"Rügen wird verhunzt, auf Deutsch gesagt"
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Der Nordwesten der Insel Rügen ist touristisch unerschlossen. Mit dem Bau einer neuen Ferienanlage samt Infrastruktur könnte sich das bald ändern. Die Politik hofft auf Arbeitsplätze – die Bevölkerung protestiert.
Hochsommer in Deutschland bedeutet auch Hochbetrieb auf den rund 920 Quadratkilometern der Insel Rügen. Doch auch hier gibt es sie noch, die ruhigen, weil unbewohnten Flecken Erde samt Uferstreifen - hoch oben im Inselnorden zum Beispiel, wo die Halbinsel Wittow an ihrer Westseite eine lange, schmale Landzunge Richtung Hiddensee ausstreckt. Der Bug - so wird dieser Flecken von den Einheimischen genannt.
Das letzte Dorf davor heißt Dranske, und wer weiter will, wird schon bald auf der aus Panzerplatten bestehenden Zufahrtstraße gestoppt. Ein verwittertes Schild an dem verschlossenen Tor besagt, dass "nur Berechtigte" Zugang zu der "Privatstraße" haben. Also runter vom Rad oder raus aus dem Auto und ab, rechterhand durch die Büsche zum steinigen Strand. Dort kann man ewig weiterlaufen und begegnet nur hin und wieder anderen Menschen.
Seit der Bund diesen Landstrich kurz nach der Wiedervereinigung an einen westdeutschen Privatmann verkauft hat, sucht der das Geld, um auf dem nördlichen Teil ein riesiges Ferien- und Freizeitresort bauen zu können. Nach etlichen Anläufen fanden sich nun neun israelische Familien, die insgesamt 680 Millionen Euro ins "Baltic Island Eco Resort" stecken wollen: vier Hotels, eine Marina für 400 Boote, ein Golf-Areal, je ein Angler-, ein Segler- und ein Touristendorf. Kapazität für 2300 Betten plus 1000 Tagesgäste.
Seit 20 Jahren ist der Bau genehmigt. Im Herbst soll es angeblich losgehen, berichtete als Erste die "Ostseezeitung".
"Ich wüsste keinen Rüganer aus unserem Bekanntenkreis, der das begrüßen würde", sagt Anita Jurk. Sie lebt schon immer in Breege, eine gute Viertelstunde vom Nord-Bug entfernt. Die weißhaarige Dame zählt zu den wenigen Rüganer Zeitzeugen, die sich noch an die militärische Nutzung der schmalen Halbinsel in den Dreißiger- und Vierzigerjahren erinnern können. "Fliegerhorst Bug" hieß der Bug im Elternhaus, erzählt sie.
Tatsächlich wird der Bug schon seit Kaiserzeiten militärisch genutzt. Die DDR stationierte auf hier eine Flottille der Volksmarine.
Rügen werde "verhunzt"
Den besten Blick auf die Landzunge mit ihrem Tiefseehafen? Damals wie heute vom Wiecker Hafen aus, sagt Anita Jurk:
"Da hat man den Bodden vor sich. Der Blick ist altbekannt hier bei Rüganern. Für die paar Arbeitsplätze, die dann dort entstehen - ich weiß nicht, ob das der Sinn sein soll, Rügen so zu verhunzen - auf Deutsch gesagt."
"Schon vom Verkehrskonzept geht es nicht", ergänzt ihr Sohn Rüdiger. Er habe gelesen, man wolle in Stralsund einen Trajektverkehr einrichten, "der dann jeden Pkw einsammelt und damit zum Bug fährt, damit die Straßen entlastet werden. Fantasie meiner Meinung nach. Und mehr Gästebetten brauchen wir auch nicht. Man sollte das mal überschlagen, wieviel jetzt noch im Bau sind."
"Wahnsinn", nennt Anita Jurk das und "Irrsinn" Rüdiger.
Der Bürgermeister verspricht Arbeitsplätze
Zurück auf der einzigen Zufahrtsstraße zum Bug. Einst trennte das verschlossene Tor die zivile von der militärischen Welt, nun den öffentlichen Teil der Landzunge von dem privaten mit Baugenehmigung. Vor dem Tor hat jemand in gelber Farbe auf die Straßenplatten gesprüht: "Tourismus sanft statt Masse".
