Streit um das ungeliebte Kind

17.10.2012
Zu wenig zahlende Besucher und Zweifel am Konzept der langjährigen Leiterin Nike Wagner – das Kunstfest Weimar steht vor einer Kurswende. Doch eine Kürzung der städtischen Zuschüsse wollte der Stadtrat nicht beschließen.
"Damit ist die Drucksache 172b mit sieben Ja-Stimmen und 30 Nein-Stimmen abgelehnt."

... heißt es nach knapp 20 Minuten Stadtratsitzung am Abend in Weimar. Der Oberbürgermeister sitzt auf dem Podium und atmet sichtlich sehr tief durch. Es war knapp. Und die Wogen schlugen hoch. Für eine Kürzung beim Kunstfest-Etat hatte unter anderem der Vertreter der NPD gestimmt – und die FDP. Ihr Stadtratmitglied Dirk Heinze warb für eine degressive Kürzung auf letztlich 170.000 Euro, vor allem aber für ein anderes Konzept:

"Viele bekennende Kunstfans, Musikfans gehen im Moment ja gar nicht ins Kunstfest. Ich bedaure das, aber das muss man einfach sehen, dass wir hier ein Problem mit der Vermittlung und dem Nachwuchs haben und ich würde einfach gerne kämpfen für alle Kultureinrichtungen dieser Stadt."

Vermutlich sprach er aus, was viele andere im Saal dachten. Denn das Kunstfest Weimar ist seit Jahren in der eigenen Stadt ein ungeliebtes Kind. Im Kulturausschuss soll es hoch hergegangen sein, daraus machte manch einer am Abend kein Hehl. Ob CDU oder das Bürgerforum Weimarwerk – immer wieder werden die Zahlen in die Wagschale geworfen, so auch heute Abend vom Vertreter der FDP:

"Wir haben dieses Jahr weniger als 6.000 zahlende Zuschauer gehabt, bei einem Etat von 1,3 Mio Euro. Sie können sich ausrechnen, wo da die Effizienz ist. Es ist ein Armutszeugnis und das muss sich auch die Geschäftsführung gefallen lassen, das dies einfach nicht so weitergehen kann."

Nike Wagner wird vorgeworfen, zu wenig für die Masse zu tun - dafür zu viel Exklusives, Stichwort: Hochkultur. Auch Dirk Heinze von der FDP sieht das so:

"Die spannende Frage ist eigentlich, kann man ein Kunstfest auch mit 648.000 Euro betreiben. Und wenn Sie sich die Festivallandschaft ansehen, dann ist das sehr wohl möglich."

650.000 Euro gibt das Land, aber nur, wenn die Stadt bei ihrem Anteil bleibt. Das sind 250.000 Euro. Daran soll sich nun auch nichts ändern in den nächsten Jahren. Auch wenn sich das Personalkarussell jetzt drehen wird. Denn das Kunstfest soll ab 2014 organisatorisch am Deutschen Nationaltheater angedockt werden. Dessen künftiger Intendant Hasko Weber hat im Kulturausschuss seine Ideen vorgelegt. Wie genau sie aussehen ist nicht bekannt, nur so viel: Das Festival soll nicht mehr zum Ende des Sommers, sondern eher stattfinden und wird vielleicht auch weniger Musik enthalten, dafür mehr Facetten für ein bereites Publikum.

Mehr Besucher wären schön, sagte am Abend auch der Oberbürgermeister Stefan Wolf nach der Abstimmung. In seinem Plädoyer vor den Stadträten gab es jedoch auch ein dickes Lob für die Intendantin:

"Mit Nike Wagner hat es das Kunstfest geschafft einen ungewöhnlich hohen Betrag an Drittmitteln zu aquirieren in einer Größenordnung, die sonst niemand in Thüringen – ich glaub auch niemand in Ostdeutschland – es so geschafft hat, wie es Nike Wagner geschafft hat. Und wir müssen davon ausgehen, dass ein Nachfolger, der dann ja auch nicht Vollzeit beschäftigt ist, nicht bringen kann."

Zwischen 300.000 und 500.000 Euro warb und wirbt Nike Wagner kontinuierlich ein, reist zwischen Hamburg und München, Frankfurt und Dresden. sie will die großen Namen, die guten Künstler und nahm auch manch einen kapriziösen in Kauf, wenn die Leistung stimmte. Dafür zollten ihr an diesem Abend auch manche Respekt – wie Katharina Spiel von den Grünen:

"Ich muss jetzt mal sagen, so als Kulturwissenschaftlerin sehe ich das immer als Problem, immer die Statistik ranzuziehen. Ausgaben, Besucher, alles wirtschaftlich berechnet, was es eigentlich für einen Mehrwert haben sollte und das Wort mehrwert finde ich auch schon schwierig als Kulturwissenschaftlerin."

Nike Wagner wird im kommenden Jahr – nach zehn Jahren Intendanz – zum letzten Mal das Kunstfest Weimar leiten. Der berühmte Geiger Gidon Kremer ist dann Artist in Residenz.

Das Motto heißt: "Wagneridyll" – und bezieht sich wohl ausschließlich auf Richard Wagner, und seinen 200. Geburtstag im nächsten Jahr.

Wer der neue Intendant des Kunstfestes sein wird, ist noch offen. Hasko Weber will diese Aufgabe nicht zusätzlich übernehmen, doch, so hieß es am Abend, jetzt würde man, in Abstimmung mit ihm nach entsprechenden Personen Ausschau halten.
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