Streit um "Peanuts" in Brüssel
Der Schriftsteller Robert Menasse kritisiert, dass nationale Interessen die Europäische Union blockierten. Es habe "noch nie ein so großes und kühnes Projekt gegeben, das so billig war".
André Hatting: Zwei große Gipfel in einer Woche, zweimal kein Ergebnis. Ob es die Euro-Finanzminister waren, die sich über die Griechenland-Hilfe nicht einigen konnten, oder jetzt die Staats- und Regierungschefs, die erst mal keinen neuen EU-Haushalt hinbekommen haben. Beide Konferenzen sind grandios gescheitert, und der Bürger schaut nach Brüssel und wundert sich. Oder ist genervt, wie unsere Hörer, das war zumindest der Tenor vieler Reaktionen, als wir Sie über Facebook nach Ihrer Meinung gefragt hatten. Und wer hat Schuld an diesem Verdruss? Der Europäische Rat, diese, Zitat, "Verteidigungsburg des Nationalismus".
Das hat der österreichische Schriftsteller Robert Menasse gesagt, und den begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Menasse.
Robert Menasse: Ja, guten Morgen.
Hatting: Sie wollen den Rat, also das Gremium der 27 EU-Mitglieder am liebsten abschaffen. Warum?
Menasse: Mir ist schon bewusst, dass man pragmatisch den Rat kurzfristig nicht abschaffen kann, aber es wäre schon viel gewonnen, wenn wir uns klarmachen würden, dass es notwendig ist, seine Macht und seinen Einfluss auf die europäische Politik zurückzudrängen. Und die Gipfel, die jetzt vergangen sind, ergebnislos, zeigen das ja wieder einmal. Die Verteidigung nationaler Interessen, diese Kämpfe, die ausgefochten werden immer im Namen nationaler Steuerzahler, blockieren das europäische Projekt und verstören auch das Bewusstsein im Hinblick auf die Notwendigkeit der Vergemeinschaftung Europas und des europäischen Projekts.
Hatting: Bekommt umgekehrt gesagt aber nicht das Projekt Europa erst dadurch Legitimation, dass alle 27 Mitgliedstaaten es tragen?
Menasse: Das müssen ja nicht unbedingt die Kompromisse zwischen sogenannten nationalen Interessen sein. Es wäre ja auch denkbar, dass man ein europäisches Parlament mit allen parlamentarischen Rechten ausstattet und diesem Parlament auch die Budgethoheit gibt. Es wäre auch denkbar, dass man dann der Europäischen Union ermöglicht, selbst Einnahmen zu generieren für das europäische Budget, zum Beispiel durch eine Finanztransaktionssteuer, die der EU zugutekommt.
Aber es ist unerträglich die Vorstellung, dass einerseits alle Vertreter von Nationalstaaten darum kämpfen, dass sie möglichst wenig Geld investieren sollen und nach Brüssel schicken wollen und gleichzeitig nicht dazusagen, wie viel und nämlich fast alles davon wieder in vernünftigen Strukturmaßnahmen zurückkommt. Und ich möchte auch einmal haben, dass die politischen Eliten ihren Wählern, ja, den nationalen Wählern, dass sie auch einmal dazu sagen, wie billig das Ganze ist, wie sehr sie um Peanuts streiten.
Das europäische Budget, das Budget der EU, beläuft sich auf circa zwei Prozent des europäischen Bruttosozialprodukts – das ist wirklich sehr, sehr wenig –, und davon geht bloß für die Verwaltung, für die Verwaltung des ganzen Kontinents, also für die viel geschmähte europäische Bürokratie, nur 0,6 Prozent vom Budget. Alles andere fließt wieder in Strukturmaßnahmen und in Förderungsmaßnahmen und in Projekte in die Regionen Europas und in die Mitgliedstaaten zurück. Es hat noch nie ein so großes und kühnes politisches Projekt gegeben, das so billig war.
Und es ist einfach entwürdigend, wenn dann darüber gestritten wird und dann auf eine so dumme Weise noch dazu, dass sogar riesige Erfolge, große nachweisliche Erfolge der Europäischen Union bedroht sind wegen der Schrullen und der Kleinlichkeit nationaler Finanzminister. Wenn ich ein Beispiel sagen darf: Die österreichische Finanzministerin sagt, es sei ihr nicht nachvollziehbar, warum Österreich Geld nach Brüssel schicken soll, damit dann mit dem Erasmus-Programm ausländische Studenten kreuz und quer durch Europa fahren. Sie finde das sinnvoller, das Geld in eigene Universitäten zu investieren. Also ich finde das skandalös, europäische Studenten als ausländische Studenten zu bezeichnen, und dieses hoch erfolgreiche, wichtige Erasmus-Programm so zu skandalisieren.
