Feilschen um den Länderfinanzausgleich
Ist Bremen tatsächlich wirtschaftlich stärker als Bayern - und warum bekommt es dann so viel Geld aus dem Länderfinanzausgleich, während Bayern so viel zahlt? Eine schnelle Neuordnung der Finanzbeziehungen gilt als unrealistisch.
"Der Soli läuft aus, und deshalb muss man einen Weg finden, sich darüber zu unterhalten, wie das denn weitergeht."
Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen am Donnerstag vergangener Woche. Sie und die anderen Länderchefs hatten sich in Potsdam getroffen, um eine gemeinsame Linie zu finden: Der Solidaritätszuschlag, 5,5 Prozent auf die Einkommenssteuer, ursprünglich gedacht für die Neuen Länder, muss bis 2019 neu geregelt werden.
Zwar bildet dies bei weitem nicht den ganzen Streit um die Länderfinanzen ab. Über den Soli wird aber besonders gern geredet, weil er im Vergleich zu den anderen Teilen der Bund-Länder-Finanzbeziehungen leicht zu erklären ist. Jeder, der Steuern zahlt, findet ihn auf seiner Lohn- oder Gehaltsabrechnung. Anfang vergangener Woche hatten sich die SPD- und grün geführten Länder darauf geeinigt, dass es den Soli auch nach 2019 geben soll - dass mit ihm aber Infrastrukturmaßnahmen auch in den alten Bundesländern bestritten werden.
Mit den Union-geführten Ländern war noch keine Einigkeit darüber herzustellen, in welcher Form der Soli weiterleben wird: Nur dass er auch im Westen verwendet werden darf, wie das schon jetzt schleichend zur Praxis geworden ist, darüber sind sich die Länder einig. Winfried Kretschmann, grüner Ministerpräsident in Baden-Württemberg, weiß auch schon, in welcher Form der Soli überleben soll:
"Eingliederung des Solidaritätszuschlags in die Gemeinschaftssteuer, das hielte ich für einen guten und konsensfähigen Weg."
Eingliederung des Solis kein Nullsummenspiel
Die 5,5 Prozent Aufschlag auf die Lohn oder Einkommenssteuer würden also derselben hinzugefügt, was aus Sicht der rot-grünen Länder den Charme hätte, dass die Steuerzahler keinen Unterschied spüren. Dieser Vorschlag könnte eine Art Angebot an die Unionsregierten Länder sein, die ihren Wählern versprochen haben, in dieser Legislaturperiode keine Steuererhöhung zu beschließen.
Trotzdem waren die CDU-CSU geführten Länder bislang nicht dafür zu gewinnen. Unionsfraktionschef Volker Kauder hat bereits verkündet, dass SPD und Grüne mit diesen Plänen allein bleiben werden. Und die Ministerpräsidentin des Saarlandes, Annegret Kramp-Karrenbauer, ist ebenfalls dagegen, obwohl sie gegen die Segnungen aus dem Soli nichts einzuwenden hätte. Denn das Saarland ist ein so genanntes Konsolidierungsland, das beträchtliche Hilfen beim Abzahlen seiner Schulden braucht. Sieht die Eingliederung des Solis auf den ersten Blick auch aus wie ein Nullsummenspiel - sie ist keines:
"Bei dem Vorschlag, den Soli in das Steuersystem zu integrieren, bedeutet das, dass finanzstarke Länder noch stärker werden, und wir Schwachen nicht davon profitieren, die Schere wird quasi verfestigt, und deswegen wollen wir diese Lösung auch nicht unterstützen."
Die reichen Länder wären die Gewinner
Was zunächst paradox klingt, ist bei genauerem Hinsehen logisch: Ausgerechnet Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, mithin die starken Länder, würden von einer Eingliederung des Soli in die Gemeinschaftssteuer profitieren, mehr als beispielsweise die Ostländer, für die der Soli ursprünglich gedacht war. Denn den Solidaritätszuschlag muss der Bund heute mit keiner anderen Körperschaft teilen. Er hat sich zwar, als er eingeführt wurde, fest vorgenommen, das Geld aus dem Soli in den Neuen Bundesländern einzusetzen. Genau genommen aber darf der Soli, wie andere Steuern auch, nicht an einen Zweck gebunden sein.
