Streitbare Kämpferin für Frauenrechte
45.000 Menschen kamen zu ihrer Beerdigung. Agnes Wabnitz, heute kaum mehr bekannt, war eine der großen Kämpferinnen der Soziademokratie und für die Frauenrechte im 19. Jahrhundert. Eine Wanderrednerin, die von der politischen Polizei verfolgt wurde, inhaftiert und in ein Irrenhaus eingeliefert wurde. Als sie eine zehnmonatige Haft antreten sollte, vergiftete sie sich auf dem Friedhof der Märzgefallenen in Berlin-Friedrichshain.
"Für mich ist jeder Sozialdemokrat gleichbedeutend mit Reich- und Vaterlandsfeind." Mit diesem Satz von Kaiser Wilhelm II. beginnt das Buch über eine Sozialdemokratin, die fast völlig vergessen ist: Agnes Wabnitz. Und das, obwohl sie, wie Klaus Kühnel eindrucksvoll belegt, zu Lebzeiten (1841-1894) vielleicht die bekannteste Frau ihrer Zeit war. Wenn schon männliche Sozialdemokraten die volle Gewalt des Kaisers ("die Mir zusteht") zu spüren bekamen, um wie viel mehr musste das für eine "Frauensperson" gelten, der es nach dem preußischen Vereinsgesetz nicht mal gestattet war, Vereinsmitglied zu werden, geschweige denn zu wählen oder gar gewählt zu werden.
All das fuchste Agnes Wabnitz, eine Gastwirtstochter aus dem Schlesischen, die als Schneiderin und Haushaltshilfe zuerst im damals russischen Polen und dann in Berlin arbeitete. Eine wie sie hätte schon blind sein müssen, um nicht zu erkennen, dass die Welt zweierlei Menschen beherbergt: Besitzende und Besitzlose, Reiche und Arme. Eine Unterscheidung, die für Agnes Wabnitz nichts mit der jeweiligen Religion zu tun hatte und auch nicht gottgegeben war, wohl aber die Frauen doppelt traf. Männer galten mehr in der Gesellschaft, Frauen erhielten schlechtere Löhne.
Innerhalb von vier Jahren wird die Frau, die gerade mal die Volksschule besucht hatte, im ganzen Reich bekannt. Mit ihren Reden, in denen es im Wortsinn um Gott und die Welt geht, um die Anmaßung des Königs und die Scheinheiligkeit der Kirche, zieht "das Frl. Wabnitz", inzwischen Berlinerin, Hunderte Zuhörer an, sie zieht aber auch - es ist die Zeit von Bismarcks Sozialistengesetzen - die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich.
Mehrfach wird Agnes Wabnitz zu Geldstrafen verurteilt, die sie von ihrem kargen Lohn abzahlen muss. Wegen Majestätsbeleidigung wird sie 1892 zu zehn Monaten Haft verurteilt. Wegen angeblicher Fluchtgefahr verhaftet man sie gleich im Gerichtssaal. Im Gefängnis verweigert Agnes Wabnitz die Nahrung, wird zuerst zwangsernährt und dann sogar ins Irrenhaus eingeliefert. Als sie von dort freikommt, muss sie im Krankenhaus aufgepäppelt werden.
Das Gefängnis dürfte das Einzige gewesen sein, das die Sozialdemokratin fürchtete. Als ihr Revisionsantrag gegen das Urteil vor dem Leipziger Reichsgerichtshof scheitert, vergiftet sich die 53-Jährige. Aus der Agitatorin wird eine Märtyrerin. 45.000 Menschen strömen zu ihrer Beerdigung auf den Friedhof der Berliner Freireligiösen Gemeinde.
Warum Agnes Wabnitz "als vermeintliche Lokalgröße" durch den Rost der Geschichte gefallen ist, dafür liefert Klaus Kühnel einleuchtende Erklärungen. Zwar hat sie ihre Zeitgenossinnen mit feurigen Reden begeistert, aber - anders als etwa Clara Zetkin oder Rosa Luxemburg - war Agnes Wabnitz keine Theoretikerin. Als man anfing, die Geschichte der Aktivistinnen der Emanzipation zu erforschen, waren die Spuren längst verwischt. Klaus Kühnel hat sie in mühsamer Recherche wiedergefunden.
Er zeichnet das Bild einer Sozialdemokratin, die sich nicht nur den Zorn der Obrigkeit zuzog, sondern auch den ihrer sozialdemokratischen Genossen. Solche, über die August Bebel schrieb: "Es gibt Sozialisten, die der Frauenemanzipation nicht weniger abgeneigt gegenüber stehen, wie der Kapitalist dem Sozialismus." Wer so dachte, der bekam es mit Agnes Wabnitz zu tun. Von ihrem "überzarten Empfinden" schrieb die mit ihr befreundete Biografin noch zu Lebzeiten, was uns Klaus Kühnel übersetzt mit: Sie habe mitunter leicht die Beherrschung verloren.
Auch als über 50-Jährige wollte sie weder ruhiger noch taktisch klüger sein, ja, sie dachte gar nicht daran, auch nur den kleinsten Kompromiss einzugehen. Alles, was Kühnel über diese nicht einfache Frau fand, hat er auf seinen Wahrheitsgehalt untersucht; die schwärmerische Biografie ebenso wie Krankenblätter, Spitzelberichte und Zeitungsausschnitte. Er entdeckt ein falsches Geburtsdatum, dass es von den Polizeiakten bis auf den Grabstein geschafft hat und entlarvt viele Geschichten, die ihre Freundin über sie verbreitet hatte, als Legenden.
