Mit stampfenden Schritten in Richtung Intoleranz
Die Nominierung der Rapper Farid Bang und Kollegah für den Musikpreis Echo löst zu Recht Empörung aus, kommentiert die Journalistin Jenni Zylka. Unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit würden diskriminierende Texte in deutsche Teeniezimmer gebracht.
"Es gibt 1000 gute Gründe / auf dieses Land stolz zu sein /
warum fällt mir denn auf einmal / überhaupt keiner mehr ein",
warum fällt mir denn auf einmal / überhaupt keiner mehr ein",
so hieß es vor 30 Jahren in einem systemkritischen Song der Toten Hosen. Den Musikpreis Echo gab es damals noch nicht, der wird erst seit 1992 jährlich von der Deutschen Phonoakademie vergeben. Von wem genau, und nach welchen Kriterien, war, ist und bleibt ein Geheimnis. Man munkelt, eine so genannte Fachjury steuere ihr Wissen bei, der Rest ergäbe sich aus Plattenverkäufen und Chartplatzierungen.
Undurchsichtige Kriterien und rästelhafte Kategorien
Auch die Kategorien sind rätselhaft – immerhin schrumpfte deren Anzahl im letzten Jahr, von über 30 recht ähnlich klingenden Sparten auf 22. Helene Fischer wurden bereits 16 Echos in ihre gebräunten Arme gelegt, und irgendwelche Zweifel am System äußern die ehemaligen Vorzeigepunks der Toten Hosen mit ihren zehn (!) Echos schon lange nicht mehr. Und das trotz der undurchsichtigen Vergabepolitik, die in Zeiten der industriefernen Selbstvermarktung und der viralen Netzhits geradezu rührend retro erscheint: Chartplatzierung? Welche Charts? Und wen kümmern die? Plattenverkäufe? Wer kauft denn Platten?!
Dass immer wieder politische Querelen, meist über vermutete oder bewiesene menschenverachtende Gesinnungen verschiedener Nominierte die Veranstaltung erschüttern, ist zudem fast schon Usus beim Echo: Ob die Rockband Frei.Wild mit ihren latent deutschnationalen Liebeserklärungen an die Heimat. Oder ob eben die Zeilen über noch zu fickende Bitches und Schlampen, die sich auf dem nominierten Album der beiden Rapper Kollegah und Farid Bang zu makabren Reimen über den Holocaust gesellen. Der Echo hallt also eher als schwaches Echo aus der Musikbranche heraus – und zwar ganz anders, als man es hereingerufen hat.
Kein Indikator für musikalische Qualität
Dennoch: Der Echo ist ein Indikator. Aber nicht, und damit irren die Beteiligten, damit irrt auch der präsentierende Privatsender Vox, der die Berichterstattung im letzten Jahr übernommen hat, und seit Wochen und Tagen seine Werbepausen fast ganz für ihn leerräumt, eben nicht für musikalische Qualität. Auch wenn davon selbstverständlich eine Menge zu finden ist, bei den vielen Künstlern und Künstlerinnen.
Der Echo ist vielmehr ein zarter Indikator dafür, wie sich die Gesellschaft momentan mit stampfenden Schritten in Richtung Intoleranz wandelt. Wie diskriminierende Texte es unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit und der Rap-Tradition des Dissens über den Multiplikator "Gangsta Rap" bis in die Teeniezimmer schaffen und dort unauffällig den Boden für spätere misogyne und antisemitische Ansichten bereiten können. Ansichten, die ebenso wie die Musik Mainstream werden wollen oder schon sind. Und wie der Branche, oder was noch von ihr übrig ist, das alles immer piepegaler wird – auf Konfrontationskurs geht niemand mehr. Stattdessen wird, ob Udo Lindenberg, die Kelly Family oder Kraftklub, vor der Kamera kräftig Ellenbogen gestreichelt. Und backstage kräftig gefeiert.
Lieber ein Auge auf den "Preis für Popkultur" werfen
Seit zwei Jahren existiert der alternative "Preis für Popkultur", der sich fernab von Konsens, Geld und Bohei positionieren will, und als klare Antiveranstaltung zum Echo ersonnen wurde. Auch wenn bei dem ebenfalls nicht alles perfekt ist, gibt es 1000 gute Gründe, ihn sich gerade jetzt genauer anzuschauen. Ein besonders guter Grund: Helene Fischer begegnet man dort garantiert nicht.