Er fließt in den gleichen Topf, in dem auch allen anderen Steuern landen. Erst dann wird verteilt, und zwar durch den Bund. Sollte der Soli aber Teil der Lohn- und Einkommenssteuer werden, müsste er nach dem gleichen Schlüssel zwischen Bund, Ländern und Kommunen aufgeteilt werden, wie die anderen Steuern. Und weil hier das Aufkommen mit hinein spielt, wären die reichen Länder, in denen die großen Steuerzahler sitzen, die Gewinner.
Die FDP und ihr Parteichef Christian Lindner sind ebenfalls gegen die Verwandlung des Solis in eine normale Steuer, wenn auch aus anderen Gründen.
"Ich würde mir wünschen und auch vorschlagen, dass die Kreativität der Politik sich nicht nur darauf konzentriert, den Bürgern in die Tasche zu greifen, sondern einfach mal zu fragen, wo kann der Staat effizienter werden. Es ist eine heimliche Steuererhöhung. Die hat die CDU ausgeschlossen. Jetzt geht es also nicht nur um die Frage: Verliert die Politik die Vernunft. Sondern auch, verliert die CDU ihr Gesicht."
Höhere Finanzmathematik
Es bedarf wohl höherer Finanzmathematik, um zu verstehen, warum die Eingliederung des Soli eine Steuererhöhung wäre. Aber abseits jeder Polemik ist im politischen Konzert um den Soli die Stimme derjenigen nur schwach zu hören, die fordern, dass man ihn einfach auslaufen lässt und so den Bürgern etwas zurückgibt.
Bei seiner Einführung wurde er mit drei Notwendigkeiten begründet: Mit den Kosten der Einheit, mit dem finanziellen Engagement der Deutschen bei der Operation Desert Storm, also dem zweiten Irak-Krieg, und mit wirtschaftlicher Hilfe für mittel- und osteuropäischen Länder.
Wird der Soli beibehalten, sagen Kritiker, dann könnte er zu einer zweiten Schaumweinsteuer werden. Die wurde im Jahr 1902 eingeführt, um den Aufbau der kaiserlichen Flotte zu bezahlen, die seit ihrer Selbstversenkung im Jahr 1919 auf dem Meeresgrund vor Schottland liegt. Die Schaumweinsteuer aber wird erhoben, als wäre nichts geschehen, Kriege, Revolutionen und Systemwechsel konnten daran nichts ändern.
Vorreiter einer grundsätzlichen Neuordnung des Länderfinanzausgleiches ist Nordrhein-Westfalen. Es gehört zwar nominell zu den Nehmerländern, macht aber geltend, dass am Anfang jeder Rechnung, wenn es darum geht, die erwirtschaftete Umsatzsteuer einzubringen, Nordrhein-Westfalen draufzahlt. Finanzminister Norbert Walter-Borjans hat deshalb einen Wunsch:
"... dass Nordrhein-Westfalen eben mehr von dem auch behalten will, was es selbst erwirtschaftet, und dass insgesamt der Ausgleich schief ist. Wir nehmen mehr ein als andere, wir geben am wenigsten aus Pro Kopf und haben Defizite, während andere den Haushalt ausgleichen."
Bayern war von 1950 bis 1986 ein Nehmerland
Überhaupt fehlt den Nordrhein-Westfalen jede Scheu, über die Zukunft der Länderfinanzen zu spekulieren. Jahrzehnte lang, heißt es aus der Regierung in Düsseldorf, sei das Land zunächst solidarisch mit dem Süden Deutschlands gewesen, dann mit den ostdeutschen Ländern. Denn Bayern war, was es heute gern vergessen machen würde, von 1950 bis 1986 ausschließlich ein Nehmerland.
