Jesus - made in China
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Aus aller Welt pilgern Katholiken ins bosnische Medjugorje. Auch um die Christus-Statue von Andrej Ajdič zu sehen. Die örtliche Kirche verdient mit der Vermarktung der Statue viel Geld. Der Künstler fühlt sich betrogen - und wehrt sich.
Eine einsame Wiese im slowenischen Savinjska-Tal nahe der österreichischen Grenze. Hier lebt seit Jahrzehnten der Bildhauer Andrej Ajdič. In der Werkstatt seines umgebauten Bauernhauses hat Ajdič viele seiner Werke geschaffen. Darunter eines, das Weltruhm erlangt hat: die überlebensgroße Figur des auferstandenen Christus.
Der Künstler sagt: "Ich habe ihn so gelassen, wie er am Kreuz war. Die Hände auseinander, wie wenn er die ganze Welt umarmen möchte. Die Beine sind noch immer so, wie sie ans Kreuz genagelt waren. Jetzt ist er auferstanden. Aber er hat noch immer diese Pose. Und erst später wird das ganz anders sein. Aber das ist in unserer Phantasie."
Aus Stahlplatten zusammengeschweißt steht die Erlöserfigur vor Ajdičs Haus auf der Bergwiese. Das Werk im Savinjska-Tal ist allerdings nur eine Kopie. Das Original hat Ajdič vor zwei Jahrzehnten in Bronze gegossen und nach Medjugorje bringen lassen. Der Wallfahrtsort liegt 500 Kilometer weiter südlich in der Herzegowina nahe der Stadt Mostar.
Eine vertraglich vereinbarte Dauerleihgabe
In Medjugorje ist der Christus von Ajdič eine Attraktion für die katholischen Pilger aus aller Welt. Die große Skulptur steht im Park hinter der St.-Jakobs-Kirche, etwas abseits, inmitten einer kleinen Arena. Menschen drängen sich vor dem auferstandenen Christus – warum gerade hier?
Auch deutsche Pilgerinnen sind dabei. "Kann ich gar nicht so sagen: Es gibt mir Kraft. Das geht eigentlich alles im Inneren vor. Man kann vieles nicht so ausdrücken. Es sind persönliche Gründe. Und jeder kommt eigentlich hier runter, weil er ein persönliches Päckchen hat. Das versucht man unten zu lassen und mit Freude wieder nach Hause zu gehen – und eine Lösung zu suchen. Und das findet innerlich statt."
Die Erlöserskulptur hat der Künstler Ajdič der Pfarrgemeinde von Medjugorje zur Verfügung gestellt, in der Form einer vertraglich vereinbarten Dauerleihgabe. Um die tobt seit einiger Zeit ein heftiger, überaus irdischer Streit: "Es gibt eine Vereinbarung, die im Jahre 1997 abgeschlossen wurde. Die beinhaltete eindeutig, dass Herr Ajdič weiter Eigentümer bleibt, wie sie auch regelt, was letztlich die Pfarrgemeinde zu beachten hat", sagt Rainer Prinz, einer von Ajdičs Anwälten.
Der slowenische Künstler hat ihn beauftragt, seine Rechte gegenüber der Pfarrgemeinde Medjugorje durchzusetzen – notfalls auch vor einem internationalen Gericht.
"Die Pfarrgemeinde hat ihn letztlich nie gewürdigt als denjenigen, der Partner dieses Dauerleihgabevertrags war, weil da auch eindeutig geregelt wurde, dass die Pfarrgemeinde das ausschließliche Recht hat, Devotionalien, Andenkenstücke usw. zu vertreiben – und diese Stücke, wie sie zu gestalten sind, abzustimmen sind. Und dieser Teil wurde eben nie ausgeführt von der Pfarrgemeinde."
"Das sind Trittbrettfahrer"
Der Künstler ist sauer. Sehr sauer: "So habe ich die Sache da unten hingestellt. Und ich wurde schon am ersten Tag betrogen von der Kirche. Es dürfte kein anderer meine Skulptur nachmachen. Wenn sich die Kirche daran gehalten hätte, hätte ich pro Jahr zehn Millionen verdient."
