Susanne Kerckhoff: Berliner Briefe. Roman.
Herausgegeben von Peter Graf
DAS KULTURELLE GEDÄCHTNIS, Berlin 2020
112 Seiten, 20 Euro
"Als Gedächtnisdesigner unterwegs"
04:45 Minuten
Die "Berliner Briefe" der Schriftstellerin Susanne Kerckhoff (1918 - 1950) sind in diesem Jahr neu erschienen. Die Germanistin Ines Geipel kritisiert die völlig unpolitische Rezeption der Autorin.
Eine Neuedition der "Berliner Briefe" der Schriftstellerin Susanne Kerckhoff wird am 5. Juni 2020 im "Literarischen Quartett" des ZDF vorgestellt. Die Gastgeberin der Fernsehsendung, Thea Dorn, nennt Kerckhoffs Briefe "eine der wichtigsten Auseinandersetzungen mit deutscher Schuld" und lobt den Verlag der Briefe, DAS KULTURELLE GEDÄCHTNIS in Berlin, dieses Buch aus der Versenkung geholt zu haben.
In unserem Programm greift die Schriftstellerin und Germanistin, Ines Geipel, diese Darstellung im ZDF an.
In den 1990er Jahren wiederentdeckt
Kerckhoffs Briefe seien bereits 1948 erschienen, sagt sie. Darauf fehle in der Neuedition jeglicher Hinweis. Ebenso habe das "Literarische Quartett" die Rezeption Kerckhoffs in der Nachwendezeit der 1990er Jahre unter den Tisch fallen lassen. Geipel selbst hatte in der 1999 erschienenen Untersuchung "Die Welt ist eine Schachtel" das literarische Werk von Susanne Kerckhoff neuentdeckt.
Susanne Kerckhoff wird 1918 in Berlin geboren, wächst bürgerlich-liberal auf und macht 1937 in Berlin-Charlottenburg ihr Abitur. Nach dem Krieg avanciert sie rasch "zum weiblichen Shooting-Star des unmittelbaren Nachkriegsberlin", wie Geipel in einem Text vom 8. Juni 2020 in der "Berliner Zeitung" schriebt.
Umzug nach Ost-Berlin
Biografisch hatte die Aufteilung Deutschlands in unterschiedliche Zonen für Kerckhoff schwerwiegende Folgen. Sie wurde von ihren Kindern Dina und Christian, die 1938 und 1945 geboren worden waren, getrennt. Seit 1948 lebte sie in Ost-Berlin, die Kinder beim Vater im Emsland. Sie verliert das Sorgerecht.
In ihrer Arbeit verfolgt die Schriftstellerin nun das Ziel, im Osten des Landes eine neue Gesellschaft mitaufzubauen. Ihre Bücher, Gedichte und Artikel werden von der SED-Parteiführung jedoch schon bald nicht mehr geschätzt. Am 15. März 1950 bringt sich Susanne Kerckhoff um.
"Susanne Kerckhoffs Versuche, ihr humanistisch angelegtes Schreibcredo in die neue Zeit des Ostens zu retten, traf auf eine Realität, in der das große Mythenprogramm der DDR ausgehoben wurde", formuliert Geipel in der "Berliner Zeitung".
Geipel kritisiert, dass Kerckhoff in der jüngsten Rezeption und in der Neuveröffentlichung durch den Verlag DAS KULTURELLE GEDÄCHTNIS eine wesentliche Dimension geraubt werde - nämlich die politische. Im Deutschlandfunk Kultur sagt Geipel:
"Da gibt es jetzt eine Neuausgabe, eine Neuedition - und die Schriftstellerin Susanne Kerckhoff aus Berlin wird gut gegendert, - weibliches Schreiben, Gefühle, ich weiß nicht was -, und völlig entpolitisiert."
Marktgerechte - unpolitische - Rezeption
Und Geipel fährt fort: "Ich finde es so merkwürdig, dass wir dann immer so - ich sag’s jetzt mal ein bisschen deutlich - als Gedächtnisdesigner unterwegs sind."
Die Genese des Schreibens werde völlig ausblendet, "damit es irgendwie in diesen Markt passt", kritisiert Geipel. "Das finde ich blöde". Ohne die politische Dimension bekomme die Auseinandersetzung mit Susanne Kerckhoff "etwas ziemlich Schiefes". Geipel wünsche sich eine wache und rege Diskussion um Susanne Kerckhoff, "die hoch widersprüchlich war", so unser Studiogast.
Rausgestrichen und rauserzählt
Kerckhoff habe sich wirklich in den Streit dieser frühen Jahre während der Staatsgründung der DDR, "dieser Terrorjahre", hineingeschmissen. Dieser Teil der Biografie werde jetzt offenbar aus der Rezeption rausgestrichen und rauserzählt, um das Werk "marktgerecht" zu machen.
(huc)
Literatur:
Ines Geipel: Die Welt ist eine Schachtel. Vier Autorinnen in der frühen DDR.
Transit Buchverlag, Berlin 1999
296 Seiten, 24,60 Euro