Der Strukturwandel im Bergbauland Nordrhein-Westfalen sei dagegen weitgehend aus eigener Kraft finanziert worden. Auch in Zukunft wolle man sich nicht aus der Solidarität mit anderen Ländern verabschieden. Für Bayerns Finanzminister Markus Söder klingt das eine Spur zu selbstbewusst:
"Wenn das größte Bundesland, das auch ökonomisch an sich stark ist, in Zeiten von Rekordsteuereinnahmen und Niedrigzinsen, die beste Konstellation, die man fiskalisch eigentlich haben kann, wenn ein solches Bundesland strukturell fast nicht mehr lebensfähig ist, oder fast insolvent und pleite, dann kann in der föderalen Finanzordnung nicht mehr stimmen, da muss ich was ändern."
Dass gerade jetzt um die Länderfinanzen gerungen wird, hat einen Grund. Denn das Finanzausgleichsgesetz ist bei seiner Verabschiedung mit der Klausel versehen worden, dass es zum Jahresende 2019 ausläuft. Das gilt auch für das Maßstäbegesetz, das dafür sorgt, dass der Länderfinanzausgleich möglichst unbeeindruckt von den Konjunkturen der Tagespolitik von statten gehen kann. Und es gilt für den Solidarpakt II, der den ostdeutschen Ländern zusätzlich zum Finanzausgleich Geld aus den Kassen des Bundes zuweist. Der Solidaritätszuschlag allerdings ist vom Solidarpakt völlig abgekoppelt - er müsste eigentlich nicht neu geregelt werden, und die Aufregung um ihn ist hausgemacht.
Mehr als eine Seite Text und Zahlen
Wolfgang Renzsch, Föderalismusexperte und Politologe an der Universität zu Magdeburg, macht darauf aufmerksam, dass man sich die gesamte Diskussion sparen könnte, wenn man die Gesetze einfach entfristet: Dazu aber fehlt der Wille der Politik, weil sich Geber- wie Nehmerländer von einer Neuordnung gleichermaßen viel für sich versprechen.
Wolfgang Renzsch ist trotzdem der Meinung, dass das Gesetz eine Runderneuerung gut gebrauchen könnte. Es hat mit den Jahren gelitten, sagt er:
"Das Finanzausgleichsgesetz stammt aus dem Jahr 1969, aus der Steuerreform. Es ist im Laufe der Zeit etliche Male angepasst worden. Insbesondere ist der Paragraph 1 ist ein Monstrum. 1970, als er in Kraft trat, hieß es ganz einfach, der Bund erhält 65 Prozent und die Länder 35 Prozent der Umsatzsteuer. Punkt."
Heute umfasst der erste Paragraph mehr als eine Seite Text und Zahlen. Aus ihm sprechen Schwierigkeiten des Bundes, der Länder und der Kommunen, sich über ihre Finanzbeziehungen zu einigen. In seiner Fassung von 2001 klingt das so:
"Vom Aufkommen der Umsatzsteuer stehen dem Bund 2007 vorab 3,89 vom Hundert, 2008 4,42 vom Hundert und ab 2009 4,45 vom Hundert des Umsatzsteueraufkommens zu; bei einer Steuersatzerhöhung oder Steuersatzsenkung wird in dem Jahr ihres Wirksamwerdens der Vomhundertsatz in dem der Erhöhung oder Senkung entsprechenden Umfang verringert oder erhöht."
Und das ist nur der erste Satz.
"Insofern wäre eine Überholung vielleicht nicht des ganzen Gesetzes, aber eines Teiles, sehr sinnvoll und angebracht."
Der Querkopf unter den Finanzwissenschaftlern
Wolfgang Renzsch gilt als Querkopf unter den Finanzwissenschaftlern. Denn seine These ist, dass es bei den Länderfinanzen schon seit Jahrzehnten zu optischen Täuschungen kommt. Nur ein Beispiel: Bremen ist wirtschaftlich stärker als Bayern, trotzdem ist sein Steueraufkommen geringer. Es kommt also nach dem jetzigen Bewertungssystem ganz offensichtlich zu Verzerrungen.