Der Dransker Bürgermeister Lothar Kuhn und Michael Heese von der Bug GmbH schließen einem NDR-Kamerateam auf und erzählen. Kuhn sei hier als Sportoffizier beschäftigt gewesen. Er erinnere sich gern zurück. "Ich kenne hier jeden Zentimeter."
156 Gebäude habe es hier früher gegeben, ergänzt Heese. Alle abgerissen. Die dadurch entstandene Fläche sei erst im Laufe der Zeit zugewachsen
"Deswegen wird´s auch langsam Zeit", meint Bürgermeister Kuhn. Er stehe wie der gesamte Gemeinderat von Dranske voll hinter dem Bauprojekt, das trotz des 20-jährigen Dornröschenschlafes unverändert umgesetzt werden soll. Nur dass sich das Baltic Island Resort mittlerweile den Zusatz "Eco" gegeben hat.
Der unter Naturschutz stehende Süd-Bug bleibe natürlich weiterhin unberührt. Die Projektgesellschaft habe zugesagt, die 2300 Betten zählende Anlage auf ökologisch nachhaltige Weise zu bauen und zu betreiben. Die Vorteile für die Gemeinde Dranske, zu der Bug gehört?
"Wenn man sich überlegt, dass hier nicht nur Hotels und Ferienhäuser, sondern auch eine Verkaufseinrichtung, eine Markthalle, Sporteinrichtungen, ein Badeparadies, eine Marina entstehen sollen - das ist schon eine Infrastruktur. Gerade in dieser Größenordnung gibt es das nicht auf Rügen, nicht in Deutschland und wahrscheinlich auch europaweit noch nicht. Auch ganz wichtig: Sie bringen Arbeitsplätze. Wenn man sich mal überlegt: Dranske hatte 4000 Einwohner. Wir haben jetzt noch 1123. Und wenn jetzt wirklich 500, 600, 700 Arbeitsplätze entstehen - die müssen ja auch irgendwo wohnen. Das heißt, es muss auch Wohnungsbau in Dranske geben und zwar dauerhaft, keine Ferienwohnungen."
Der Heimatverein protestiert
Doch vielen anderen Rüganern ist schleierhaft, wer die versprochenen Arbeitsplätze im Ferienresort Bug besetzen und folglich die neuen Wohnungen in Dranske bewohnen soll.
"Ich meine, es sind mehrere hundert Arbeitsplätze im Tourismusgewerbe auf Rügen nicht besetzt", erzählt der Ur-Rüganer Hannes Knapp. "Die suchen händeringend nach Arbeitskräften und holen die auch. Aus Polen überhaupt nicht mehr, aber aus Vietnam und ich weiß nicht, woher."
Doch noch mehr beklagt Knapp den weiteren Verlust von Naturflächen und das Anlocken zusätzlicher Urlaubermassen. Die Insulaner gönnten jedem einen Rügen-Urlaub, sagt der Pensionär. Doch vor allem im Sommer sei die vorpommersche Ostseeinsel mit ihren schmalen Halbinseln längst am Limit.
Der von ihm geleitete Heimat- und Kulturverein "Insula Rugia e.V." verfasste eine Online-Petition mit dem Titel: "Stoppt den Größenwahn des Mega-Bauprojekts Baltic Island Eco Resort auf Rügen!" Darin heißt es unter anderem, Rügen habe "bereits mindestens doppelt so viele Gäste pro Einwohner wie ein bekanntes Symbol des Massentourismus, nämlich Mallorca."
"Vorstellungen aus dem vorigen Jahrhundert"
Noch bis Ende August können Unterzeichner die kommunalen Entscheider auffordern, die über 20 Jahre alte Planung von fast 300 neuen Gebäuden und 2300 Gästebetten auf der Halbinsel Bug auf den Prüfstand zu stellen, sagt Hannes Knapp.
"Das sind Planungsaltlasten und Vorstellungen aus dem vorigen Jahrhundert. Sie sind ja selber über Rügen gekommen, haben die Verkehrssituation erlebt. Ich habe sie heute auch erlebt auf meiner Tour über Rügen. Und immer 'Noch mehr, noch mehr, noch mehr!' Der Region bringt das nicht nur keinen Nutzen, sondern verschärft im Gegenteil noch bestehende Probleme."