Hatting: Also offensichtlich ein Problem der nationalen Perspektiven, Sie haben dagegengehalten: EU-Kommission stärken und das Europäische Parlament. Sie haben eine sehr interessante These aufgestellt, die betrifft die Griechenland-Krise. Sie haben gesagt, diese sei aus nationaler Perspektive unlösbar, aus europäischer dagegen gebe es gar kein Problem.
Menasse: Ja, das ist richtig. Das ist die Frage, welche Brille man aufsetzt. Die Griechenland-Krise, die sogenannte griechische Finanz- und Haushaltskrise ist entstanden aufgrund von Fehlern bei einer Gemeinschaftsentscheidung, nämlich bei der Einführung des Euro, als man es unterlassen hat, wegen nationaler Interessen, den Euro, die gemeinsame Währung, diesen Vergemeinschaftungsschritt zu verbinden mit den notwendigen politischen Instrumenten, um das Vertrauen in die Währung zu gewährleisten und die Währung politisch zu managen, also Fiskalpolitik, Wirtschaftspolitik, Steuerpolitik und so weiter. Das hat man unterlassen.
Und aus diesem Widerspruch – ein Fortschritt in der Gemeinschaftung, aber eine Blockade durch nationale Interessen – ist erst die Krise entstanden. Es ist vollkommen wahnsinnig, eine europäische Krise dadurch lösen zu wollen, dass man einer Nation die Schuld zuschreibt, diese Nation innerhalb der Gemeinschaft zu einer nationalen Kraftanstrengung zwingt, und dabei handelt es sich um eine vergleichsweise geringe Summe, wenn wir sie als gemeinschaftliches europäisches Problem sehen.
Europäisch gesehen ist auch diese ganze Außenhandelsdefizit-Debatte hinfällig. Es ist doch absurd, bei dem Binnenmarkt zu sagen, Deutschland ist Exportweltmeister, 80 Prozent des deutschen Exportes sind europäischer Binnenmarkt. Griechenland hat zwar ein extremes Exportdefizit, 80 bis 90 Prozent des Defizits Griechenlands ist der europäische Binnenmarkt. Im Binnenmarkt ist es ausgeglichen, und der wirkliche europäische Außenhandel, also der Außenhandel mit nichteuropäischen Ländern, diese Bilanz ist positiv. Wo ist das Problem?
Hatting: Herr Menasse, Anfang Dezember wird die Europäische Union mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Hat sie ihn verdient?
Menasse: Als Friedensprojekt hat die Europäische Union diesen Nobelpreis zweifellos verdient. Es ist ein kühnes Friedensprojekt, allerdings nur, wenn man dazu in Erinnerung ruft, dass es ein Friedensprojekt ist, das eine Absicht verfolgt, die historisch neu ist. Es geht nicht um Friedensverträge, sondern es geht um die Überwindung des Nationalismus als dem Hauptkonfliktgrund und der Hauptursache von Kriegen.
Hatting: Der österreichische Schriftsteller und Essayist Robert Menasse. Ich bedanke mich für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Das hat der österreichische Schriftsteller Robert Menasse gesagt, und den begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Menasse.
Robert Menasse: Ja, guten Morgen.
Hatting: Sie wollen den Rat, also das Gremium der 27 EU-Mitglieder am liebsten abschaffen. Warum?
Menasse: Mir ist schon bewusst, dass man pragmatisch den Rat kurzfristig nicht abschaffen kann, aber es wäre schon viel gewonnen, wenn wir uns klarmachen würden, dass es notwendig ist, seine Macht und seinen Einfluss auf die europäische Politik zurückzudrängen. Und die Gipfel, die jetzt vergangen sind, ergebnislos, zeigen das ja wieder einmal. Die Verteidigung nationaler Interessen, diese Kämpfe, die ausgefochten werden immer im Namen nationaler Steuerzahler, blockieren das europäische Projekt und verstören auch das Bewusstsein im Hinblick auf die Notwendigkeit der Vergemeinschaftung Europas und des europäischen Projekts.
Hatting: Bekommt umgekehrt gesagt aber nicht das Projekt Europa erst dadurch Legitimation, dass alle 27 Mitgliedstaaten es tragen?
Menasse: Das müssen ja nicht unbedingt die Kompromisse zwischen sogenannten nationalen Interessen sein. Es wäre ja auch denkbar, dass man ein europäisches Parlament mit allen parlamentarischen Rechten ausstattet und diesem Parlament auch die Budgethoheit gibt. Es wäre auch denkbar, dass man dann der Europäischen Union ermöglicht, selbst Einnahmen zu generieren für das europäische Budget, zum Beispiel durch eine Finanztransaktionssteuer, die der EU zugutekommt.
