Streit um Hamburger Denkmal

Bismarck schrumpfen

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Bismarck-Statue im Hamburger Elbpark, davor Stacheldraht, eine Kamera und ein gelbes Metallgestell.
Kein besonders herausragender Politiker seiner Zeit, sagt der Historiker Christoph Nonn über Otto von Bismarck. © imago / Joerg Boethling
Von Axel Schröder |
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Superheld oder Superschurke? Wegen der Verstrickungen des Politikers in den Kolonialismus ist das Bismarck-Denkmal im Hamburger Elbpark in die Diskussion geraten. Die Stadt sucht nach Wegen, Bismarck vom Sockel zu holen, ohne das Denkmal abzureißen.
Der alte Reichskanzler hätte vermutlich die Welt nicht mehr verstanden. Denn von der Begeisterung für Bismarcks Politik ist heute, 120 Jahre nach seinem Tod, kaum noch etwas übrig. Diese Begeisterung bescherte dem Reichskanzler unzählige Denkmäler. Das größte davon in Hamburg, 34 Meter hoch, aus Granit, Bismarck mit Umhang und Schwert. Beides will ihm der Hamburger Pastor Ulrich Hentschel nehmen.
"Dieses große Denkmal selbst muss dekonstruiert werden. Das bedeutet nicht, zerstört, zerschreddert und in die Elbe gestreut zu werden. Das bedeutet, dass man zum Beispiel das Schwert abnimmt oder – das hatte ich vorgeschlagen – dass man den Kopf abbaut und unten neben dem Denkmal präsentiert und konfrontiert mit dem, was Bismarcks Politik bewirkt hat."

Können sich Demokraten auf Bismarck beziehen?

Ulrich Hentschel ist einer der schärfsten Kritiker eines geschichtslosen Bismarck-Denkmals im Hamburger Elbpark. Gerade wird dort die 9 Millionen Euro teure Sanierung abgeschlossen, ohne die der steinerne Bismarck eines Tages einfach umfallen würde. Die Sanierung hat die Debatte um Bismarcks Politik, über seine Rolle für die deutsche Kolonialgeschichte neu entfacht.
"Natürlich hat Bismarck dafür gesorgt, dass aus verschiedensten Kleinstaaten und Städten das Deutsche Reich wurde. Aber war das ein Fortschritt? Und was war der Preis für diesen Fortschritt? Es waren Kriegszüge. Aber das ist nichts, auf das sich demokratische und historisch bewusste Menschen jemals beziehen können."
Auch der Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer unterstreicht: die Gründung des deutschen Nationalstaats ist nicht Resultat einer besonders friedlichen Politik Otto von Bismarcks:
"Er hat einen Krieg gegen Dänemark und gegen Österreich vom Zaun gebrochen und mit einer Verfälschung einen Krieg mit Frankreich provoziert, an dessen Ende dann die Reichs-Einigung steht. Aber man kann ja jetzt nicht – und das ist wieder dieses ahistorische Denken – sagen: ‚Also, 1871 beginnt alles neu und ab da führte er keinen Krieg mehr!‘ – Die Reichseinigung ist nur durch Krieg ermöglicht worden!"
Bismarck habe zwar nur zögerlich der Entsendung deutscher sogenannter "Schutztruppen" nach Afrika zugestimmt, sagt Zimmerer, der die Forschungsstelle "Hamburgs (post)koloniales Erbe" leitet. Später habe der Reichskanzler dann aber unter anderem dem Drängen Hamburger Kaufleute nachgegeben und die Eroberungszüge in Afrika unterstützt, so Zimmerer.
Und ohne die kolonialen Feldzüge wäre es nicht zum ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts gekommen: Deutsche Schutztruppen töteten – genaue Zahlen gibt es nicht – bis zu 80.000 Herero und Nama. Das geschah allerdings einige Jahre nach Bismarcks Tod.
"Man kann aber auch ohne Probleme Kriege und Vergeltungsaktionen nehmen, die zu Lebzeiten Bismarcks stattgefunden haben in den Kolonien. Was man nicht machen kann, ist, zu sagen: ‚Er hat mit Kolonialismus nichts zu tun!‘"