Doch die Kirche kümmert sich nicht um Ajdičs Urheberrechte beim Verkauf von Andenken, wie es im Vertrag festgelegt war. Stattdessen wird seine Skulptur überall in der Stadt in unzähligen Souvenirläden verkauft, für sieben, zehn oder auch 15 Euro das Stück, oft aus Plastik und "Made in China". Die Gesichtszüge der Miniaturen weichen vom Original ab. Bei einigen Modellen liegt die Jesusfigur und lässt sich dann mithilfe eines magnetischen Klappmechanismus aufrichten.
Der Anwalt sieht das natürlich kritisch. "Das sind dann Trittbrettfahrer", sagt er. "Die versuchen damit, das Geld zu machen. Ansprechpartner ist aus meiner Sicht jetzt erst einmal primär die Kirche, die ja eindeutig vereinbart hat, dass man, wenn es Unstimmigkeiten gibt im Zusammenhang mit dem Vertrag, man eine einvernehmliche Lösung findet."
Die Kirche weist Ajdičs Ansprüche zurück. Dabei geht sie nicht auf die Vereinbarungen im Dauerleihgabevertrag ein, sondern argumentiert mit einer Zollerklärung, in der die Christusfigur seinerzeit als Geschenk deklariert wurde. Vor zwei Jahrzehnten wollten so beide Seiten Probleme der Einfuhr des Kunstwerks ins bosnisch-herzegowinische Medjugorje umgehen. Aus Ajdičs Sicht ist die Zolldeklaration von damals nur eine rechtlich unbedeutende Formalie. Viele Schreiben des Künstlers und seiner Anwälte mit der Bitte um Respektierung des eigentlichen Vertrags wurden in den letzten Jahren einfach nicht beantwortet.
Die örtlichen Pfarrer sind in Medjugorje omnipräsent, sie genießen die vollen Kirchenräume und das Bad in der Menge. Für Journalisten sind sie nicht zu sprechen.
Kein Wunder: Das Geschäft blüht, auch für die katholische Kirche. Deren Beziehungen zur örtlichen Geschäftswelt sind eng und undurchsichtig. Hohe Vertreter der bosnischen Kirche und des Vatikans haben die Marienerscheinungen von Medjugorje nie offiziell anerkannt.
Doch den Pilgertourismus unterstützen viele von ihnen aus vollem Herzen. Im herzegowinischen Wallfahrtsort hat er eine neue Dimension erreicht, seit salzige Wassertropfen auf dem bronzenen Christus von Ajdič entdeckt wurden. Das andächtige Abwischen feuchter Stellen auf dem Metall gehört seither zum Ritual von immer mehr Gläubigen.
Mafiöse Strukturen in Medjugorje
Andrej Ajdič gehört nicht zu denen, die an ein Wunder glauben: "Das kommt von irgendwo, das Wasser. Für die Gläubigen ist das absolut ein Wunder. Die Kirche hat das ausgenutzt. Sie verkaufen spezielle Taschentücher für das Wischen dieser Tränen. Und dadurch wird ein Riesengeld verdient."
Die Tränentücher, Brillenputztüchern sehr ähnlich, sind für zwei Euro im Andenken-Supermarkt zu haben. Dass Medjugorje unter mafiösen Strukturen leidet, hat sogar der Vatikan-Beauftragte für den Pilgerort, Erzbischof Henryk Hoser, in einer öffentlichen Stellungnahme bekannt. Für Andrej Ajdič ist die Sache sowieso klar: "Das sind sehr gefährliche Leute da und, wie soll ich sagen, kriminell. Das ist eine Mafia."
Ajdič will auf keinen Fall selbst nach Medjugorje fahren. Er fürchtet um sein Leben. Stattdessen kämpft er mit juristischem Beistand um Entschädigung auf dem internationalen Rechtsweg. Denkbar wäre auch eine außergerichtliche Einigung über die Verteilung des Gewinns. Das aber wäre dann wohl ein neues Wunder von Medjugorje.