Aber es ist unerträglich die Vorstellung, dass einerseits alle Vertreter von Nationalstaaten darum kämpfen, dass sie möglichst wenig Geld investieren sollen und nach Brüssel schicken wollen und gleichzeitig nicht dazusagen, wie viel und nämlich fast alles davon wieder in vernünftigen Strukturmaßnahmen zurückkommt. Und ich möchte auch einmal haben, dass die politischen Eliten ihren Wählern, ja, den nationalen Wählern, dass sie auch einmal dazu sagen, wie billig das Ganze ist, wie sehr sie um Peanuts streiten.
Das europäische Budget, das Budget der EU, beläuft sich auf circa zwei Prozent des europäischen Bruttosozialprodukts – das ist wirklich sehr, sehr wenig –, und davon geht bloß für die Verwaltung, für die Verwaltung des ganzen Kontinents, also für die viel geschmähte europäische Bürokratie, nur 0,6 Prozent vom Budget. Alles andere fließt wieder in Strukturmaßnahmen und in Förderungsmaßnahmen und in Projekte in die Regionen Europas und in die Mitgliedstaaten zurück. Es hat noch nie ein so großes und kühnes politisches Projekt gegeben, das so billig war.
Und es ist einfach entwürdigend, wenn dann darüber gestritten wird und dann auf eine so dumme Weise noch dazu, dass sogar riesige Erfolge, große nachweisliche Erfolge der Europäischen Union bedroht sind wegen der Schrullen und der Kleinlichkeit nationaler Finanzminister. Wenn ich ein Beispiel sagen darf: Die österreichische Finanzministerin sagt, es sei ihr nicht nachvollziehbar, warum Österreich Geld nach Brüssel schicken soll, damit dann mit dem Erasmus-Programm ausländische Studenten kreuz und quer durch Europa fahren. Sie finde das sinnvoller, das Geld in eigene Universitäten zu investieren. Also ich finde das skandalös, europäische Studenten als ausländische Studenten zu bezeichnen, und dieses hoch erfolgreiche, wichtige Erasmus-Programm so zu skandalisieren.
Hatting: Also offensichtlich ein Problem der nationalen Perspektiven, Sie haben dagegengehalten: EU-Kommission stärken und das Europäische Parlament. Sie haben eine sehr interessante These aufgestellt, die betrifft die Griechenland-Krise. Sie haben gesagt, diese sei aus nationaler Perspektive unlösbar, aus europäischer dagegen gebe es gar kein Problem.
Menasse: Ja, das ist richtig. Das ist die Frage, welche Brille man aufsetzt. Die Griechenland-Krise, die sogenannte griechische Finanz- und Haushaltskrise ist entstanden aufgrund von Fehlern bei einer Gemeinschaftsentscheidung, nämlich bei der Einführung des Euro, als man es unterlassen hat, wegen nationaler Interessen, den Euro, die gemeinsame Währung, diesen Vergemeinschaftungsschritt zu verbinden mit den notwendigen politischen Instrumenten, um das Vertrauen in die Währung zu gewährleisten und die Währung politisch zu managen, also Fiskalpolitik, Wirtschaftspolitik, Steuerpolitik und so weiter. Das hat man unterlassen.
Und aus diesem Widerspruch – ein Fortschritt in der Gemeinschaftung, aber eine Blockade durch nationale Interessen – ist erst die Krise entstanden. Es ist vollkommen wahnsinnig, eine europäische Krise dadurch lösen zu wollen, dass man einer Nation die Schuld zuschreibt, diese Nation innerhalb der Gemeinschaft zu einer nationalen Kraftanstrengung zwingt, und dabei handelt es sich um eine vergleichsweise geringe Summe, wenn wir sie als gemeinschaftliches europäisches Problem sehen.
Europäisch gesehen ist auch diese ganze Außenhandelsdefizit-Debatte hinfällig. Es ist doch absurd, bei dem Binnenmarkt zu sagen, Deutschland ist Exportweltmeister, 80 Prozent des deutschen Exportes sind europäischer Binnenmarkt. Griechenland hat zwar ein extremes Exportdefizit, 80 bis 90 Prozent des Defizits Griechenlands ist der europäische Binnenmarkt. Im Binnenmarkt ist es ausgeglichen, und der wirkliche europäische Außenhandel, also der Außenhandel mit nichteuropäischen Ländern, diese Bilanz ist positiv. Wo ist das Problem?
Hatting: Herr Menasse, Anfang Dezember wird die Europäische Union mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Hat sie ihn verdient?
Menasse: Als Friedensprojekt hat die Europäische Union diesen Nobelpreis zweifellos verdient. Es ist ein kühnes Friedensprojekt, allerdings nur, wenn man dazu in Erinnerung ruft, dass es ein Friedensprojekt ist, das eine Absicht verfolgt, die historisch neu ist. Es geht nicht um Friedensverträge, sondern es geht um die Überwindung des Nationalismus als dem Hauptkonfliktgrund und der Hauptursache von Kriegen.
Hatting: Der österreichische Schriftsteller und Essayist Robert Menasse. Ich bedanke mich für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.