"Die Probleme, die wir heute im Länderfinanzausgleich haben, dass Bayern sehr viel bezahlt, und Bremen sehr viel bekommt, hängt auch mit diesen Verzerrungen zusammen. Also nicht der erfolgreichen bayerischen Landespolitik, oder der schlechten Bremer, sondern die Verzerrungen schlagen sich hier nieder."
Die Stadtstaaten sind also ökonomisch sehr viel stärker, als sie aussehen. Das ist einer der Gründe dafür, warum sie sich mit Händen und Füßen dagegen wehren, von umliegenden Flächenländern in Fusionen absorbiert zu werden. Henning Scherf, der ehemalige Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen, macht seit Jahren darauf aufmerksam, dass Stadtstaaten notorisch unterschätzt werden.
"Wenn wir alleine wären, wir Bremer, wenn wir Monaco wären, wir würden viel besser klar kommen. Unser Problem ist nicht, dass wir finanzschwach sind, sondern wir sind ganz starke Plätze. Wir haben ein ganz hohes Bruttoinlandsprodukt."
So ist auch Wolfgang Renzsch der Meinung, dass das Steueraufkommen in den Ländern nicht etwa ein Resultat der Wirtschaftspolitik der jeweiligen Landesregierungen ist - sondern eine Folge der Tatsache, dass bestimmte große Konzerne ihren Sitz in bestimmten Bundesländern haben – und in anderen nicht. Von den 30 Dax- Unternehmen sind 19 in den drei starken Südländern Bayern, Baden-Württemberg und Hessen beheimatet. Betrachtet man diese drei Länder, die gleichzeitig die Geberländer im Finanzausgleich sind, auf einer Deutschlandkarte, so sieht man die Konturen desjenigen Gebildes, das bis 1949 die amerikanische Besatzungszone war. Für Wolfgang Renzsch ist das kein Zufall:
"Nach 1945 in der Besatzungszeit sind ja viele große Unternehmen, Allianz, Siemens, Deutsche Bank, Commerzbank, damals gab's noch die Dresdner Bank, und viele, viele, viele andere gezielt aus Berlin und aus Mitteldeutschland in die amerikanische Besatzungszone gegangen und haben dort heute ihre Unternehmenssitze. Ostdeutschland wurde deindustrialisiert, hat verloren, die Unternehmen sind in die amerikanische Zone gegangen und haben diese stark gemacht."
Die meisten gingen in den Süden
Es war die unternehmerfreundliche Wirtschaftspolitik, die die großen Konzerne dazu bewegte, in die amerikanische Zone zu wechseln. Denn während die Briten noch verstaatlichten, die Franzosen sogar noch demontierten, zahlten die Amerikaner schon Aufbauhilfe. Es gab eine Ausnahme: Die vielen Berliner Reisebüros zogen in die britische Zone, der weltumspannenden Verbindungen wegen.
Der Reise-Riese TUI residiert deshalb bis heute in Hannover und führt seine Steuern in Niedersachsen ab. Die meisten anderen Konzerne aber gingen in den Süden. 1949 waren die Würfel gefallen.
"Sie können den Gedanken noch weiter spinnen. Das Saarland ist 1958 zur Bundesrepublik gekommen. Auch da waren die Weichen gestellt. Die sind im Grunde auch zu spät gekommen."
Dieser historische, unaufholbare Rückstand in der Wirtschafts- und Industriepolitik gilt für die ostdeutschen Länder erst recht. Kein einziges Dax-Unternehmen hat seinen Sitz in der ehemaligen DDR. Und auch in den Dax-Vorständen sind Ostdeutsche stark unterrepräsentiert.
Zählt man Berlin zu den neuen Ländern hinzu - der Stadtstaat wurde 1990 neu zusammengefügt - so gab es hier zumindest bis 2006 einen wichtigen Konzernsitz, den des Pharmariesen Schering. Dann aber wurde Schering von Bayer übernommen. Zwar produziert Bayer noch in den Schering-Werken in Berlins Stadtteil Wedding, die Konzerngewinne aber werden nicht mehr in der Hauptstadt versteuert.
