Protest aus der Kulturszene erreicht Neuwahl
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Die Wahl des Radebeuler Literaten Jörg Bernig zum Kulturamtsleiter der Stadt löste eine Welle der Empörung unter Kulturschaffenden aus, weil ihm rechtsgerichtetes Denken vorgeworfen wird. Nun wurde entschieden: Die Wahl muss wiederholt werden.
Es ist ein Paukenschlag. Tagelang hatte der parteilose Oberbürgermeister Bert Wendsche betont, dass er keinerlei rechtliche Möglichkeit habe, um in die umstrittene Wahl des neuen Kulturamtsleiters einzugreifen.
Gestern Abend teilte das Stadtoberhaupt dem Ältestenrat mit, dass er Widerspruch gemäß § 52 Abs. 2 Sächsische Gemeindeordnung gegen die Wahl einlegen werde: "Ein Kulturamtsleiter hat aus meiner Sicht vor allen Dingen die Aufgabe, einen Diskurs in der Stadt zu erzeugen, einen Diskurs über alle kulturpolitischen Meinungen, über die Meinungsvielfalt, über die Vielfalt der Kunstsprache."
Spaltung der Stadtgesellschaft durch Bernigs Wahl
Doch die Wahl des umstrittenen Literaten Jörg Bernig zum neuen Kulturamtsleiter habe die Stadtgesellschaft tief gespalten und aufgebrachter, klärt Bert Wendsche:
"Und das ist ein Thema, das dieser Diskursfähigkeit natürlich nicht zuträglich ist. Und damit der ureigensten Funktion eines Kulturamtes, eine Bühne für Diskursermöglichung zu sein und nicht selber Teil der Polarisierung zu sein. Und das ist aus meiner Sicht nachteilig für die Stadt."
"Überrascht" habe der Ältestenrat reagiert, sagt Wendsche und auch im Radebeuler Kulturverein hatte man mit dieser Entwicklung nicht gerechnet. "Mich hat das überrascht, mich hat das letztlich auch positiv überrascht, wenn man das so sagen kann", sagt Vereinsgeschäftsführer Björn Reinemer. Der Verein hatte Druck auf die Stadtspitze gemacht und die Revision der Personalentscheidung gefordert.
Im Widerspruch zur Radebeuler Kulturlandschaft
Jörg Bernig stehe im Widerspruch zu all dem, was "die Radebeuler Kulturlandschaft seit Jahrzehnten prägt und einzigartig macht", heißt es in einem Offenen Brief, den rund 120 Menschen bislang unterschrieben haben, darunter namhafte Kunst- und Kulturschaffende aus ganz Sachsen sowie Unternehmer, Selbständige und andere.
Vor allem aber stießen sie sich an dem Eindruck, dass die Wahl Bernigs nur durch eine Allianz demokratischer Parteien mit der AfD im Stadtrat möglich wurde. "Wir sind ja keine politische Gruppierung, sondern wir sind wirklich parteiübergreifend. Wir wissen bis heute nicht, wie die Abstimmung war, weil es eine geheime Abstimmung war, wer da wie vielleicht auch unterwegs war? Keine Ahnung!", erklärt Reinemer.
Kritiker werfen dem Lyriker und Schriftsteller Bernig rechtsgerichtetes Denken vor. Er habe mehrfach in Essays und öffentlichen Reden migrations- und islamfeindliche Thesen und Gedanken geäußert, die dem AfD- und Pegida-Denken nahe sind. Er sei als Vordenker der Neurechten Bewegung einzustufen und publiziere unregelmäßig in ausgewiesenen Zeitschriften dieses Spektrums, heißt es.
"Kein Vordenker der neuen Rechten"
Doch wer ist Jörg Bernig, der seit 2010 auch Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste ist? Klaus Michael, Präsidialsekretär der Akademie, betont: "Jörg Bernig ist sicherlich kein Vordenker der neuen Rechten, aber er setzt sich sicherlich mit Positionen der Neurechten auseinander, übernimmt Teile dieser Positionen, formuliert sie ab und gießt sie in einen anderen literaturhistorischen, kulturhistorischen Kontext."
Die Liste der Ehrungen und Preise für den Lyriker, der 1964 im sächsischen Wurzen geboren wurde und der zu DDR-Zeiten eine Ausbildung zum Bergmann mit Abitur absolvierte, ist lang. Seit 2005 ist er Mitglied im Deutschen PEN-Zentrum. Der Schriftstellerverband rief den 56-jährigen dazu auf, seine Position zu überdenken.
Positionen wie bei AfD und Pegida
Im Dezember 2015 hatte sich Bernig in einem Essay in der Sächsischen Zeitung unter dem Titel "Allenthalben Zorn" kritisch über die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung geäußert und dabei Positionen bezogen, wie sie zu der Zeit auch ähnlich bei AfD und Pegida zu hören waren. Dieser Text löste heftige Reaktionen auf allen Seiten aus. Bernig kommentierte den Streit in einem Interview mit dem Deutschlandfunk im Jahr 2018 so:
"Also all das, was für mich auf der Hand lag, dass auch andere kulturelle Konflikte hierher importiert worden sind nach Deutschland, all das hatte ich vorher gesagt, aber ich bin in diesem Moment wahrscheinlich der Spielverderber gewesen."
Zweifel an plötzlichem Sinneswandel
Im September 2016 eckte der Lessing-Förderpreisträger erneut an, in der so genannten "Kamenzer Rede". Diese sieht Friedrich-Wilhelm Junge, Schauspieler-Urgestein und Kunstpreisträger der Stadt Radebeul, kritisch:
"Ich glaube nicht, dass, wenn er dann Kulturamtsleiter wäre, er völlig anderen Sinnes ist. Denn er hat seit Jahren seine deutsch-nationalen Thesen und Gedanken, und ich glaube nicht, dass er dann plötzlich ein anderer wäre."
Stimmt der Stadtrat dem Widerspruch des Oberbürgermeisters zu, so könnte es schon bald zu einem neuerlichen zweiten Wahlgang kommen. Die AfD protestiert. Der Schauspieler Friedrich-Wilhelm Junge kommentiert: "Ich habe nur mit Verwunderung gelesen, 'Aha, was gestern nicht ging, heute geht es auf einmal', und offensichtlich der Druck von der Straße hat das veranlasst und das ist zunächst einmal ein ur-demokratischer Vorgang."