Streit um ungarische Minderheit

Von Christina Janssen |
Das Verhältnis zwischen Ungarn und Slowaken ist angespannt, seitdem in Bratislava eine linksnationale Koalition regiert und in Budapest seit eine nationalkonservative Regierung. In der Slowakei fühlt sich die ungarische Minderheit durch das sogenannte Patriotismusgesetz unterdrückt, das auch im Wahlkampf eine Rolle spielt.
Feinschliff vor dem großen Auftritt: Das Ensemble des Jokay-Theaters im slowakischen Komarno studiert eine ungarische Operette ein. Es geht natürlich um die Liebe und um komische Verwicklungen. Choreografin Anita Kispal gibt den beiden Hauptdarstellern genaue Anweisungen …

Das Jockay-Theater führt ausschließlich Werke in ungarischer Sprache auf. In Komarno sind 60 Prozent der Einwohner Magyaren. So sieht es in vielen slowakischen Orten an der Grenze zu Ungarn aus: Dort sind die Slowaken eine Minderheit im eigenen Land. Und das sei kein Problem, meint Theaterdirektor Tibor Toth, so lange sich die Politiker nicht einmischten.

Tibor Tóth: "Hier in Komarno gibt es überhaupt keine Spannungen zwischen Ungarn und Slowaken. Ich kann das wirklich so sagen - ich lebe schon seit zehn Jahren hier. Vielleicht gibt es das irgendwo in der Kneipe, wenn die sich nach zehn Schnäpsen mal streiten, das ist ja ganz normal. Aber einen echten Konflikt herauf zu beschwören, das ist nur im Interesse einiger Politiker, die daraus Kapital schlagen wollen."

Für sein Theater, lächelt der sportliche Mittvierziger, habe er deshalb ein Politikverbot ausgesprochen:

"Wenn die Politik die Künste vereinnahmt, ist das schädlich. Wir müssen uns darum bemühen, die Distanz zu wahren. In unserem Theater haben weder Nationalismus noch Rassismus Platz. Mir geht es nur um eines: ob die Künstler gut sind - oder nicht."

Doch in einem Punkt macht der auf Verständigung bedachte Künstler keine Umschweife:

Tibor Tóth: "Ich fühle mich als Ungar, ich lebe aber in der Slowakei. Ich habe die Kunsthochschule in Bratislava absolviert, habe slowakische Freunde und Kollegen, also ist ein Teil meiner Identität schon slowakisch. Aber ich bin Ungar."

Den Streit über die doppelte Staatsbürgerschaft für Auslandsungarn, den die neue Regierung in Budapest vom Zaun gebrochen hat, hält der junge Theaterdirektor trotzdem für abwegig:

"Ich sehe nicht, welche Vorteile das hätte. Wenn die Demokratie in dem Land, in dem ich lebe, in Ordnung ist, brauche ich doch keine zweite Staatsbürgerschaft. Das wäre allenfalls dann sinnvoll, wenn ich hier tatsächlich als Minderheit unterdrückt würde und Hilfe bräuchte. Also, ich persönlich kann darauf verzichten."

So sehen es die meisten Ungarn in der Südslowakei, obwohl sie sich von der Regierung unter Premier Fico in Bratislava nicht immer gut behandelt fühlen. Das neue slowakische Sprachengesetz haben viele als Provokation empfunden: Es regelt den Gebrauch von Fremdsprachen im öffentlichen Leben und räumt dem Slowakischen klar den Vorrang vor den Sprachen der Minderheiten ein.

Theaterdirektor Toth rollt ein großes Plakat auf: Es kündigt die Premiere eines Tschechow-Dramas an - nur auf Ungarisch. Diese Plakatserie musste er wegen des Sprachengesetzes einstampfen und neu drucken lassen, mit slowakischer Übersetzung.

"Das Sprachengesetz ist völlig überflüssig. Wenn die Politiker glauben, so die slowakische Sprache retten zu können, ist das absoluter Unsinn. Und uns beschert das mitten in der Wirtschaftskrise nur höhere Kosten. Es ist nun einmal so: Mit slowakischer Werbung bekommen wir keinen einzigen Zuschauer mehr, denn zu uns kommen nur die Ungarn."

Und auch die Diskussion über das sogenannte "Patriotismusgesetz" hat die Gemüter erhitzt: Es sah unter anderem vor, dass Schüler und Studenten jeden Morgen die slowakische Hymne singen müssen. Ein Plan, der in allen Bevölkerungsteilen Proteste auslöste.

Der BWL-Student Tamas Meri hat die Demonstrationen mit organisiert. Der schüchtern wirkende 24-jährige stammt aus einem Dorf etwas außerhalb von Komarno.

"Am meisten ärgert die Leute die Tatsache, dass es heutzutage überhaupt jemandem einfällt, ein solches Gesetz zu machen. Das wäre in Westeuropa undenkbar. Hier haben sie sich im Grunde nur ein weiteres Werkzeug ausgedacht, mit dem man den Ungarn das Leben schwer machen kann."