Kein besonders herausragender Politiker

In Hamburg und anderswo wird deshalb über das Andenken an den Reichskanzler diskutiert. Zum Beispiel in einem Online-Gespräch zwischen Jürgen Zimmerer und seinem Historiker-Kollegen Christoph Nonn von der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität.
"Was hat man für ein Bild von Bismarck? Der ist immer noch so ein Gigant, ein Titan. Er ist immer noch so groß, zumindest für die Konservativen, wie das Hamburger Denkmal. Und für Teile der Linken ist er sozusagen auch so groß, aber eben unterirdisch."
Für Christoph Nonn steht fest: Bismarck war sicher kein besonders herausragender Politiker seiner Zeit.
"Er hat bloß das Glück, dass er zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist und dass die Strukturen so sind, dass er die nutzen kann."
Auch Nonn bestätigt: Bismarck selbst sah keinen Nutzen in der Eroberung von Kolonien. Dass er diese Politik dann trotzdem betrieb, folgte seinem innenpolitischen Kalkül: Bismarck betrieb auf diese Weise erfolgreich das Zerwürfnis zwischen den Liberalen und dem Kaiser. Das Leid der Menschen in den Kolonien hätte den wie so viele andere seiner Zeit rassistisch denkenden Bismarck nicht interessiert. Und nicht mal die Einführung der deutschen Sozialgesetzgebung könne der Reichskanzler für sich verbuchen, so der Historiker:
"Der wollte nämlich eine ganz andere, die staatlich finanziert gewesen wäre, damit die Arbeiter dem konservativen Staat, der Monarchie das zu danken hätten. Und das hat der Reichstag, die Liberalen, das Zentrum haben das verhindert, haben den Braten gerochen und haben eine ganz andere Sozialgesetzgebung daraus gemacht."

Bismarck auf Normalmaß schrumpfen

Die nüchternen Analysen der beiden Historiker lassen Otto von Bismarck auf Normalmaß schrumpfen, ein recht gewöhnlicher Politiker. Und sie legen gleichzeitig sein machtgetriebenes Kalkül offen, seine Verantwortung für die Gräuel der deutschen Kolonialgeschichte. – Längst ist auch der Hamburger Politik klar: der steinerne 34-Meter-Bismarck im Hamburger Elbpark wird nach Abschluss der Renovierungsarbeiten sicher nicht so unkommentiert in Richtung Landungsbrücken schauen wie bisher. Auch Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda fordert eine Brechung der Monumentalität des Denkmals.
"Das halte ich für eine Selbstverständlichkeit. Weil es ein ganz merkwürdiges Bild wäre, wenn wir nur diese heroische Geste von vor hundert Jahren, die so gar nicht mehr in unseren öffentlichen Symbolhaushalt passt, einfach nur wieder hübsch machen, sondern da stehen lassen und sagen: ‚Nun macht mal euren Kram damit!‘ Ich glaube, es ist ganz notwendig und wichtig, dass wir als Stadtgesellschaft die Diskussion darüber führen, wie wir den eigentlich verstehen. Wie wollen wir ihn eigentlich verstehen, auch einordnen, wie verhalten wir uns dazu, dass es unsere Vor-Vor-Vorväter in dieser Stadt gewesen sind, die im Prinzip damit Danke sagen wollten für die Errichtung der Kolonien unter anderem auch?"
Bismarck-Statue im Hamburger Elbpark.
So wie bisher soll Bismarck nach dem Willen mancher nicht mehr über der Stadt thronen dürfen.© imago / imagebroker / Marc Rasmus
Mit dem Denkmal Dankesagen wollten damals vor allem die Hamburger Kaufleute und Reeder, die von der Eroberung der deutschen Kolonien profitierten. Der Bankier Max von Schinckel vom so genannten "Bismarck-Denkmal-Comité" forderte damals – Zitat: "dass unverzüglich und solange noch jedem dieser unersetzliche Verlust heiß in der Seele [brennt], auch in Hamburg die Schritte für die Errichtung eines grandiosen Bismarckdenkmals getan werden müssten."
Auf der gerade von der Hamburger Kulturbehörde veranstalteten Diskussion "Bismarck kontextualisieren" ist von dessen Großartigkeit nichts mehr zu spüren. Dirk Lau von der Initiative "Intervention Bismarckdenkmal" forderte mindestens einen Stopp der Renovierungsarbeiten. Andere Aktivisten wünschen sich, den alten Kanzler komplett zu entsorgen.

Stehen lassen und zugleich vom Sockel holen

Und selbst Ulf Morgenstern von der "Otto-von-Bismarck-Stiftung" kann sich nicht vorstellen, den steinernen Reichskanzler ganz unkommentiert stehen zu lassen.
"Dort muss ein ganz anderes historisch-politisches Bildungskonzept errichtet werden. Da muss ein anderer Erinnerungsort neben diesem Denkmal geschaffen werden. Die Frage, wie sie alle meinen, dass man das Denkmal künstlerisch verfremden könnte, ist eine ganz andere."
So jedenfalls, so unberührt, so heroisch wie heute, dürfe der Bismarck in Zukunft nicht über die Elbe blicken.
Die Debatte wird weitergehen. Und zusammen mit dem "Runden Tisch Koloniales Erbe" will die Hamburger Kulturbehörde ein Konzept dazu entwerfen, wie der Granit-Bismarck zwar stehen bleiben und trotzdem vom Sockel geholt werden kann.
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