Streitfrage

Wann ist ein Schuldenschnitt sinnvoll?

Ein Schatten einer Schereauf einem Blatt mit dem Wort "Schuldenschnitt" , 2011
Schuldenschnitte werden unter Wirtschaftsexperten kontrovers diskutiert. © picture alliance / dpa / Patrick Pleul
Von Caspar Dohmen |
Schulden, die untragbar sind, müssen gestrichen werden. Das sagen die einen. Schuldenschnitte sind keine Allheilmittel. Die dritte Fraktion findet: Schuldenkrisen seien systemimmanent. Deswegen brauche die internationale Finanzordnung ein geordnetes Insolvenzverfahren für Staaten.
Bei der Pleite eines Staates verlieren dessen Gläubiger ihr gesamtes Geld. Um zumindest einen Teil ihrer Schäfchen ins Trockene zu bringen, stimmen Gläubiger heute oft einem Schuldenschnitt zu. Die Schulden eines Staates werden dann gestutzt und die Fristen für die Rückzahlung der Kredite gestreckt. Experten streiten sich jedoch immer wieder darüber, in welchen Situationen ein Schuldenschnitt sinnvoll ist.
Aktuell geht es um Griechenland, das Sorgenkind der Eurozone. Elmar Altvater, emeritierter Professor für Politik an der Freien Universität Berlin und Attac-Aktivist ist für einen zweiten Schuldenschnitt:
"Anders wird das auch nicht gehen, dass war auch in der ganzen Geschichte so, dass also Schulden, wenn sie untragbar sind, auch gestrichen werden müssen."
Altvater holt weit aus, schlägt den Bogen vom antiken Griechenland und die Jubeljahre der Bibel über die Schuldenkrise in Lateinamerika der 1980er Jahre bis ins heutige Griechenland. Helfen könne eine Schuldenschnitt einem Land aber nur, wenn er groß genug ausfalle.
"Wenn er zu klein ist und nicht ausreicht und wenn die Dynamik der Schulden nicht gestoppt wird, dann wird das ein Dauerspiel sein."
Und genau das befürchtet er für Griechenland, wenn die internationale Gemeinschaft ihren Kurs nicht ändert. Gustav Horn, Leiter des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie, hält einen Schuldenschnitt in bestimmten Situationen für absolut notwendig.
"Ein Schuldenschnitt ist quasi unvermeidlich, wenn beispielsweise wie im Falle Argentiniens, das Land sich in einer Fremdwährung verschuldet hat. Argentinien hatte sich in Dollars verschuldet und musste entsprechend Zinszahlung in Dollars aufbringen."
Irgendwann waren die Dollarreserven aufgebraucht. Dann ist ein Schuldenschnitt unvermeidlich.
Ganz anders beurteilt er den Fall Griechenland, weil das Land sich in Euro verschuldet habe, also der Währung der Eurozone, der Griechenland selbst angehört.
Schuldenschnitt allein bringt Länder nicht nach vorn
Horn hält einen Schuldenschnitt alleine zudem für eine unzureichende Medizin. Als großen politischen Erfolg hatten die größten acht Industrieländer – G8 genannt – den 1999 beschlossenen Schuldenerlass für ärmste Länder gesehen. Deren Schulden wurden um bis zu 90 Prozent gestrichen, trotzdem stiegen sie bald wieder an. Die gleiche Entwicklung gab es 2012 nach dem Schuldenschnitt mit Griechenland. Die Länder brauchen eine weitere Medizin. Horn.
"Weil ein Schuldenschnitt ja erst Mal nur die Zinszahlungen erleichtert für das Land, das schuldet, das mag kurzfristig helfen, aber auf Dauer braucht dieses Land eben auch Einnahmen, es braucht Steuereinnahmen, es braucht Wachstum, um wieder aus der Krise herauszukommen. Deshalb ist für mich das Entscheidende, dass man in Griechenland Wachstum induziert, und wenn man das induziert, dann kann man auch die Schulden bedienen, braucht also keinen Schuldenschnitt."
Ein Schuldenschnitt kann im Falle einer Währungsunion sogar negative Folgen haben. Das ist ebenfalls eine Lektion, die man aus dem ersten Schuldenschnitt Griechenlands ziehen muss. Weil die verunsicherten Anleger weitere Schuldenschnitte in klammen Euroländern fürchteten, gaben sie Ländern wie Spanien und Portugal ebenfalls kaum – oder nur zu extrem hohen Zinsen – Kredit.
"Das hat dramatische Folgen damals gehabt. Damals musste dann die EZB eingreifen, mit ihrer Ankündigung unbegrenzt Anleihen aufzukaufen, um die Märkte wieder zu beruhigen. Und wenige Monate später im Grunde genommen, war der Schuldenstand Griechenlands dann wieder genauso hoch wie vorher, es hat also nicht mal etwas gebracht."
Der Unternehmensberater und Finanzexperte Daniel Stelter hält jedoch sogar einen Schuldenschnitt in der gesamten Eurozone für notwendig.
"Ich persönlich beziffere den Betrag an nicht einbringbaren Schulden in Europa auf mindestens drei Billionen Euro, also 3000 Milliarden Euro, es könnten auch in Richtung 5000 Milliarden gehen."
Stelter rät den Politikern die Schulden, die ein bestimmtes Ausmaß überschreiten in einem Topf bei der Europäischen Zentralbank zu poolen und über einen langen Zeitraum gemeinsam abzutragen.
Elmar Altvater, emeritierter Professor für Politik an der Freien Universität Berlin und Attac-Aktivist geht noch weiter. Er hält einen Umbau der Finanzarchitektur für notwendig – fordert die Einführung eines Insolvenzverfahrens für Staaten, so wie schon im Jahr 2000 Anne Krueger – damals Vizepräsidentin des IWF anlässlich der Schuldenkrise in Argentinien.
"Das war eine große Hoffnung, dass selbst aus dem IWF , aus dem Internationalen Währungsfonds, eine solche Forderung mit unterstützt worden ist, nur ist sie davon abgeschmettert worden, sie hat das dann zurückgezogen, es ist nichts daraus geworden, und das Insolvenzverfahren von Staaten darüber wird geredet, aber es ist noch nicht Wirklichkeit geworden."
"Schuldenkrisen sin ein Problem, das immer wieder auftreten wird"
Mehrere Varianten liegen auf dem Tisch. Aber der politische Wille scheint erlahmt bei den Regierungen. So steht das Thema nicht einmal mehr im Koalitionsprogramm der aktuellen Bundesregierung, anders als bei den beiden Vorgängerregierungen. Mara Liebal arbeitet dafür, dass das Thema wieder auf die Tagesordnung kommt. Sie ist Sprecherin von Erlassjahr, einer Kampagne weltweiter Organisationen, die sich für Entschuldung von Staaten einsetzt. Am morgigen Mittwoch wird sie bei einer Kundgebung in Dresden mitmachen, wenn dort die Finanzminister der G7 tagen. Denn die nächste Schuldenkrise ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
"Aus unserer Sicht sind die Krisen in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem, das auf Kreditaufnahme beruht, sind Schuldenkrisen ein Problem, das immer wieder auftreten wird, solange das so ist, kann man das nicht verhindern, deswegen muss ein Verfahren geschaffen werden, wie damit umgegangen werden kann, ohne, dass diese Krisen auf Kosten der Bevölkerung über Jahre hinweg verschleppt werden."
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