Klage wirkt so reichlich unangebracht
Vor diesem Hintergrund wirkt die Klage, die Bayern und Hessen beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen die Praxis des Länderfinanzausgleiches angestrengt haben, reichlich unangebracht. Baden Württemberg als zweitgrößtes Geberland beteiligt sich auch nicht an ihr. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hält sie für umso notwendiger.
"Das ist Notwehr, denn ich kann den bayerischen Bürgern nicht Jahr für Jahr zumuten, dass sie mehr in den Länderfinanzausgleich zu bezahlen haben, obwohl genau diese Bürger mit ihren Anstrengungen dazu beitragen, dass wir eine bessere Wirtschaft und mehr Steuereinnahmen haben."
Das ist eine Behauptung, die auch durch ständige Wiederholung nicht wahrer wird. Bayerns Finanzminister Markus Söder hat gleich mehrere Vorschläge zu einer Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Einer davon geht von der These aus, dass der jetzige Länderfinanzausgleich das Nichtstun belohnt - wer freiwillig Schulden abbezahlt, ist Söder zufolge selbst schuld. Der Ehrliche ist der Dumme:
"Im Grunde genommen werden beide Seiten bestraft. Die Geberländer werden bestraft, weil sie, wenn sie viel erwirtschaften, alles abgeben müssen, aber auch die Nehmerländer, denn Nehmerländer werden nicht für Konsolidierungsbemühungen belohnt, und sie werden auch nicht belohnt, wenn sie stärker werden, weil dann fließt quasi von dem, was sie stärker werden, sofort alles wieder ab, insofern braucht es tatsächlich eine komplette Änderung dieses Länderfinanzausgleichs."
Söder will einer Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehung nur zustimmen, wenn die verschuldeten Länder - nach seiner Lesart sind das vor allem SPD-geführte Länder - Strukturreformen angehen. Ohne diese gäbe es in Zukunft keine Hilfen aus dem Finanzausgleich. Er würde hier eine Konnexität schaffen zwischen Schuldenabbau und Geldtransfer, wie dies auf der europäischen Ebene bereits praktiziert wird - etwa mit Griechenland. Ins gleiche Horn stößt Volker Bouffier, Ministerpräsident des Landes Hessen.
Im Jahr 2012 wurden seiner Rechnung zufolge insgesamt 7,9 Milliarden Euro umverteilt. Davon zahlte Bayern etwa die Hälfte und Hessen rund 1,3 Milliarden Euro.
"Wir wollen einen solidarischen, gerechten und Leistungsorientierten Länderfinanzausgleich, das heißt im Klartext, wer sich anstrengt, muss auch etwas davon haben."
Bund soll noch mehr Hauptstadtaufgaben bezahlen
Berlin war 2012 mit 3,3 Milliarden Euro das wichtigste Empfängerland. Dass der Länderfinanzausgleich faktisch zu einer Art Notopfer Berlin geworden ist, ist ein weiterer Kritikpunkt der Geberländer. Sie fordern, dass der Bund noch mehr Hauptstadtaufgaben bezahlt als bisher. Dass Berlin aber nicht nur die Hauptstadt des Bundes ist, sondern auch für die Länder Funktionen übernimmt, wird gern unter den Teppich gekehrt.
Wolfgang Renzsch von der Universität Magdeburg glaubt nicht, dass die Klage Aussicht auf Erfolg hat - er hält es für ein offenes Geheimnis, dass sie nur aus politischen Gründen angestrengt wurde, da seien sich Ökonomen, Juristen und Politikwissenschaftler einig, selbst die Kläger wüssten es.
"Mir gegenüber hat letztens auch ein hoher Beamter der bayerischen Staatskanzlei eingeräumt, dass man natürlich wisse, dass das im Grunde keine Klage ist, wo es darum geht, dass man Normen überprüft, sondern es ist eher eine rechtspolitisch motivierte Klage. So gesehen wissen die Bayern wohl selber auch, dass sie damit keinen Erfolg erringen werden."