Stattdessen, meint der junge Mann, sollte der Staat sich darum kümmern, die Ungarn besser zu integrieren. Das scheitere oft schon in der Schule - an unzureichendem Sprachunterricht.

"Es wäre wirklich eine Überlegung wert, wie man den Slowakischunterricht an den Schulen hier in der Region effektiver gestalten könnte. Denn als Ungar hat man hier 13 Jahre lang vier, fünf, sechs Stunden Slowakisch pro Woche, und hinterher kann man es trotzdem nicht richtig. Slowakisch müsste hier als Fremdsprache unterrichtet werden, dafür wäre es aber nötig, die Lehrpläne entsprechend zu ändern. Und das geschieht nicht."

Auch Tamas macht das Slowakische hörbar zu schaffen. Ein Handikap bei der späteren Jobsuche. Trotzdem meint auch er, dass der Streit zwischen Bratislava und Budapest einer realen Grundlage entbehre:

"Ich glaube, dass sich die normalen Leute auch weiterhin gut verstehen werden, ohne Probleme. Ich kann nicht erkennen, dass in Komarno und Umgebung radikale Kräfte an Boden gewinnen. Ich persönlich hatte als Ungar bislang nur eine einzige negative Erfahrung, hier in Komarno auf dem Hauptbahnhof: Da hat es einen Angestellten der Bahn gestört, dass ich auf Ungarisch eine Fahrtkarte verlangt habe."

Viele Ungarn in der Südslowakei führen ein Leben, das mit dem ihrer slowakischen Landsleute wenig gemein hat. Sie besuchen ungarische Kindergärten und Schulen; und seit 2004 gibt es in Komarno sogar eine ungarische Hochschule – die einzige im ganzen Land.

Die Janos Selye Universität ist im alten Offizierskasino aus dem 19. Jahrhundert untergebracht. Prächtige, modern sanierte Gebäude mit hohen Fenstern, Innenhöfe mit altem Baumbestand. Hier wurde an nichts gespart. Mehr als 2400 Studenten sind derzeit in den drei Fakultäten eingeschrieben – sie studieren Ökonomie, Pädagogik oder Theologie.

Nach slowakischen Studenten müsste man hier wie nach einer Stecknadel im Heuhaufen suchen. Und das ist aus Sicht von Rektor Janos Toth auch richtig so:

"Diese Hochschule wurde nicht gegründet, um slowakische Studenten aufzunehmen- – sie ist an erster Stelle für die ungarische Minderheit gedacht. Es gibt in der Slowakei insgesamt 34 Hochschulen, und nur eine davon ist ungarisch."

Hochschulrektor Toth ist Mathematiker. Er spricht lieber über Zahlentheorie und Stochastik als über Politik. Vorsichtshalber empfängt er seine Gesprächsgäste gemeinsam mit einem Kollegen. Der ist auch Mathematiker - und eher schweigsam. Es gehe um Chancengleichheit, meinen die beiden der Wissenschaftler.

"Die ungarischen Bürger dieses Staates müssen sich dessen bewusst werden, dass sie besser Slowakisch lernen müssen. Auf der anderen Seit liegt das Problem aber nicht allein bei ihnen: Es ist auch notwendig, die Methodik im Slowakischunterricht an den Schulen zu ändern, also an den ungarischen Schulen im Land."

Von Parallelgesellschaften zu sprechen, hält der Hochschuldirektor für überzogen. In der Bildungspolitik gebe es Defizite. Ansonsten, meint auch Ko-Rektor Peter Csiba, werde der politische Streit zwischen Prag und Bratislava unnötig aufgebauscht:

"Die meisten Auseinandersetzungen gibt es dort, wo es zwischen den beiden Seiten wenig Kontakt gibt. Dort wo Slowaken und Ungarn zusammen leben, so wie hier in Komarno, gibt es keinerlei Schwierigkeiten. Nationalistische und extreme Stimmen hört man eigentlich nur dort, wo man sich gegenseitig gar nicht kennt."

Der seit Jahren schwelende Konflikt hat historische Wurzeln. Nach Ende des Ersten Weltkrieges wurde das Königreich Ungarn zerschlagen: Der Friedensvertrag von Trianon bestimmte vor 90 Jahren, dass Ungarn zwei Drittel seines Territoriums an die Nachbarländer abgeben muss.

In diesen Gebieten leben bis heute ungarische Minderheiten, über deren Status immer wieder gestritten wird. In der Slowakei sind es mehr als 500.000, rund ein Zehntel der Bevölkerung. Auf beiden Seiten sind die Empfindlichkeiten groß. Und so springt der Funke des politischen Disputs hier und da eben doch auf den Alltag über:

Im Fußballstadion der slowakischen Kleinstadt Dunajska Streda spielt das einheimische Team, das nur aus Ungarn besteht, gegen die Mannschaft aus Trnava: 80 Prozent der Einwohner in Dunajska Streda sind Ungarn. Wenn Fußballmannschaften aus anderen Landesteilen hier zu Gast sind, werden sie nicht immer freundlich empfangen. Auch heute ist das kleine, aber berüchtigte Stadion deshalb von hunderten Polizisten mit Wasserwerfern umstellt.