Klaus Kühnel nennt sein Buch eine "biografische Collage". Entstanden ist das faszinierende Bild einer mutigen, wenn auch nicht immer sympathischen Frau und ihrer Zeit. Am Ende verzeiht man dem Buch auch einige Schwächen: den überbordenden Reichtum an Anekdoten und die mäandernde Schreibweise.
Rezensiert von Liane von Billerbeck
Klaus Kühnel: Freiheit du siegst. Leben und Sterben der Agnes Wabnitz (1841-1894). Eine biographische Collage aus Akten, Aufzeichnungen und Artikeln
trafo Wissenschaftsverlag, Berlin 2008
308 Seiten, 24, 80 Euro.
All das fuchste Agnes Wabnitz, eine Gastwirtstochter aus dem Schlesischen, die als Schneiderin und Haushaltshilfe zuerst im damals russischen Polen und dann in Berlin arbeitete. Eine wie sie hätte schon blind sein müssen, um nicht zu erkennen, dass die Welt zweierlei Menschen beherbergt: Besitzende und Besitzlose, Reiche und Arme. Eine Unterscheidung, die für Agnes Wabnitz nichts mit der jeweiligen Religion zu tun hatte und auch nicht gottgegeben war, wohl aber die Frauen doppelt traf. Männer galten mehr in der Gesellschaft, Frauen erhielten schlechtere Löhne.
Innerhalb von vier Jahren wird die Frau, die gerade mal die Volksschule besucht hatte, im ganzen Reich bekannt. Mit ihren Reden, in denen es im Wortsinn um Gott und die Welt geht, um die Anmaßung des Königs und die Scheinheiligkeit der Kirche, zieht "das Frl. Wabnitz", inzwischen Berlinerin, Hunderte Zuhörer an, sie zieht aber auch - es ist die Zeit von Bismarcks Sozialistengesetzen - die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich.
Mehrfach wird Agnes Wabnitz zu Geldstrafen verurteilt, die sie von ihrem kargen Lohn abzahlen muss. Wegen Majestätsbeleidigung wird sie 1892 zu zehn Monaten Haft verurteilt. Wegen angeblicher Fluchtgefahr verhaftet man sie gleich im Gerichtssaal. Im Gefängnis verweigert Agnes Wabnitz die Nahrung, wird zuerst zwangsernährt und dann sogar ins Irrenhaus eingeliefert. Als sie von dort freikommt, muss sie im Krankenhaus aufgepäppelt werden.
Das Gefängnis dürfte das Einzige gewesen sein, das die Sozialdemokratin fürchtete. Als ihr Revisionsantrag gegen das Urteil vor dem Leipziger Reichsgerichtshof scheitert, vergiftet sich die 53-Jährige. Aus der Agitatorin wird eine Märtyrerin. 45.000 Menschen strömen zu ihrer Beerdigung auf den Friedhof der Berliner Freireligiösen Gemeinde.
Warum Agnes Wabnitz "als vermeintliche Lokalgröße" durch den Rost der Geschichte gefallen ist, dafür liefert Klaus Kühnel einleuchtende Erklärungen. Zwar hat sie ihre Zeitgenossinnen mit feurigen Reden begeistert, aber - anders als etwa Clara Zetkin oder Rosa Luxemburg - war Agnes Wabnitz keine Theoretikerin. Als man anfing, die Geschichte der Aktivistinnen der Emanzipation zu erforschen, waren die Spuren längst verwischt. Klaus Kühnel hat sie in mühsamer Recherche wiedergefunden.
Er zeichnet das Bild einer Sozialdemokratin, die sich nicht nur den Zorn der Obrigkeit zuzog, sondern auch den ihrer sozialdemokratischen Genossen. Solche, über die August Bebel schrieb: "Es gibt Sozialisten, die der Frauenemanzipation nicht weniger abgeneigt gegenüber stehen, wie der Kapitalist dem Sozialismus." Wer so dachte, der bekam es mit Agnes Wabnitz zu tun. Von ihrem "überzarten Empfinden" schrieb die mit ihr befreundete Biografin noch zu Lebzeiten, was uns Klaus Kühnel übersetzt mit: Sie habe mitunter leicht die Beherrschung verloren.
Auch als über 50-Jährige wollte sie weder ruhiger noch taktisch klüger sein, ja, sie dachte gar nicht daran, auch nur den kleinsten Kompromiss einzugehen. Alles, was Kühnel über diese nicht einfache Frau fand, hat er auf seinen Wahrheitsgehalt untersucht; die schwärmerische Biografie ebenso wie Krankenblätter, Spitzelberichte und Zeitungsausschnitte. Er entdeckt ein falsches Geburtsdatum, dass es von den Polizeiakten bis auf den Grabstein geschafft hat und entlarvt viele Geschichten, die ihre Freundin über sie verbreitet hatte, als Legenden.
Klaus Kühnel nennt sein Buch eine "biografische Collage". Entstanden ist das faszinierende Bild einer mutigen, wenn auch nicht immer sympathischen Frau und ihrer Zeit. Am Ende verzeiht man dem Buch auch einige Schwächen: den überbordenden Reichtum an Anekdoten und die mäandernde Schreibweise.
Rezensiert von Liane von Billerbeck
Klaus Kühnel: Freiheit du siegst. Leben und Sterben der Agnes Wabnitz (1841-1894). Eine biographische Collage aus Akten, Aufzeichnungen und Artikeln
trafo Wissenschaftsverlag, Berlin 2008
308 Seiten, 24, 80 Euro.