Dass Karlsruher Richter, die ohnehin gut ausgelastet sind, nun mit Klagen beschäftigt werden, die vor allem dafür da sind, ein politisches Thema in der Öffentlichkeit zu halten, kümmert die Kläger wenig. Für sie ist die angebliche Wettbewerbsfeindlichkeit des Länderfinanzausgleiches einer von mehreren Punkten, den es zu beanstanden gibt. Sie stören sich ebenfalls an der geltenden Stadtstaatenregelung. Sie halten sie für verfassungswidrig. Bei dieser Regelung wird versucht, eine weitere Unwucht auszugleichen: Viele Arbeitnehmer pendeln täglich in die Stadtstaaten, leben aber im Speckgürtel und zahlen dort Steuern. Deshalb werden die Bewohner von Berlin, Hamburg und Bremen beim Länderfinanzausgleich stärker gewichtet als die anderer Großstädte. Bayerns Finanzminister Markus Söder hält das für unlogisch und ungerecht.
"Bis heut ist nicht ganz erklärbar, warum jetzt ein Hamburger mehr als ein Münchner, oder ein Bremer mehr als ein Nürnberger oder Augsburger oder Kölner wert sein soll. Das sind schon so kleine Strukturelemente, mit denen Sie eine massive Entlastung erreichen können."
Hier könnte eine Novelle Abhilfe schaffen, die seit einigen Jahren von Finanzwissenschaftlern vorgeschlagen wird. Um für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, sollte beim Länderfinanzausgleich die Einwohnerzahl besser zum Tragen kommen.
Vermeintlich finanzschwache Länder könnten Rabatte anbieten
"Wir sollten den Landesanteil der Einkommens und Körperschaftssteuer auch nach Einwohnern verteilen. Wenn wir diese Regelung hätten, könnten wir auf den ganzen Finanzausgleich und alles Mögliche andere auch verzichten. Die Verhältnisse wären einfacher und überschaubarer und transparenter. Alles, was von den Kritikern verlangt wird."
Ein weiterer Vorschlag läuft darauf hinaus, den Ländern mehr Autonomie in Steuerfragen zu geben. Diese Idee kommt aus den Reihen der Bundesbank, die in ihrem Monatsbericht vom September 2014 über eine solche Novelle laut nachdachte.
"Es scheine naheliegend, die Steuerautonomie der Länder etwa durch begrenzte individuelle Zu- und Abschläge bei einzelnen Steuerarten auszuweiten. Mögliche Steuersätze, die künftig von den Ländern mitbestimmt werden sollten, die Einkommens- und Körperschaftsteuer."
Dies hätte zur Folge, dass Bundesländer Zuschlagsrechte auf die Steuer bekommen. Dann könnten Arbeitnehmer in Hamburg und Berlin anders belastet werden als in Brandenburg und Niedersachsen. Vermeintlich finanzschwache Länder könnten Rabatte anbieten. Die Fantasien über die Höhe eines solchen föderalen Hebesatzes liegen bei zwei bis drei Prozent.
Hiermit würden die Länder ermächtigt, über eine Steuer zu entscheiden, über die bisher der Bund bestimmt - der ist naturgemäß nicht amüsiert über die Einschränkung seiner Kompetenzen und versucht daher, das Gegenteil zu erwirken. 2020, wenn die Schuldenbremse wirkt, will Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble weitreichend Einfluss nehmen auf das Recht der Länder, ihre Haushalte selbst zu bestimmen.
"Deswegen wollen wir den Stabilitätsrat, der die Finanzsituation von Bund und Ländern überwacht, mit zusätzlichen Kompetenzen ausstatten, damit er in Zukunft Haushalte zurückweisen kann, die dem gemeinsam vereinbarten, im Grundgesetz festgelegten Regeln von Schuldenbremse und auch des europäischen Fiskalvertrages widersprechen."
Der Stabilitätsrat überwacht die Haushaltsführung von Bund und Ländern, das ist seit der Föderalismusreform von 2010 so vorgesehen. Dass er aber Haushalte zurückweisen kann, wäre ein so weitreichender Eingriff in die Autonomie der Länder, dass Experten bezweifeln, dass dies in Karlsruhe auch nur den Hauch einer Chance auf Bestätigung hätte.