Auch die Aktivisten des ungarischen Vereins Harmonia sind gekommen. Sie fordern seit Jahren eine Gebietsautonomie für die Ungarn in der Südslowakei. Das Vorbild, sagt Aktivist Ernö Godo, sei Südtirol.

"Wir wollen eine Gebietsautonomie, wir sprechen hier nicht von einer Revision der Grenzen, darum geht es nicht. Aber wir brauchen eigene Institutionen, die sich hinter uns stellen. Denn in dieser Region geht alles den Bach runter. Ich glaube, das Ziel der slowakischen Politik ist es, die Ungarngebiete hier im Süden herunter zu wirtschaften."

Der Ort Dunajska Streda ist zu einem Symbol des Konflikts geworden. Genau hier brach der Streit zwischen Ungarn und der Slowakei im November 2008 neu auf: Damals griff die Polizei bei einem Fußballspiel hart gegen Fans, die aus Ungarn eingereist waren, durch; einer erlitt schwere Verletzungen. Seitdem nimmt der Tom an Schärfe zu.

Der Streit ereichte im August 2009 einen Höhepunkt, als die Slowakei Ungarns Präsident Solyom die Einreise verweigerte. Auch heute wird das Geschehen auf dem Fußballplatz schnell zur Nebensache. Die Autonomisten reden sich in Rage:

Ernö Godó: "Zu Zeiten der Tschechoslowakei wurde diese Gegend der Goldene Garten genannt. Und was ist davon geblieben? Die Menschen sitzen in den Kneipen herum und betrinken sich, denn sie haben keine Arbeit – und von der Landwirtschaft kann man nicht mehr leben. Alles wurde hier platt gemacht, und die Leute kommen nicht darüber hinweg."

Pál Cséfalvay: "Der Autokonzern Kia hat eine Fabrik im Norden, in Zilina gebaut, Peugeot in Trnava, aber bei uns im Süden wurde überhaupt keine Investition realisiert. Ich bin überzeugt, dass die slowakische Regierung das ganz bewusst tut. Das grenzt schon an Diebstahl."

Tatsächlich liegt die Arbeitslosenquote in den Ungarngebieten teils deutlich über dem slowakischen Durchschnitt. Trotzdem stehen die Autonomisten mit ihren politischen Forderungen weitgehend allein da. Doch wie lange noch? Der Politologe Michal Horsky von der Universität Trnava ist da skeptisch.

Michal Horský: "Ohne Zweifel wird dieser Konflikt während der ersten Amtszeit von Viktor Orban eskalieren. Und deshalb ist es entscheidend, wie die politischen Eliten darauf reagieren werden. Und auf welche Weise Weltmedien darüber berichten werden. Es wäre naiv zu glauben, dass dieser Konflikt sich nach den Wahlen in der Slowakei erledigt hat."

Beim Dorffest in Marcelova will man von alledem nichts hören. Es regnet wie aus Kübeln, das Bier fließt trotzdem in Strömen, und in dem kleinen Kulturzentrum des Ortes gibt eine Folkloregruppe in bunten Trachten eine Tanzaufführung zum Besten. In Marcelova wohnen fast nur Ungarn, im Nachbardorf Srobarova nur Slowaken. Die Slowakische und die ungarische Schule teilen sich in Marcelova ein Gebäude. Und feiern wollen alle gemeinsam. Weder vom schlechten Wetter noch von den Politikern, sagt Schulleiter Robert Duka, werde man sich die Laune verderben lassen.

Robert Duka: "Was die Politiker machen, ärgert mich natürlich. Und auch alle anderen. Denn zwischen unseren beiden Dörfern gibt es eine außerordentlich gute Zusammenarbeit und Frieden. Meine Frau unterrichtet an der slowakischen Schule, ich unterrichte an der ungarischen.

Meine Schwägerin ist dort Direktorin, ich bin es hier. Es mischt sich einfach alles. Und auch im Dorf ist es so. Und das ist gut. Für uns ist das ganz normal, das ist unser Leben, unser Alltag. Die Politiker wollen die Situation ausnutzen - aber das sollten sie nicht tun."

In einem Ort mit derzeit 25 Prozent Arbeitslosigkeit gibt es andere Probleme als die Querelen zwischen Budapest und Bratislava. Da pflichtet Bürgermeister Bela Keszegh bei.

"Unsere älteren Leute haben vielleicht manchmal Probleme mit der Sprache; aber die jüngere Generation überhaupt nicht mehr. Wer da noch Probleme hat, der hat sie auch mit seiner Muttersprache, in Mathematik oder sonst wo. Die ganz normalen Leute können sich immer verständigen.

Sogar die Fußballspieler aus unseren beiden Dörfern spielen zusammen in einer Mannschaft, und ich kann mich nicht erinnern, dass es jemals Schlägereien gegeben hätte zwischen Marcelová und Srobárová - Denn die große Politik aus Budapest und Bratislava, die hat mit uns hier unten im Süden nichts zu tun."