicht befasst, daher könne Sie leider keine Stellungnahme zur Verfügung stellen. Der Bund dürfte der richtige Ansprechpartner sein.
Die Stellungnahme des Bundesfinanzministeriums: Die Bundesimmobilienanstalt Bima, derzeit Eigentümerin des BND-Geländes, würde – Zitat - "jede Anfrage intern prüfen und diese gegebenenfalls auch extern rechtlich würdigen lassen."
Bund weist Ansprüche zurück
Die Bundesimmobilienanstalt reagiert auf die Forderung der Berichtigung der Pullacher Grundbucheintragungen so:
"Die Bima hat die Angelegenheit sowohl intern geprüft als auch umfänglich extern durch einen renommierten Rechtsanwalt würdigen lassen. Ergebnis dieser Prüfungen ist, dass sich in den vom Anspruchsteller vorgelegten Dokumenten kein Beleg für die Behauptung findet, dass die in Rede stehenden Grundstücksveräußerungen unter Zwang und unter Wert abgeschlossen worden sind.
Die Bima ist daher haushaltsrechtlich verpflichtet, den geltend gemachten Anspruch zurückzuweisen, ohne dass ihr diesbezüglich ein Ermessen zustünde."
Es seien zwar einige Grundbuchbestände kriegsbedingt verloren gegangen, sagt Archivar Gerhard Fürmetz im Münchner Hauptstaatsarchiv. Die Aktenlage zur Nachkriegszeit sei aber im Prinzip gut. Ab 1947 müsse dem Landesamt für Vermögensverwaltung und Wiedergutmachung klar gewesen sein, welches Eigentum in Bayern wieder an die rechtmäßigen Besitzer hätte zurückgegeben werden müssen:
"All diese Objekte wurden zunächst erstmal pauschal unter Treuhänderschaft gestellt also unter Vermögensverwaltung und dann Treuhändern zur Verwaltung überlassen. Das war der Beginn dieses Landesamtes für Vermögensverwaltung und Wiedergutmachung. Zunächst mussten diese Objekte einfach nur verwaltet werden, bis dann der rechtmäßige Eigentümer gefunden werden konnte, dem die Objekte zurückgegeben werden sollten."
Der Historiker Constantin Goschler stellt fest:
"In den Amtsräumen des Landesentschädigungsamtes in der Möhlstrasse herrschten unter dem Andrang zahlreicher Verfolgter verschiedenster Nationalitäten chaotische Zustände, die von traditionellen Beamten mit einem gewissen Ekel als 'Nachgeburt des Krieges, des Zusammenbruchs, des Chaos' bezeichnet wurden".
1952 steht Sebastian Endres vor einem Untersuchungsausschuss. Der Vizepräsident der Wiedergutmachungsbehörde muss zu den wirren Vorgängen in seiner Behörde aussagen. Denn mitnichten hat Endres, der nachweislich im Krieg Zwangsarbeiter misshandelte, für die Rückgabe von Eigentum gesorgt. Im Gegenteil. Seinen Untergebenen Karl Förschner, unbedarfter Außenstellenleiter für Pullach, weist er im Juli 1948 schriftlich in Bürokratendeutsch zurecht:
"Gerade der Bormann-Komplex ist ein klassischer Fall des fiduziarischen Eigentums, bei dem materiell-rechtlich die NSDAP als eigentlicher Rechtsträger anzusehen ist. Ich bitte daher, es bei der alten Klassifizierung zu belassen."
Was Endres damit sagen will: Die in der Nazizeit abgepressten Grundstücke an der Pullacher Heilmannstrasse sollten unbedingt als Parteivermögen der NSDAP klassifiziert werden, nicht als Privateigentum. Parteivermögen bekam nach dem Krieg der Staat, das zu Unrecht erworbene Privatvermögen von Nationalsozialisten erhielten die Alteigentümer zurück. Und in den Grundbüchern ist Martin Bormann als Privatperson eingetragen.
Alle Restitutionsanträge der Pullacher Familien werden abgeschmettert
Doch da die Grundbücher urplötzlich nicht mehr auffindbar waren bis 2013, wurden alle Restitutionsanträge der Pullacher Familien von der Wiedergutmachungsbehörde kaltblütig abgeschmettert.
Denn: Der in Pullach wohnende Vizepräsident der Wiedergutmachungsbehörde, Sebastian Endres, hat andere Pläne. 1949 wird die Pullacher Wohnbaugesellschaft gegründet. Endres wird 1950 stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates. Als Anteilseigner fungieren unter anderem: Der Verwalter der als Verfügungsmasse angesehenen Paukner- und Woellner-Grundstücke Emil Riedl und Ludwig Erhard, 1949 Bundeswirtschaftsminister und später Bundeskanzler.
Riedel warnt in seinem Treuhänderbericht vor möglicherweise unerwünschten Rechtsfolgen wegen von Bormann offenbar nie gezahlter Grunderwerbs- und Grundsteuer:*
"Da übrigens zum Beispiel für die Grunderwerbssteuer auch die Vorbesitzer haftbar sind, könnte ein diesbezügliches Vorgehen gegen die letzteren die … Rückerstattungs- bzw. Kaufvertragsaufhebungs-Ansprüche auslösen."
Offenheit hieß 2011 das neue Schlagwort beim Bundesnachrichtendienst. Wie andere Firmen und Institutionen in Deutschland auch, wollte sich der Dienst seiner Geschichte stellen:*
Die Anfänge mit dem BND-Vorläufer Organsiation Gehlen.*
Sein Standort: Das Bormann-Gelände.*
Eine unabhängige Historikerkommission, kurz UHK - vier Professoren aus Dresden, Köln, Marburg und Berlin - bekamen den Auftrag, die BND-Archive bis 1968 aufzuarbeiten. Dieser Auftrag läuft Mitte März 2017 aus.*
Die genaue ausführliche Recherche zur Geschichte des BND-Grundstücks überließ man lieber einer anderen Historikerin. Dass sich die NSDAP und ihre Führungskräfte nahmen, was sie wollten, daran besteht kein Zweifel, sagt der Dresdner Professor Klaus-Dietmar Henke.*
Die Historikerin Susanne Meinl konzipierte gemeinsam mit interessierten Bürgern vom lokalen Pullacher Geschichtsforum eine regionalhistorische Ausstellung, bat dafür im Ort bei den alteingesessenen Familien um Unterlagen aus der Nazizeit. Auch Susanne Meinl kommt in der Schriftenreihe der Gemeinde zu dem Schluss:*
"Wer Bormann und seinem Bevollmächtigten Gotthard Färber die Grundstückstransaktion verweigerte, dem wurde mit Enteignung oder gar dem Konzentrationslager Dachau gedroht." (Pullacher Schriftenreihe Bd. 6, S. 17)
Die Gemeinderäte Johannes Schuster und Reinhard Vennekold der freien Wählergemeinschaft "Wir in Pullach" sitzen vor ihrem Weißbier am S-Bahnhof Grosshesselohe, schauen in die Sonne:
"Also ich möchte da kein Jurist sein, das ist wirklich sehr schwierig. Aber ich bin der Meinung, dass wir das aufklären sollen und dann eine entsprechende Rechtsprechung kommt, es sollte wirklich dem Recht genüge getan werden."
"Das stimmt einen nachdenklich und deshalb ist es wichtig, dass man Rechtssicherheit bekommt, dass ein für alle mal geklärt ist für die Nachkommen, für die jetzige Generation, dass man weiß, wie ist das gelaufen, dass man die Geschichte aufarbeitet, dass man juristisch sauber klärt, wie ist das damals gelaufen, wurden da Zwangsenteignungen durchgeführt oder nicht und wie sehen die Konsequenzen aus.
Und ich denke mir, das ist nicht nur Aufklärung, sondern auch eine Verarbeitung der Geschichte und da hat nicht nur jeder Anspruch drauf, sondern das sollten wir auch als Gemeinde ein hohes Interesse haben, das für alle Beteiligten, auch für die Pullacher Bürger zu klären.
Korrektur: (*) Aus redaktionellen Gründen wurde an einigen Stellen Änderungen vernommen.
Korrektur: (*) Aus redaktionellen Gründen wurde an einigen Stellen Änderungen vernommen.